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Maschine
"Maschine"
Ich presse mich an den Erdwall. Der Boden bebt. Mein Helm zittert so auf meinem Kopf, dass ich ihn festhalten muss. Die andere Hand drückt das Gewehr gegen meinen Bauch. Meine Ohren sind seltsam taub von den vielen Explosionen. Wie aus weiter Ferne höre ich das Rattern der Maschinengewehre meiner Kumpane. Dadurch verändert sich meine Wahrnehmung auf eigenartige Weise. Ich komme mir so distanziert vor. Ich bin nur ein
Zuschauer, gehöre nicht dazu.
Mein Blick schweift zu einem Kamerad, der mit zusammengebissenen Zähnen und verzerrtem Gesicht dasteht und schießt. Das Mündungsfeuer blitzt. Die Waffe ruckt in seiner Hand. Plötzlich fetzt ihm eine gegnerische Kugel direktins Auge. Sein Kopf verschwindet in einer Spritzwolke von Blut. Gurgelnd klappt er zusammen.
Ich starre ihn an. Der leblose Körper liegt irgendwie verdreht da. Und da ist sie wieder. Die rettende Hand, die mich vor dem Wahnsinn bewahrt. Das Entsetzen kriecht in mir hoch und bemächtigt sich meiner. Die zweite Hand schubst mich energisch. Ich ziehe mit schrecklich zitternder Hand ein Magazin aus meiner Tasche und schlage es grimmig in mein Gewehr. Die Hände schütteln sich gegenseitig. Entsetzen gepaart mit Wut kann vernichtend sein. Nein, kann nicht vernichtend sein, aber den Vernichtungstrieb wecken.
Irgendwo ertönt ein Schrei. „Vorrücken! Vorrücken!“ Die Soldaten rufen es sich einander zu.
„Vorrücken!“, brülle ich. Irgendwo neben mir taumelt ein weiterer Kamerad getroffen rückwärts und fällt hintenüber. Ein Schrei, der mich erschaudern lässt, entringt seiner Kehle.
„Vorrücken!“, brülle ich erneut, dieses Mal voll Wut und Entschlossenheit. Ich rolle mich auf den Bauch, atme noch einmal tief durch. Dann springe ich auf. Wie eine gewaltige Welle überrollen mich die Eindrücke.
Die Szenerie, die sich vor mir erstreckt, trifft mich immer wieder zutiefst. Überall spritzt die Erde, rennen die Menschen, fliegen die Granaten, die Mörser, die Kugeln. Die Menschen rennen, werfen sich hin, kriechen, robben, stolpern, schreien, brüllen, werfen, schießen, bluten, fallen, sterben. Sterben, sterben, sterben. Ich stehe einfach nur da, stehe inmitten dieses Chaos.
Ein Soldat reißt sich seinen Helm vom Kopf und wirft ihn mit letzter Entschlossenheit auf den Boden. Er ist jung, zwanzig vielleicht. Dann zeigt er den Gegnern den Mittelfinger. Sekunden später kippt er mit einem Loch im Schädel um.
Warum nur sind Menschen in der Lage, sich solch grausame Dinge anzutun?
Irgendwo weit vorne treffen zwei Gegner aufeinander. Sie schlagen wie irre mit ihren Gewehren aufeinander ein. Plötzlich zieht einer von ihnen ein Messer und rammt es seinem Gegenüber in die Kehle. Das Blut sprudelt über die Uniform, über die Hand, die das Messer nicht loslässt. Auch nicht, als der Feind in die Knie geht.
Warum nur weigern sie sich nicht, in den Krieg zu ziehen?
Ein anderer junger Soldat liegt in einem der unzähligen Erdlöcher. Er hat sich
zusammengerollt wie ein Fötus im Leib der Mutter. Er zittert wie Espenlaub. Er schluchzt.
Bei jeder Explosion zuckt er zusammen.
Warum nur halten es Leute für nötig, ein anderes Land zu bekämpfen?
„Granaaate!“
Ein Schrei direkt neben mir. Ich kann gar nicht reagieren, da werde ich schon umgeworfen. Irgendwo ganz nah explodiert es. Ich spüre, wie die Erde zusammenzuckt. In meinen Ohren piept es. Dann regnet der Humus auf mich nieder. Gleichzeitig spüre ich, wie sich meine Uniform voll Wasser saugt. Ich liege in einer Matschpfütze. Verkehrte Welt.
Nicht ist so, wie es sein sollte. Im Krieg wird aus oben unten und aus unten oben.Irgendjemand zerrt an meinen Arm. Erst jetzt bemerke ich den Kerl, der mich umgeworfen hat. Er brüllt mir etwas zu. Ich rappele mich auf.
Dann rennt er los, stürmt dem Gegner entgegen. Ich renne ihm hinterher. Ich weiß, er braucht meine Unterstützung.
Wir alle hier brauchen Unterstützung. Hilfe. Von Geschossen. Von Granaten. Von Panzern. Von Menschen. Vom Land. Von der Welt. Vom Universum. Von Gott.
Als wäre ich eine Maschine klinken sich mein Denken und meine Gefühle aus. Klick. Einfach so. Und ich laufe. Und ich betätige den Abzug. Das Gewehr rattert, rattert, rattert. Endlos. Ich schieße. Erschieße. Eins, zwei, zehn, zwanzig. Immer mehr und mehr und mehr und mehr.
Und das Schlimmste dabei: es erfüllt mich mit Befriedigung. Ich hasse mich dafür. Verachte mich dafür. Bin ich ein Mensch?
Ich werfe mich in ein Erdloch. Reiße das Magazin aus der Waffe, stecke ein Neues hinein.
Irgendwo dazwischen finde ich noch Zeit, eine Granate über meine Schulter zu werfen. Die Erde bebt, die Erde blutet, die Erde weint. Und ich springe auf, wieder bereit zum Töten.
Peng, peng. Zwei Kerzen ausgepustet.
Bin ich ein Mensch?
Was machen diese Waffen aus uns?
Was machen unsere Gegner aus uns?
Was machen unsere Vorgesetzten aus uns?
Was machen unsere Länder aus uns?
Bin ich ein Mensch?
In diesem Augenblick weiß ich es wirklich nicht. Ich laufe nur. Und töte. Töten oder getötet werden. Ich drücke ab.
von Lars Pfau