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Mal wieder Bahnfahren ...

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26.12.2006
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Mal wieder Bahnfahren ...

„Mal wieder Bahn fahren ...“

Also, da gibt es doch diese Werbung übers Bahn fahren ... wie bequem und entspannend es sei, mit der Bahn zu fahren.

Ich wolle es wissen und fuhr an einem ganz normalen Tag mit der Bahn nach Frankfurt. Von Euskirchen pünktlich nach Köln. In Köln hatte der EC nur ein ganz kleines bisschen Verspätung. Im ersten Wagen gab es keinen einzigen Sitzplatz mehr, der zweite Wagen war komplett reserviert für eine Reisegesellschaft, im nächsten Wagen waren alle Plätze von vorne bis hinten reserviert, der Großraumwagen war auch voll. Und seltsamerweise war auch der Speisewagen besetzt. Im nächsten Wagen standen die Leute schon auf den Gängen oder saßen auf ihren Koffern.

Ich war ein wenig missmutig und sprach den Kontrolleur auf den reservierten Zug an. „Ja“, antwortete er mir, „früher, da hat man noch 10 % der Plätze freigehalten, heute wird alles reserviert, das bringt mehr Geld. – Sie müssen eben auch reservieren!“

Er wollte schon wieder gehen, drehte sich aber noch mal um. „Es ist immer dasselbe. Ich bin hier nur der Kontrolleur, auf uns hört da oben ja keiner.“
„Wer ist denn da oben?“ fragte ich und schaute zur Wagendecke (da ist natürlich keiner). Er gab mir aber keine Antwort mehr und kontrollierte weiter.
Ich blieb im Gang stehen und schaute aus dem Fenster. Die Fahrt war nicht langweilig, denn eine abwechslungsreiche Landschaft zog an mir vorüber und dabei schien auch noch die Sonne, was will man mehr?

„Ja, wir haben auch reserviert“ ertönte eine Stimme hinter mir. Ein junges Ehepaar wollte an mir vorbei, beide zogen einen riesigen Koffer hinter sich her. Ich quetschte mich an das Fenster, zog den Bauch ein. „Wir fahren nach Frankfurt und von da geht’s endlich in den Urlaub!“ Ich atmete wieder aus.

„Entschuldigung, dürfen wir mal vorbei?“ Ein älteres Ehepaar drückte sich uns entgegen. Für mich hieß das wieder Luft anhalten, ans Fenster drücken und bloß nicht atmen.
Beide waren im bayrischen Landhausstil gekleidet, auf ihren weißgelockten Haaren thronte ein kleines grünes Hütchen mit Feder, was bei ihrem Sprechen recht lustig wippte.
Die beiden hatten kaum Gepäck bis auf ein kleines Köfferchen, was für meine Begriffe gerade mal so für ein Wochenende gereicht hätte. „Sie machen sicher eine weite Reise?“, die alte Dame wies fragend auf die beiden großen Koffer. „Ja, wir fliegen nach Bangkok; von dort starten wir eine Rundreise durch den Norden des Landes.“
„Und Sie? – Fahren Sie in die Berge?“ Der ältere Herr hob mühelos das kleine Köfferchen ins Gepäcknetz. „Wir fliegen auch nach Bangkok, von dort nach Hongkong, dann weiter nach Sydney und nach sechs Wochen über Singapur wieder nach Hause.“
Die Antwort der jungen Leute war ein überraschtes „Oh“ und ein fassungsloser Blick auf den kleinen Koffer. Die beiden Paare hatten sich endlich in ihr Abteil hineingefummelt und ich schnappte nach Luft.

Als im Speisewagen ein Platz frei wurde, siedelte ich um und bestelle ein Gemüsegericht. Der völlig überlastete Kellner stöhnte: „Wir haben viel zu wenig Personal, daher dauert es etwas länger.“ Und genervt fügte er noch hinzu: „Beschweren Sie sich da
oben.“ Hilfe, wer ist denn das, der da oben?

Beim Abräumen fragte er noch routinemäßig: „Hat es Ihnen geschmeckt?“ „Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß, denn es war Matschgemüse aus der Dose. Raten Sie mal, was er geantwortet hat? „Das hätte ich Ihnen vorher sagen können!“ Und warum hat er vorher nichts gesagt? Wahrscheinlich, weil die ihm „da oben“ eins draufgegeben hätten. Die da oben, wir hier unten. Und wir hier unten werden immer um Verständnis gebeten.

Soviel zum Bahnfahren. Beim nächsten Mal fahre ich wieder mit dem Auto.

 

Hallo Gudrun,

Beschwerden über die Deutsche Bahn nimmt unter anderem dieses Blog entgegen. ;)

Du beschreibst eine im Weihnachtsverkehr sicher nicht ganz unübliche Geschichte. Allerdings bringe ich bei aller Liebe nicht viel Verständnis für den/die Prot auf. Dass es im Weihnachtsverkehr gerade in Fernzügen zu erhöhtem Verkehrsaufkommen kommt und man deswegen besser reservieren sollte, sollte sich herumgesprochen haben. Dafür kann die Bahn natürlich auch nichts. Bei wem würde sich der Prot denn beschweren, wenn er zur gleichen Zeit auf der Autobahn im Stau steckt?

Sitzplatzplanungen und die Zusammenstellung des Fertigessens sind Dinge, auf die das Zugpersonal wirklich keinen Einfluss hat. Die Beschwerden darüber muss sich das Personal trotzdem anhören. Auch nicht gerade gerecht...

Dass Werbung und Wirklichkeit meistens weit auseinanderklaffen, ist nicht die Schuld der Deutschen Bahn, die wie alle anderen nur nach den Regeln des Werbemarkts spielen. Nenn mir eine Werbung, bei der das nicht der Fall ist!

Vom Erzählfluss her habe ich an deiner Geschichte nichts auszusetzen, das hat mir sogar ganz gut gefallen. Das einzige was mich stört, ist die Einseitigkeit im Stile eines Leserbriefs in der Tageszeitung.

Viele Grüße
Jay

 

Hallo Gudrun und nach einiger Zeit auch ein herzliches Willkommen auf KG.de!

Die Ich-Erzählerin tut für meine Begriffe ruhig und (geradezu) gelassen ihre Erfahrung mit der Bahn kund. Eine tägliche Erfahrung, wie sie jedermann widerfahren kann, der öffentliche Verkehrmittel nicht gewohnt ist. Dass Jay aus einem „ganz normalen Tag“ auf den Weihnachtsrummel kommt kann nur am Datum der Veröffentlichung liegen, denn die Erfahrung macht man nicht nur zur Weihnachtszeit. Es ist schön, dass Herr Mehldorn mit seinem kapitalistischen Gang in Jay Fürsprache gefunden hat. Doch ist mir nicht ganz klar, wo sich ein staugestresster Autofahrer beschweren könnte, wenn alle wie die Lemminge zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung wollen. Bei Herrn Tiefensee?

Gleichwohl: Gudrun beschreibt in ihrer kleinen Geschichte, wie es gelegentlich in Reisezügen aussieht und die Beschäftigten halten sich für machtlos.

Einige kleine Flüchtigkeiten wie
„Ich wolle es wissen und fuhr …“ wolle > wollte und
„Als im Speisewagen ein Platz frei wurde, siedelte ich um und bestelle ein Gemüsegericht.“ Bestelle > bestellte.
„Wer ist denn da oben?“KOMMA fragte ich …
„Ja, wir haben auch reserviert“KOMMA ertönte eine …
„Die Antwort der jungen Leute war ein überraschtes „OhAUSRUFEZEICHEN“ und ein fassungsloser Blick …“,
sind anzuzeigen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Insgesamt halte ichs für einen manierlichen Start auf KG.de!

Gruß

friedel

 

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