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Martin Freeman, seine Doppelgänger und die Freemandarstellerei

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15.03.2008
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Martin Freeman, seine Doppelgänger und die Freemandarstellerei

Vielleicht liegt es an Martin Freemans unscheinbarem Äußeren, einem Trick mit seinem Gesicht, oder an meiner eingeschränkten Fähigkeit, Martin Freeman und andere Schauspieler mit ähnlichem Gesicht auseinander zu halten, also die Freemans dieser Welt und die nur Freeman-ähnlichen stets fehlerfrei zu identifizieren. Oder dieser Martin Freeman hat außer sich selbst auch Doppelgänger, wovon auszugehen eine Möglichkeit ist.

Immer, wenn ich Martin Freeman sah im letzten Jahr und auf ihn zeigte und sagte: „Martin Freeman“, meinte meine Freundin, das sei nicht Martin Freeman, der Gezeigte sehe ihm nicht mal ähnlich. In lebenspraktischen Fragen wie dem Abschließen des richtigen Bausparvertrags, ob ich Buchhalter einer aufstrebenden Mafiaorganisation werden sollte oder eben dem Zuordnen menschlicher Gesichter zu bestimmten Namen, höre ich auf sie, weil sich erwiesen hat, dass ich mehr von anderem verstehe, wie den Mythologien fiktiver Welten, glänzende Dinge auf der Straße finden und ähnliche Talente, die in dieser Timeline oder Dimension vergleichsweise unbeachtet bleiben. Irgendwann glaubte ich also einfach, dass sie Recht hatte, es begann ein Lernprozess. Ich dachte um und fing an, Wahrheiten wie die aus Gründen der Anschaulichkeit um entscheidende Elemente verkürzte Gleichung Martin Freeman = Martin Freeman als vermeintliche Wahrheiten zu betrachten bzw Wahrheiten unter Vorbehalt möglicher Falschheit. Begann außerdem, auch verrückte Ding ins Auge zu fassen und später zu akzeptieren, zum Beispiel, dass es einen Martin Freeman oder mehrere Martin Freemans gibt, der oder die für andere nicht nach Martin Freeman aussehen. Ich lernte, von jenen als Martin Freemans Doppelgängern zu denken und von diesen als Martin Freeman – und den einen Stamm vom anderen zu scheiden.

Heute sah ich wieder einen, zeigte drauf und sagte :“Martin Freemans Doppelgänger!“ Aber sie sagte, das sei ganz klar Martin Freeman und ob ich sie verkohlen wolle. Wollte ich natürlich nicht, höchstens ein kleines Bisschen angeben mit der Promptheit und Sicherheit, mit der ich seinen Doppelgänger erkannt hatte. Und war ich bis dahin bereits leicht verunsichert gewesen durch die Martin Freemans dieser Welt, weil ich seinen Doppelgänger mit Martin Freeman verwechselt hatte, so verlor ich nun vollends den Boden unter den Füßen, als ich Martin Freeman mit seinem Doppelgänger verwechselte.

Man kann sich fragen, wie es zu dieser Verdopplung kam. Bekanntlich ist es ein extremes und obszönes Verbrechen gegen die menschliche Natur, eine Menschengestalt zu verdoppeln, egal ob die eigene oder die eines Anderen. Schon bei Borges lesen wir von der Schändlichkeit hinter solchem Tun. Und bekanntlich bleiben verbrecherische Obszönitäten nie lange unentdeckt, schließlich erfährt man nie von unaufgeklärten Verbrechen, auf welchem Geschäftsfeld auch immer. Weshalb auch dieses Verbrechen aufgeklärt und bestraft werden musste, es war immerhin ein Verbrechen und da wir ausschließlich aufgeklärte Verbrechen kennen und es folglich keine unaufgeklärten Verbrechen gibt, musste auch dieses Ereignis bereits zum Zeitpunkt der Ereignung zu den aufgeklärten Verbrechen gezählt werden, da die Aufklärung nie fehlt, sondern nur nachgeholt wird oder später stattfindet, sie also nur eine Frage der Zeit ist, was wiederum zumindest allen Kennern nichtchronologischer Zeitzusammenhänge klar macht, worum es hier geht, dass die Doppelgängerei des Freeman lange vor der eigentlichen Aufklärung mit Recht als aufgeklärt gelten musste. Aufklärung zieht Bestrafung nach sich, was Grund für die späteren Entwicklungen auf dem Gebiet der Freeman-Doppelgängerei und Freemandarstellung gegeben haben wird.

Doch eine Strafe sorgt nur dafür, dass alles, was wir zu Recht erklären und für Gerechtigkeit halten, nicht folgenlos verletzt wird. Die Handlung selbst und ihre Konsequenzen schafft die angemessenste Strafe nicht aus der Welt. Was der eigentliche Grund gewesen sein wird, weshalb die Verdopplung von Menschen unter Strafe gestellt wurde, vielleicht sogar von einem weisen Zaubererkönig selbst, der die Gefahr schon in den grauen Vorzeiten eines goldenen Zeitalters voraus spürte oder erahnte. Doch die Menschen verdoppelten sich weiter und es musste eine gemischtgeschlechtliche Gruppe gutaussehender mythischer Helden gebildet werden, die alle Doppelgängerei mit Magie und Schwert bekämpft. Doch die Menschen verdoppelten sich weiter in Unkenntnis oder Furchtlosigkeit. Selbst Martin Freeman mit all seiner typischen Verstellungskunst, die in Filmen zu sehen ist und hinter der charakterliche Verschlagenheit steht, selbst der verschlagene also gerissene und clevere Freeman konnte der Versuchung zur Verdopplung nicht widerstehen.

So hatte es zu den Verwechslungen kommen können. Das erklärte das Verwechseln, erklärte, wie es zu den Verwechslungen kommen konnte und zum Verwechseln der Verwechslungen, was nach Teilung der Freemanschen Typen in Freemans und Freeman-ähnliche eigentlich nicht mehr hätte passieren dürfen. Die einzige logische Möglichkeit bestand darin, dass es erst eine Verdopplung gab, die danach irgendwann entdeckt, bestraft und aufgehoben wurde. Wahrscheinlich von einer zaubermächtigen Wesenheit, vielleicht sogar einer außergewöhnlich gut aussehenden Heldin á la Artemis oder Athene. Die bei einem Routinescan diese menschliche Doppelgängerei entdeckte und über sie herfiel, die fiel über Martin Freeman her mit Schwert und Speer, mit Spruch und Bann, mit Flammen und Blitzen! Und vernichtete Martin Freeman und sein Duplikat und zerstob die Asche im Wind. Denn wenn Martin Freemans Doppelgänger ungleich Martin Freemans Doppelgänger, wie meine Freundin erfolgreich glaubhaft machte, als ich Freemans Doppelgänger zeigte und benannte, und wenn weiterhin Martin Freeman nicht identisch ist mit Martin Freeman, was nach neuerlichem Zeigen und Benennen meinerseits und ihrer Richtigstellung dieser Falschheit andererseits ebenfalls klar war.

Dann existierten offensichtlich mittlerweile weder Martin Freeman noch sein Doppelgänger. Dann waren die so was wie Freemandarsteller, exakt angefertigte Durchschnittsmenschen mit verschlagenen Durchschnittsmenschgesichtern, die mit 15 % der männlichen und weiblichen Menschheit die Eigenschaft teilen, dem Freeman zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Menschliche Gesichter so unfertig und rudimentär, dass der Betrachter automatisch das Gesicht visuell vervollständigt und also ein Freemangesicht sieht, wenn er erwartet, ein Freemangesicht zu sehen.

Hunderte Millionen verwechselbarer Schaufensterpuppengesichter weisen mit Freeman eine hinreichende Ähnlichkeit auf, um den Betrachter zu täuschen. Schaufensterpupppengesichter, die von überirdischen und unterirdischen Bandarbeitern im Fließbandprozess der regelmäßigen Erderneuerung auf Menschenkörper gesteckt werden, weil für Detailarbeit gar keine Zeit mehr bleibt angesichts der menschlichen Reproduktionsrate, weisen mit Freeman eine ausreichende Ähnlichkeit auf, um den Betrachter zu täuschen.

Eine Tatsache, die das Phänomen der Freemandarstellerei erklärt, nachdem das Freeman-sein und das wie-Freeman-aussehen aus der Welt geschafft wurden in einem spektakulären Endkampf. Bei dem die mythologische Superheldin im typischen Kampfdress ihrer Zeit, Helm und Lendenschurz, gleichzeitig gegen Martin Freeman und Martin Freemans Doppelgänger kämpfte, hart und unfair bekämpft wurde, fast ihr Leben verlor, sich aber beim Gedanken an Ethik und Moralvorstellungen erholte. Mit neuer Kraft beide zurück drängte, in einem furiosen und perfekt ausgeleuchteten Gefecht, das sieben Minuten und 23 Sekunden dauerte, langsam die Oberhand gewann und Freeman und Freemans Doppelgänger schließlich schlug, in hochauflösenden Feuerbällen verbrannte und ihre Asche in den Wind zerstob.

So verschwanden die Freemans und Freeman-ähnlichen aus der Welt. Was blieb, war die Erwartung der Zuschauer, Freeman zu sehen. Ein nichtgedecktes Bedürfnis des Menschen ist wie ein Vakuum, das neue Beschäftigungsfelder schafft, indem es die Kraft der Bedürfnisse nutzt, um bedürfnisdeckende Jobs aus anderen Dimensionen zu ziehen. Freemandarstellerei. Ein unwahrscheinlicher Job, der möglich wurde, weil er nötig war.

Heutzutage lässt sich leicht vorstellen, wie Freeman von beliebigen Menschen diversen Geschlechts mit rudimentären Schaufensterpuppengesichtern gespielt wird. Vor zehn Jahren wäre der Gedanke undenkbar gewesen. Studiochefs und andere abgefeimte Entscheider der Unterhaltungsbranche kennen den Effekt schon länger und holen den Zuschauer als Mensch dort ab, wo er zu stehen beliebt.

Beim Bedürfnis, Martin Freeman zu sehen. Der Freeman-Effekt führte zur Freemandarstellerei. Die Gemeinde hält Freemandarsteller für Martin Freeman wegen der Erwartung, Martin Freeman zu sehen. Was so ungefähr auch hinkommt, obwohl es nicht eigentlich richtig ist, steckt darin ein Körnchen abstrakter Wahrheit, denn das entscheidende Merkmal von Freeman ist ja bekanntlich und laut Schauspielerkompendium III das Fehlen jeglicher Merkmale. Nicht jeder aber viele können aussehen wie Martin Freeman oder als Freemans wahrgenommen werden, vor allem, wenn sie in Filmen spielen, die mit Freeman besetzt sind, obwohl Freeman nachgewiesen nicht mehr existieren kann. 15 % der Weltbevölkerung. Vielleicht ist ein Nachbar, Kollege, Freund oder Geliebter ein verdeckter Freemandarsteller.

Dessen dreiste Anmaßung der Vermehrung des Menschlichen ohne Tragzeit, Geburtsschmerz und Entwicklungskosten sich für Martin Freeman nicht lohnte : bald kamen zauberkundige Wesen höherer Sphären, möglicherweise mit Laseraugen und Flammenschwertern, um Martin Freeman und seinen Doppelgänger zu grillen, bevor sie deren Sternstaubasche über die Ruinen einer vergessenen Wüstenstadt streuten.

Aus der Anekdote lässt sich ein Gleichnis raffinieren. Die Verdopplung des Martin Freeman führte zur Vernichtung des Freeman und zur Vernichtung seines Doppelgängers. Vermehrung führt zur Vernichtung. Existenz zur Nichtexistenz. Was sich leicht nachvollziehen lässt, wenn bedacht wird, dass Martin Freeman nicht wie Martin Freeman aussah und der Doppelgänger nicht wie der Doppelgänger, was wenig Sinn ergibt, wenn sie mit sich selbst identisch gewesen wären.

Und das Gleichnis zum Merksatz verkürzt, lehrt die Arithmetik von Verdoppelung und Strafe : Aus eins mach zwei, aus zwei mach keins.

 

Henry K.,

ich danke dir für deine Rückmeldung, es ist eine faszinierende Erfahrung, einen eben erst eingestellten Fließtext von der Persona eines anderen kritisiert zu bekommen. Beziehungsweise dieses vergleichsweise bunte Durcheinander von Meinungen zu irgendwas mit Literatur, Namedropping und allgemeinliterarischen und forenspezifischen Allgemeinplätzen zu lesen, die in einen Kommentar gewürfelt wurden, der sich vllt tatsächlich selbst Kritik hält, jedenfalls als Kritik ausgegeben wird. ich kann viele Kritiken akzeptieren.

die Qualität der Rückmeldung ist in meinen Augen nicht gänzlich unabhängig von Kritik-Erfahrung und literarischem Wissen, aber ich will auch Kritiken blutiger Anfänger respektieren - also vorgebrachte Kritikpunkte nachvollziehen, mögliche Missverständnisse aufklären (bzw meine Lesart beitragen) und Verbesserungsvorschläge zu denken versuchen, selbst wenn ich den Eindruck habe, solche und sehr ähnliche Anmerkungen bereits sehr oft gelesen und gehört zu haben. Weil ich die Arbeit des Kritisierenden schätze, die auf einen meiner Texte verwendete Zeit und jeden ernsthaften Versuch, sich in eine mglw nicht geläufige fiktive Wirklichkeit einzudenken.

wir leben ja in einer Zeit, die den Eindruck erwecken mag, alles wäre möglich. jeder Tonfall, das Verzichten auf Formalien, deren Sinn sich nicht erschließen oder nach denen zu richten einem als sehr mühsam erscheint. was ich schwer kritisieren kann, weil ich selbst tue und lasse, was ich will.

einige grundlegende Fakten bleiben aber bestehen, für mich zählt dazu, dass eine Kritik, die ich ernst nehme, nicht mit der fröhlichen Mitteilung beginnen sollte, dass der Kritisierende den Großteil des Textes nicht gelesen hat. dem Gegenüber seine Geschwätzigkeit ankreiden und selbst Zeilen um Zeilen über einen Text reden, der dir nicht bekannt ist, hm.

Grüße!

 

gibt im Schreibkontext nix mehr, das mir wichtig genug wäre für Sehnsucht.
[ursprüngliche Antwort vom Team gelöscht]
i

 

Aber sie sagte, das sei ganz klar Martin Freeman und ob ich sie verkohlen wolle.

Moin Kubus,

schön, mal wieder was von Dear zu lesen und den alten Mann zunächst zu einer Verwechselung der (ich erlaube mir den engl. Plural Freemen (bis dato war mir nur die amerikanische Variante „Morgan“ F. bekannt, der es aber wegen seines „Äußeren“ eher nicht sein konnte). Und was dieser neue St. Martin so alles schafft (beeindruckend sein netz“basiertes“ Angebot).

Ja, da ist man schon mal erschlagen von der Tüchtigkeit von anderen … nicht nur von Ratgebern, wie ein erfolgreiches Leben zu gestalten sei. Aber ein bisschen Verfolgungswahn schwingt mir da mit

Immer, wenn ich Martin Freeman sah im letzten Jahr und auf ihn zeigte und sagte: „Martin Freeman“, meinte meine Freundin, das sei nicht Martin Freeman, der Gezeigte sehe ihm nicht mal ähnlich.
ist sehr bedenklich, dass mich freut, dass mich selbst der Morgan F. Recht wenig juckt.

Bissken Flusenlese

... Gleichung Martin Freeman = Martin Freeman als vermeintliche Wahrheiten zu betrachten bzwPUNKT Wahrheiten unter Vorbehalt möglicher Falschheit.

Begann außerdem, auch verrückte Ding ins Auge zu fassen und …
o. Wort

Heute sah ich wieder einen, zeigte drauf und sagte :“Martin Freemans Doppelgänger!“
… sagte: …, Satzzeichen direkt am Wort, ähnlich hier

Dessen dreiste Anmaßung der Vermehrung des Menschlichen ohne Tragzeit, Geburtsschmerz und Entwicklungskosten sich für Martin Freeman nicht lohnte : bald kamen zauberkundige Wesen höherer Sphären, …

Und war ich bis dahin bereits leicht verunsichert gewesen durch die Martin Freemans dieser Welt, weil ich …
das Gewese kann m. E. weg, die zeitliche Dimension wird durchs „bis dahin“ ausreichend dargestellt

Bekanntlich ist es ein extremes und obszönes Verbrechen gegen die menschliche Natur, eine Menschengestalt zu verdoppeln, egal ob die eigene oder die eines Anderen.
Hier ist m. E. der „andere“ (an sich ein Zahlwort, das ursprünglich für „zwei“ stand, was ja noch mitschwingt im anderthalb) nur Attribut wie die „eigene“ eine „andere“ Menschengestalt

Nicht jederKOMMA aber viele können aussehen wie Martin Freeman oder als Freemans wahrgenommen werden, …

Und zum Schluss eine Gleichung, getarnt als Gleichnis
Vermehrung führt zur Vernichtung.
denn schon die eigene große und immer noch wachsende Zahl der Krone der Schöpfung wird dem Anthropozän den Garaus bereiten.

Wie dem auch wird, hat mich gefreut, mal wieder ein Lebenszeichen von Dear zu lesen,

Friedel

 

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