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Mannes Erwachen
Mannes Erwachen
Der mannshoch eingezäunte Platz ist noch fast leer. Dennoch drücken sich von drei Seiten Schaulustige gegen die ungehobelten Latten, welche die Abschrankung aussehen lassen wie ein grob gehauener Pferdecorall. Nur wer zuvorderst steht, kann einen Blick erhaschen auf die am Platzrand sitzenden Jugendlichen.
Körper an Körper reihen sie sich aneinander. Ruhig sitzen sie da, nichts bemerkt man, von der innerlichen Anspannung, die ihnen den Magen zusammenzieht. Ihre Gesichter sind weiß bemalt und sie tragen Umhänge aus Tierfellen oder Gebinden aus Krawatten und Tuchstücken welche Brust und Rücken bedecken. Darunter leuchten Ketten aus farbigen Perlen und Kaurimuscheln, welche sie über der Brust gekreuzt tragen. Beim Tanzen werden die Gebinde wild in der Luft wirbeln, beim Springen und Stampfen die Schellen tönen, die immer drei an einem Oberschenkel befestigt sind.
Die Jungen werden ihren Mut, ihre Entschlossenheit und ihre Tapferkeit beweisen, indem sie nach einem tagelangen Tanz ihre Vorhaut dem Messer übergeben. Stolz und Stramm werden sie stehen, ohne Bewegung, ohne Wimpernzucken, ohne Stütze, ohne Schmerzmittel. Das ist Imbalu, die Beschneidung, die Jungen zu Männern macht.
Aber bis dahin dauert es noch. Zuerst müßen sie den Älteren und den Ahnen im Tanz beweisen, dass ihr Geist und ihr Körper bereit sind für Imbalu.
Seit sie denken können haben sie jedes Jahr die Schellen von den andern gehört. Fühlten die Sehnsucht nach jenem Moment sich selbst zu behaupten. Sich zum allerersten Mal von der elterlichen Bevormundung loszulösen. Die Sehnsucht nach Selbstbehauptung und nach Freiheit zog tief in ihr Herz ein. „Wir müßen die Angst überwinden. Mein Herz will es so. Tanze so viel du kannst, das wird auch dich stärken. Unsere Körper werden zusammen hier sein, aber im Herzen werden wir fühlen wie die Ahnen uns rufen, wir werden die Schatten der Geister sein und nicht wissen was wir tun. So werden wir den bitterscharfen Schmerz ertragen. Es ist wie sie es sagen, es kommt von deinem eigenen Herzen. Du kannst nicht mehr schlafen, du denkst nur an Imbalu. Und wenn das bedeutet dass ich sterben muss, dann sterbe ich. Du kannst nicht einfach sagen, ‚ich werde es versuchen‘. Es muss von deinem Herz kommen!“, versucht ein Junge seinen Freund zu beruhigen, der sich vor Angst übergeben musste.
Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Tribüne, die für den Präsidenten, einflussreiche Männer und vereinzelte Weiße, Touristen oder sogenannte Entwicklungshelfer, reserviert ist. Es wird viel diskutiert, Smalltalk, Geschäfte, politisiert. „Und ich sage euch, seit wir das Imbalu endlich organisiert innerhalb weniger Festtage durchführen, wobei der Festakt hier natürlich der Höhepunkt bildet, haben wir viel weniger Ausfälle in der Schule. Die Schüler nehmen bis kurz vor der Zeremonie am Schulunterricht teil. Und sobald sie wieder stehen und gehen können, kommen sie zurück, und legen einige Wochen später erfolgreich ihre Jahresschlussprüfungen ab. Das ist nicht wie früher, wo über Monate hinweg tagtäglich Gruppen am Schulhaus vorbeitanzten, unsere Schüler durch Trommelschläge in ihrer Konzentration unterbrachen und viele Schüler und Schülerinnen immer wieder fehlten um bei den Tänzen ihrer Brüder und Freunden teilzunehmen. Jetzt herrscht endlich Ordnung in diesem Treiben. Alles findet alle zwei Jahre innerhalb weniger Tage statt, und dann ist wieder Ruhe.“
Unter den jungen Männern, die auf ihren Einsatz warten, kommt langsam Unruhe auf. Der eine, der sich übergeben musste wird mittlerweilen vom Roten Kreuz versorgt, das sich in einer Ecke des Tanzplatzes eingerichtet hat. Freiwillige Helfer aus dem Distrikt notieren fein säuberlich die Namen und Wohnorte der Patienten, sie behandeln sie mit sauberem Trinkwasser und Tabletten die wichtige Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Yobu einer der Helfer begleitet den Jungen ins Krankenzelt. „Ich kann mir vorstellen wie du dich fühlst. Lass dich von niemandem dazu überreden. Du bist der einzige, der das Recht hat über deinen Körper zu entscheiden. Du bist es, der deinen eigenen Willen und deine Entscheidungskraft im Tanz vorzeigt. Wenn du kein Imbalu willst, tanze nicht. Ich weiß, du fürchtest um deinen Ruf, du fürchtest dich davor, dass alle über dich tuscheln werden, ‚das ist doch der, der nicht beschnitten ist, der Feigling, das Weichei, das Baby!‘, du fürchtest dich davor, deine Eltern und deine ganze Familie zu enttäuschen und zu beschämen, aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Du musst dich nicht dem Risiko einer traditionellen Beschneidung ausliefern. Wie willst du in diesem Zustand, in Trance vom Tanz mit geschwächten Sinnen und Verstand, sicher sein, dass das Messer sauber ist? Wie willst du sicher sein, dass der Schnitt ungefährlich und korrekt vollzogen wird? Wie wirst du sicher sein, dass du nicht mit AIDS angesteckt wirst? Du hast recht dich zu fürchten. Wenn es deine Entscheidung ist, dann geh, tu es. Oder aber komm morgen zur Klinik. Bezahle einen Arzt, sei dir sicher, dass alles hygienisch ist, dass du dir keine Krankheit holst.“
Zur selben Zeit einige Kilometer entfernt im hügeligen Hinterland finden ebenfalls Imbalu Vorbereitungen statt, wie sie schon seit Jahrhunderten durchgeführt werden. Während der junge Mann im Gesicht und am ganzen Kopf mit Hirseteig weiß eingestrichen wird, ermahnen ihn die Eltern mit den seit klein auf immer wieder gehörten Phrasen: „Samba imbalu ni kamani – Tanze das Beschneidungsritual mit Stärke“. Immer wieder erklären sie ihm, dass ‚Stärke‘ weit mehr ist, als kleine Buben in ihren Spielen beim Kräftemessen glauben. Stärke liegt im Geiste. Stärke liegt in der Standhaftigkeit, in der Entscheidungskraft, im Willen, in der Fähigkeit Verantwortung zu zeigen. Dies sei es, was Männlichkeit ausmache. Was den Unterschied macht, vom Jungen zum Mann. Der Junge denkt daran, wie er bereits vor zwei Wochen eigenhändig die Hirse gedroschen hat, aus der sie das Bier gebraut haben das sie bei der Zeremonie den Ahnen und den Besuchern offerieren werden. Sie hatten auch ein Huhn geopfert und aus seinen Eingeweiden gelesen. Auch das traditionelle bestreichen mit Hirseteig ist nun beendet. Ja, er ist bereit.
Er macht sich auf den Weg in der weiten Umgebung des grünen Landes tanzend seine Verwandten aufzusuchen, es ihnen allen zu beweisen und ihre Erlaubnis zu dem alles verändernden Schnitt einzuholen. „Ich bin bereit! Samba imbalu ni kamani! Samba imbalu ni kamani“. Auch seine Schwestern begleiten ihn, und unterwegs schließen sich dem Tanz immer mehr Freunde an, schlagen die Trommeln und trillern vor Freude und Aufregung. Ein vom Herz getränkter Tanz; seine Knie hebt er nahezu bis zum Kopf hoch, bevor die vom Alltag muskulös trainierten Beine nach unten schnellen und die nackten Füsse kraftvoll auf Mutter Erde treffen. Immer wieder im Rhythmus der Trommeln, unzählige tausend mal. Als er innehält ermahnen die Alten ihn offen vor den Gefahren der Prüfung durch Imbalu. Und mit Entschlossenheit solle er Tanzen. Er solle nicht den Zauber des Kostümes, des Tanzes und der Musik mit der Beschneidung selbst verwechseln. Denn bei Imbalu komme es auf die Person an. Imbalu ist kein Spiel. Nur an die Prüfung selbst solle er denken.
Der Junge hört der Tirade still und unbeweglich zu, wie es sich gehört. Danach zeigt er noch einmal seinen Wert und seine Stärke mit seinen Tanzsprüngen. Seine Ganze Entschlusskraft legt er in diese Sprünge, die seine mentale und körperliche Stärke zeigen, die Prüfung zu bestehen. Er beweist mit aller Kraft, dass er bereit ist, ein Mann zu werden und die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Und später unter dem Messer stehend wird er nicht zucken, nicht zittern, nicht stöhnen. Er würde nicht für einen Schwächling gehalten werden.
Auf dem offiziellen Festplatz sind die Tänze mittlerweilen in vollem Gange. Die Gruppen aus den verschiedenen Quartieren und Dörfern haben ihre Kostüme aufeinander abgestimmt, so dass man genau bestimmen kann, wer woher kommt. Eine Gruppe nach der andern wird vom Redner aufgerufen und tritt gegeneinander im Tanz an. Um den Zaun herum johlt die Menge. Schon aus der dritten Reihe kann man kaum mehr etwas sehen was auf dem Platz läuft. Deshalb versucht sich jeder bis nach vorne zur Abschrankung durch zu schubsen um einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Einige schlüpfen zwischen den Latten hindurch auf den Tanzplatz, weil der Druck von hinten zu groß wird. Doch die wache stehenden Soldaten schicken sie sofort zurück. Unter Androhung von Prügel. Man spasst nicht mit Soldaten. Die bewaffneten Männer sind oft leicht reizbar und neigen zu Gewaltausbrüchen oder impulsiven Schüßen. Doch von hinten drückt die Menge. Kinderschreie gellen laut, weil sie im Gedränge harte Stösse abkriegen. Frauen und Männer werden unangenehm gegen die Latten gequetscht, die Rotkreuz-Helfer versuchen an ihrem Platz Ordnung zu bewahren, Leute zurechtzuweisen, und bringen hektisch ihre Sachen in Sicherheit. Immer mehr Menschen steigen zwischen den Latten durch, um sich der Meute zu entziehen, der Zaun bricht ein, Menschen stürzen, Menschen rennen auf den Tanzplatz hinein, Menschen werden getreten, überrannt, die Soldaten erschlagen alles was ihnen in die Quere kommt.
Auf der anderen Seite fährt unbemerkt eine Limousine davon, eskortiert von Polizeiwagen und Militärfahrzeugen. Der Präsident macht sich auf den Weg zurück zu einer seiner Villen, währenddessen das Volk von seinen Soldaten wie lächerliche Termiten zertreten und zurück in ihre Löcher geschickt wird. Aber Er hat noch zu tun. Er will sich vorbereiten auf seine Rede morgen vor dem Parlament, bei der Er die Gesetzesänderung bekannt gibt, dank der Er bei der Wahl 2011 wieder als Präsidentschaftskandidat antreten wird. 25 Jahre Präsident! Das wird ein Jubiläumsfest geben wie es Uganda noch nie gesehen hat!