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Marie

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14.09.2010
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Marie

Für einen kurzen Augenblick dachte ich in ihren Augen zu sehen, dass sie mich wieder erkannte. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich zu Marie auf den Fußboden. Ich begrüßte sie und strich ihr über den Kopf. Aufgeregt wedelte sie mit ihren verdrehten Armen und wippte dazu mit ihren dünnen Beinchen. Ihre braunen, schulterlangen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. „Na wie geht es dir Marie?“, fragte ich obwohl ich doch wusste, dass ich keine Antwort bekommen würde. 19 Jahre alt war sie nun schon und noch kein einziges, erkennbares Wort war über ihre Lippen gekommen. Bei ihrer Geburt hatte sich die Nabelschnur um ihren Hals gelegt. Der Sauerstoffmangel hatte zu schweren Gehirn und Entwicklungsschäden geführt.
Mit einem kreischendem Lachen ließ sie sich aus dem Schneidersitz nach hinten fallen und rollte gekonnt auf dem Rücken ab. Marie lebte in einer anderen Welt. Sie lachte und quietschte immerzu, auch wenn sie alleine war. Langeweile schien sie nicht zu kennen. Gerne würde ich einmal durch ihre Augen sehen können, vielleicht würde ich dann erkennen was ihr so viel Freude bereitete.
Ich stand auf und ging in die Küche, um ihr Mittagessen zuzubereiten. Grießbrei mochte sie besonders gerne, was ziemlich praktisch war, denn die Flecken konnte man leicht auswaschen. Maries Lachen drang aus dem Wohnzimmer während ich in der Küche zu gange war. Ich stellte alles auf dem Tisch bereit, bevor ich den Rollstuhl ins Wohnzimmer schob. Leicht war Marie nun wirklich nicht mehr und ihre hektischen, kraftvollen Bewegungen erschwerten es zudem, sie in den Stuhl zu heben. Ich schnallte sie an, wobei mich ihr Arm mitten ins Gesicht traf. Wenn Marie sich freute konnte sie ihre Bewegungen nicht kontrollieren. Genauso wenig wie ihre Stimme. Mit strahlendem Gesicht schrie sie nun aus voller Kehle. Ich fuhr sie an den Tisch, stellte die Bremsen des Rollstuhls fest und band ihr ein Lätzchen um. Marie zu füttern war eine echte Herausforderung. Manchmal konnte sie überhaupt nicht still halten und ich musste ihre Arme unter den Gurt schieben damit sie mir vor Aufregung den Löffel nicht aus der Hand schlug. Definitiv konnten wir beide nach jeder Mahlzeit eine Gesammtreinigung vertragen.
Während ich sie fütterte überlegte ich wie Marie jetzt wohl ohne ihre Behinderung leben würde. Sie könnte eine Ausbildung machen oder studieren gehen und vielleicht hätte sie einen Freund, so wie die anderen Mädchen in ihrem Alter. Ich fragte mich oft, was für Hobbies sie wohl hätte, wenn die Ärzte damals schneller reagiert hätten. Maries Quietschen schreckte mich aus meinen traurigen Gedanken. Ich hielt ihr die Nuckelflasche hin und sie trank mit großen Schlucken, wobei ihr das Wasser aus den Mundwinkeln lief und ich ihr schnell ein Tuch unters Kinn halten musste. Nach dem Essen zog ich Marie um, wickelte sie, und machte sie fertig für einen kleinen Spatziergang an den See.
Draußen auf der Straße spielten einige Kinder mit einem Ball. Jedes Mal spürte ich die Blicke der Leute und oft musste ich neugierige Fragen zu Maries Behinderung beantworten. Sie selbst schien das alles gar nicht wahrzunehmen. Vergnügt gluckste sie vor sich hin und klatschte mit ihren Händen wild auf den Armlehnen herum.
Am See setzte ich sie auf eine Decke ans Ufer, sodass sie mit ihren Füßen im Wasser spritzen konnte. Sie liebte Wasser und voller Freunde riss sie ihre Arme nach oben und jauchzte. Instinktiv musste ich mitlachen. Wie schön es doch war, dass Marie sich an so kleinen Dingen freute. Ich dachte an mein eigenes Leben und beneidete sie fast ein bisschen. Von den schlimmen Dingen in dieser Welt bekam sie nichts mit. Dass sie keine Freunde hatte, weil sie anders war, schien sie nicht zu merken. Angst oder Traurigkeit kannte sie nicht und von Sorgen hatte sie noch nie etwas gehört. Sie war eine Belastung für ihre eigenen Eltern und sie würde niemals ein normales Leben führen. Von all dem wusste sie nicht. Lachend rollte sie sich auf den Rücken.
Sie sah mich nicht an sondern schaute ins Leere. In ihre eigene Welt eben. Ihr Blick war klar, so als würde sie etwas genau betrachten. Was konnte so ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern? Etwas Irdisches war es jedenfalls nicht, da war ich mir ganz sicher. Auch wenn mich andere Familienhelfer wahrscheinlich dafür ausgelacht hätten, war die Antwort insgeheim doch klar.
Marie konnte in den Himmel sehen.

 

Hallo und herzlich willkommen auf kg.de, Lila

Schöne, scharf beobachtete Geschichte. Ich vermute fast, du hast oder hattest im beruflichen oder auch privaten Umfeld mit einer "Marie" zu tun. Falls nicht, dann kann man deine Geschichte nur um so mehr loben, weil du gutes Einfühlungsvermögen beweist.
Fehler: ja, gab's ein paar wenige, hauptsächlich Komma-Geschichten, aber die mag ich jetzt nicht zitieren. Einen anderen dafür

Gehirn und Entwicklungsschäden

Gehirn- und Entwicklungsschäden

Gerne gelesen
lg
lev

 

Hallo Lila!


Du hast hier eine interessante Geschichte reingestellt. Marie ist einer von den Menschen, die man im Alltag kaum antrifft.

Natürlich kann wenig (oder nichts) aus Maries Innenwelt berichtet werden. Die wird, so vermute ich, wohl selbst für Experten ohne Zugang sein.
Aber dafür könntest du versuchen, Marie noch ein wenig genauer zu beobachten. Du reitest zu oft auf ihrem Lachen, Quietschen und Glucksen herum. Über den Text verteilt, mindestens dreimal. Das wirkt eintönig.
Wie äußert sie z.B. Hunger? Oder Schmerz?
Wie reagiert sie auf Musik? Eine interessante Frage, die vielleicht einen zusätzlichen Absatz wert ist. Melodische Klänge sprechen die Urinstinkte an. Lacht und quietscht sie mehr zu Bach oder zu den Beatles? Oder zeigt sie eine ganz andere Reaktion? (Wenn die Familie oder die Helfer das wüssten, könnten sie Maries Lebensqualität verbessern.)

Ich vermute, Marie wird sich trotz aller Fürsorge häufig verletzen. In deiner Geschichte scheint sie, bis zum Eintreffen der Familienhelferin, allein zu sein. Das passt für mich nicht.

Textkram:

Für einen kurzen Augenblick dachte ich in ihren Augen zu sehen, dass sie mich wieder erkannte.
Für einen kurzen Augenblick dachte ich(Komma) in ihren Augen zu sehen, ...
Oder kürzer:
Für einen Augenblick dachte ich, ...
Augenblick ist immer kurz.

Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich zu Marie auf den Fußboden. Ich begrüßte sie und strich ihr über den Kopf.
Ich schloss die Tür hinter mir, setzte mich zu Marie auf den Fußboden, begrüßte sie und strich ihr über den Kopf.
Ein (unwichtiger) Ablauf kann in einen Satz gepackt werden. Positive Nebenwirkung: Weniger „Ich“, weniger „und“.

„Na wie geht es dir Marie?“, fragte ich obwohl ich doch wusste, dass ich keine Antwort bekommen würde. 19 Jahre alt war sie nun schon und noch kein einziges, erkennbares Wort war über ihre Lippen gekommen.
Vor „obwohl“ immer Komma.
„Doch“ ist ein überflüssiges Füllwort.
Zahlen, sofern dann noch einfach lesbar, ausschreiben.
„Nun schon“ überflüssiges Blabla.
„Einziges“ ist auch überflüssig.
„Na wie geht es dir Marie?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass ich keine Antwort bekommen würde. Neunzehn Jahre alt war sie und noch nie war ein erkennbares Wort über ihre Lippen gekommen.

Mit einem kreischendem Lachen
Mit kreischendem Lachen
Mit einem kreischenden Lachen

Sie lachte und quietschte immerzu, auch wenn sie alleine war.
Auch hier kannst du kürzen:
Sie lachte und quietschte, selbst (oder sogar) wenn sie alleine war.

Gerne würde ich einmal durch ihre Augen sehen können, vielleicht würde ich dann erkennen was ihr so viel Freude bereitete.
Komma zwischen.

Grießbrei mochte sie besonders gerne, was ziemlich praktisch war, denn die Flecken konnte man leicht auswaschen.

Gerne + ziemlich können raus.
Für wen ist das praktisch und wer ist „man“? Wenn nicht die Ich-Erzählerin wäscht, kann das „man“ bleiben, sonst ersetzen durch „ich“ oder als Passiv:
Grießbrei mochte sie besonders, was für mich praktisch war …
… denn die Flecken konnte ich leicht auswaschen.
… denn die Flecken ließen sich leicht auswaschen.

Du solltest auch im weiteren Text nach Kommafehlern suchen, Regeln findest du in unseren Hilfe-Rubriken, und Füllwörter eliminieren.
Eine nicht vollständige Liste von Füllwörtern aus deinem Text:
„nun“
„echte“ Herausforderung
studieren „gehen“
„jetzt wohl“
spielten einige Kinder „mit einem“ Ball.


Gruß

Asterix

 

Hallo Lila, als kurzen Einblick in die innere Welt der Ich-Erzählerin halte ich die Skizze für gelungen. Sie versucht sich in Maries Haut zu versetzen und stößt dabei auch auf die naheliegende Schicksalhaftigkeit ihres 'Unfalls'.
Aber manche Formulierungen und Vermutungen halte ich für eher gut gemeint als gut gelungen.

Gerne würde ich einmal durch ihre Augen sehen können, vielleicht würde ich dann erkennen was ihr so viel Freude bereitete.
Durch Maries Augen zu blicken setzte voraus in Maries Haut zu stecken. Das kann die Ich-Erzählerin nicht wollen. Inhaltlich lese ich hier einfach das Bemühen um möglichst große Empathie, das ist doch in dem Zusammenhang richtig und schön, auch dass sich jemand solcher Themen annimmt. Aber das muss anders geschrieben werden.
Wie schön es doch war, dass Marie sich an so kleinen Dingen freute. Ich dachte an mein eigenes Leben und beneidete sie fast ein bisschen.
Das geht nicht. Als hätte Marie es besser als die Erzählerin. Da helfen auch die Relativierungen nicht. Weit übers Ziel hinausgeschossen.
Marie konnte in den Himmel sehen.
Hm, das ist immer so eine Sache. Die Erzählerin erklärt sich das vielleicht, um der Situation etwas abzugewinnen und Maries heftiges Handicap wenigstens in der eigenen Vorstellung auszugleichen. Ich finds nachvollziehbar, wenn Menschen aus solchen Realitäten in die Fantasie flüchten. Aber in der Literatur sollte sich das nicht auf diese Art abbilden. Marie kann das Himmelreich sehen oder die Erzählerin würde gern durch Maries Augen sehen: Spekulation und Meinung. Der Text wird durch diese paar Sätze ganz furchtbar süßlich und schief und wird dem Thema eben nicht gerecht. Sich dieser schwierigen Themen anzunehmen ist gut, aber manches darf da einfach nicht rein. :)

Grüße

 

Für einen kurzen Augenblick dachte ich in ihren Augen zu sehen, dass sie mich wieder erkannte.

Schon der einleitende Satz Deines zwoten Textes hier auf kg.de,

Lila,

hat es in sich: da vermeint der Icherzähler, in einem anderen Augenpaar zu erkennen, dass er wieder erkannt/wiedererkannt würde. Was ich im Konj II formulier, weil man sich dessen eben nicht sicher sein kann. Man selbst spiegelt sich in den Augen des andern. Gleichwohl, unterstellen wir, es sei, wie Du sagst.

Es handelt sich also mutmaßlich um einen doppelten Erkennnisprozess, und da beginnt das Problem – das jeden, der schreibt, irgendwann einholt, wenn er mit den richtigen Worten ringt.

Nietzsche hats mal auf den Nenner gebracht: alles Erkennen sei ein Wieder + erkennen. Dabei hat dieses „wieder“ drei ähnliche und doch unterschiedliche Bedeutungen:

erneut + abermals/noch mal und zurück.

Zusammengeschrieben mit dem Verb wird’s nur in der letzten Bedeutung, wobei das mhd. „ze rucke“ heute mit „im Rücken“ übersetzt werden müsste, also etwas, das ich hinter mir gelassen hat, vielleicht vergessen, zumindest verdrängt. Es wurde im Laufe der Zeit zusammengeschrieben (zerucke) und zum Adverb, wie wirs heute kennen in der „rückwärtigen“ Bedeutung, wie ichs mal nennen will.

Erneut und aber-/noch mal/s „renovieren“ lapidar gesagt etwas Vorhandenes und werden in Deiner Weise auseinandergeschrieben.

Mit Maries Schicksal meine ich, dass das wieder+erkennen zusammen zu schreiben wäre. Aber es kommt nur darauf an, was Du ausdrücken willst.

Mit den Kommas hastu’s, nur die beiden ersten Funde, weil ich Dir zutraue, die übrigen bei ein wenig Konzentration selbst zu finden:

vielleicht würde ich dann erkennenKOMMA was ihr so viel Freude bereitete
.
Maries Lachen drang aus dem WohnzimmerKOMMA während ich in der Küche zu gange war
, "zugange" zudem zusammen.

Nur einmal – im Gegensatz zu Deinem Erstling – fällt eine Häufung von Adjektiven auf. Bei dieser Geschichte jedoch fällt es mit Ausnahme des „wirklich“ schwer, sie fallen zu lassen:

Leicht war Marie nun wirklich nicht mehr und ihre hektischen, kraftvollen Bewegungen erschwerten es zudem, sie in den Stuhl zu heben
,
wohingegen ein einzelnes in einem Folgesatz entbehrlich erscheint:
Marie zu füttern war eine echte Herausforderung.
Was zum Teufel wäre eine „unechte“ Herausforderung?

Offensichtliche Flüchtigkeit:

Gesammtreinigung
Beurlaube ein m
oder studieren gehen
„oder studieren“ genügt doch
Spatziergang
Hat wenige mit den Spatzen, als mit dem lateinischen spatiari zu tun, einherschreiten, sich ergehen, lustwandeln;
und voller Freunde riss sie ihre Arme nach oben
Freunde machen auch Freude, aber in dem Fall ist das n entbehrlich.

Was nun, wäre meine Frage, beschäftigt einen jungen Menschen - was ich aus den zwo Texten herauszulesen meine -, mit dem Elend der Welt, sei's die Behinderung als auch Rassismus - wenn ich die mosaische Religion im Dritten Reich nicht auch als Hinderung/Erschwernis ansehe?

Gruß

Friedel

 

Hallo Asterix,
danke für deinen Kommentar. Ich habe noch einen besseren Anfang geschrieben, weil die Geschichte so in der Luft hängt und natürlich kann man Marie nicht alleine lassen. Was sagst du dazu:

„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!“, sagte Frau Neubauer und drückte mir einen Zettel in die Hand. „Mein Mann wird gegen vier zurück sein. Meine Handynummer habe ich Ihnen für den Notfall aufgeschrieben.“ Sie nahm ihren Mantel von der Garderobe und warf noch einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. „Tschüss mein Schatz!“, rief sie. „Auf Wiedersehen Frau Kenntner“, fügte sie an mich gewandt hinzu und griff nach den Autoschlüsseln. Als die Tür ins Schloss gefallen war, betrat ich mit einem Lächeln das Wohnzimmer.
Für einen kurzen Augenblick dachte ich, in Maries Augen zu sehen, dass sie mich wieder erkannte. Ich schloss die Tür hinter mir, setzte mich zu ihr auf den Fußboden, begrüßte sie und strich ihr über den Kopf.

Meine Kommafehler habe ich auf meinem PC verbessert (hatte damit schon immer Probleme. Bis zum Abi sollten die Regeln sitzen, will schließlich keinen Abzug bekommen) und auch die unnützen Wörter sind rausgeflogen. Ich stell die überarbeitete Version online sobald sie fertig ist.
Liebe Grüße
Lila

 

Hallo Lila!

Der neue Anfang. Etwas zu viel des Guten.
Frau Kenntner ist nicht zum ersten Mal bei Marie, das geht aus dem nachfolgenden Text hervor. Sie weiß also, an welcher Pinnwand die Notfallnummer hängt. Wie lange sie bleiben muss, nämlich bis vier Uhr, ist bestimmt im Vorfeld bereits geklärt worden. Du kannst die Szene also kürzer gestalten.

Liebe Grüße

Asterix

 

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