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Matt in sechs Zügen

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20.03.2003
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Matt in sechs Zügen

Ja, sie könnte die Richtige sein. Robert Ritter hatte die Frau an Tisch vier seit mehr als einer Stunde beobachtet. Er hatte es so eingerichtet, dass er am benachbarten Tisch spielen konnte. Und da ihm sein Gegner rettungslos unterlegen war, hatte er ausreichend Gelegenheit, das Geschehen an Tisch vier zu verfolgen. Sie hatte die erste Partie gegen ihre Gegnerin nach etwas mehr als einer halben Stunde gewonnen, und auch in der Revanchepartie stand sie schon bald auf Gewinn, wie ihm seine gelegentlichen Blicke zum Nachbartisch zeigten. Er hatte mit seinem Gegenüber kurzen Prozess gemacht, nachdem er gesehen hatte, daß die erste Partie an ihrem Tisch beendet war. Das zweite Match hielt er absichtlich ausgeglichen. Er hätte auch dieses Spiel leicht gewinnen können, doch für seine Pläne musste er ein Opfer bringen. Und so bot er seinem hocherfreuten Gegner rasch Remis an, als er sah, daß sie ihre zweite Partie gewonnen hatte.
In diesem Schachverein war es üblich, sich bei den Trainingsabenden nach zwei Partien nach einem neuen Gegner umzuschauen; und so lächelte er sie an und fragte: „Wir sind auch gerade fertig. Hätten Sie Lust, mit mir zu spielen?“
Sie lächelte zurück und sagte: „Sehr gern.“ Er setzte sich an ihren Tisch.
„Ich sehe Sie heute zum ersten Mal hier. Sind Sie neu in unserer kleinen Stadt?“
Ritter entschloss sich, ihr eine Geschichte zu erzählen, die der Wahrheit relativ nah kam. „Nein, ich wohne überhaupt nicht hier. Aber in meinem Heimatverein gab es Ärger. Deshalb bin ich jetzt auf der Suche.“
Sie schaute ihm in die Augen und lächelte schließlich. „Schön. Ich weiß ja nicht, was Sie suchen. Aber ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie eine leicht zu gewinnende Partie Remis gegeben haben, um mit mir zu spielen.“
Robert Ritter grinste verlegen und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Die Frau ist klasse, dachte er. Sie könnte für seine Pläne tatsächlich ideal geeignet sein. Er nutzte die Denkpausen während ihrer ersten gemeinsamen Partie, um sie genauer zu betrachten.
Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Die Frau war ausgesprochen attraktiv. Sie war etwa 30 Jahre alt, hatte eine wildgelockte dunkelbraune Mähne und ein interessantes Gesicht. Sie trug einen etwas zu eng anliegenden, schwarzen Pullover und einen äußerst knappen, knallroten Minirock. In diesem Schachclub, in dem sonst nur graue Mäuse mit Hornbrillen, Schlabberklamotten und lila Halstüchern an den Tischen saßen, war sie ein Paradiesvogel. Sie hatte üppige Formen, und an ihren Augen zeigten sich die ersten Andeutungen von Krähenfüßen. An den Mundwinkeln deutete sich an, was wohl einmal tiefe Falten werden würden. In 15 Jahren wird sie Figurprobleme haben und ein verlebt wirkendes Gesicht, dachte Ritter. Doch was kümmerte ihn das? Heute war sie jedenfalls eine begehrenswerte Frau. Sie war einen Hauch zu ordinär, um wirklich schön zu sein. Aber sie war sehr sexy, und sie spielte verdammt gut Schach - das war genau die Kombination, die Ritter suchte.

Robert hatte im Alter von sechs Jahren angefangen, Schach zu spielen. Sein Vater hatte es ihm beigebracht. Knut Ritter, der nie viel Zeit für seine Familie hatte, liebte dieses Spiel; und er freute sich sehr, als er sah, dass sein ältester Sohn ein ebenso leidenschaftlicher Spieler war. So voll der Terminkalender des Vaters auch war, der Sonntag abend gehörte dem gemeinsamen Schachspiel. Später, nachdem sein Vater gestorben war, wurde Robert klar, dass die Wurzel seiner fanatischen Schachleidenschaft wohl darin lag, dass er nur durch dieses Spiel ein paar glückliche Stunden pro Woche gemeinsam mit seinem Vater verbringen konnte. Robert war kein Wunderkind, doch er lernte schnell und gründlich. Mit zehn Jahren war er seinem Vater ebenbürtig.
Knut Ritter hatte nach dem Krieg eine Kleiderfabrik gegründet. Fabrik war freilich ein hochtrabender Begriff für die kleine Näherei, mit der er Ende der 40er Jahre angefangen hatte. Doch schon bald wuchs der Betrieb, und als Roberts Vater Anfang der 80er Jahre starb, war daraus ein Konzern mit Milliardenumsätzen geworden. Knut Ritter, der seine Schulausbildung abbrechen mußte, weil ihn die Nazis in einen schon verlorenen Krieg schickten, war zu einem der reichsten Männer des Landes geworden. Das Vermögen war so groß, dass auch ein Drittel davon mehr als ausreichend war, um ein Luxusleben ohne Arbeit führen zu können.
So ließ sich Robert nach dem Tod des Vaters, der seine Frau nur um ein knappes Jahr überlebte, von seinem Bruder und seiner Schwester auszahlen. Mochten die beiden den Konzern weiterführen, um noch mehr Geld zu verdienen. Robert interessierte sich nur für zwei Dinge im Leben: Schach und Sex. Das viele Geld würde es ihm ermöglichen, sich ganz darauf zu konzentrieren.

„Ich werde Ihnen ein Remis anbieten, wenn Sie mir Ihren Namen verraten“, sagte er.
„Ich heiße Berger. Heike Berger. Ich werde das Remis annehmen, aber nur, wenn Sie noch eine Partie mit mir spielen. Und natürlich müssen Sie mir auch Ihren Namen sagen.“
Robert Ritter überlegte kurz. Nun, es würde wohl keine Gefahr sein, seinen richtigen Namen zu nennen. Ritter war schließlich ein Dutzendname; und da er mit der Firma seit Jahren nichts mehr zu tun hatte, würde die junge Frau wohl kaum darauf kommen, daß sie gerade mit dem Milliardenerben des Modekonzerns Chevalier spielte.

Sie begannen eine weitere Partie, die wie die erste einen heißen Kampf auf hohem Niveau bot und mit einem Remis endete.
Es war schon nach elf. An den meisten Tischen hatten die Spieler bereits zusammengepackt. Nur an Tisch sieben brüteten noch zwei Männer mittleren Alters über einer äußerst verzwickten Partie. Der Vereinsvorsitzende hatte sich zu den beiden gesetzt. Er sagte nichts, doch es war deutlich zu sehen, dass er auf ein baldiges Ende drängte. Er wollte für heute Feierabend machen. Umso überraschter war Ritter, als die Frau ihn herausfordernd anlächelte und sagte: „Ich hätte noch Lust auf ein Spiel. Na, wie wär’s?“
Ich scheine ihr zu gefallen, dachte er. Na, umso besser. Er wußte, dass er auf Frauen wirkte, obwohl - oder vielleicht gerade weil - er nicht viel dafür tat. Die Natur hatte ihn verwöhnt. Er war groß und wirkte kräftig; dabei hatte er seit der Schulzeit keinen Sport mehr getrieben. Er ernährte sich falsch, er trank zuviel und rauchte noch mehr. Doch sein robuster Körper hatte ihn dafür bisher nicht bestraft. Er hatte ein hübsches Gesicht und selbst die dunklen Schatten unter seinen müde wirkenden Augen waren seiner Wirkung auf die Frauen nicht abträglich. Die Ringe unter den Augen waren die Folge seiner nächtlichen Ausschweifungen. Umso amüsierter war er, als eine seiner Gespielinnen zu ihm sagte, sein Gesicht spiegele die tiefe Traurigkeit, wie man sie von russischen Dichtern kenne. Sei’s drum. Wenn Heike Berger ihn attraktiv fand, konnte das seinen Plänen nur förderlich sein. „Ich fürchte, für eine komplette Partie bleibt wohl keine Zeit. Außerdem spielen wir immer Remis. Wie langweilig. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich hasse unentschiedene Spiele. Hätten Sie vielleicht Lust auf zwei Partien Blitzschach? Bedenkzeit fünf Minuten. Kein Remis. Gespielt wird bis zum Matt oder bis die Zeit vorbei ist. Ach ja, noch etwas: Ich spiele gern um einen kleinen Einsatz. Wenn ich gewinne, darf ich Sie zum Essen einladen. Einverstanden?“
„Warum nicht? Ich spiele zwar lieber richtiges Schach. Aber ab und an eine Partie Blitzschach kann den Kreislauf nur beleben“, sagte sie und blinzelte ihm dabei frech zu.
Das erste Spiel gewann er leicht. Sie spielte zwar hervorragend Schach, doch er hatte in den vergangenen Jahren Tausende Partien „geblitzt“; und so war er ihr in dieser Variante zunächst haushoch überlegen. Sie dachte zu lange nach und verlor durch Zeitüberschreitung. Doch in der zweiten Partie musste er schon wesentlich mehr kämpfen. Sie hielt das Spiel ausgeglichen und zog nun auch sehr viel schneller. Am Ende war es eine Sache von wenigen Sekunden, dass er doch noch gewann. Er jubelte innerlich. Jetzt war er sicher: Die Frau war genau richtig. Das würde ein heißer Tanz werden.

Mit 15 Jahren hatte Robert Ritter seine erste und einzige feste Freundin gehabt. Sie war das hübscheste Mädchen seiner Klasse. Robert freute sich diebisch, daß er sie dem Vorzeigesportler der Schule ausgespannt hatte, einem hirnlosen Schönling mit einer Unmenge Muskeln, der zugleich Schlagmann im Ruderachter des Gymnasiums und Kapitän der Fußballmannschaft war. Es war eigentlich mehr die Herausforderung als das Mädchen, was Robert reizte. Er hätte sie mit Geschenken überhäufen können, doch dieses eine Mal wollte er es allein mit seinem spröden Charme schaffen. Er wunderte sich selbst, wie schnell es ihm gelang, sie ins Bett zu bekommen. Sie hatte auf diesem Gebiet etwas Vorsprung - dank des Muskelpakets. Doch Robert erwies sich als Musterschüler. Nach etwa einem halben Jahr hatten sie alles ausprobiert, was ihnen - vor allem ihm - zum Thema Sex einfiel. Er begann, sich zu langweilen und gab ihr den Laufpass. Sie schrie, sie weinte, sie boxte ihn mit den Fäusten. Wochenlang versuchte sie, ihn umzustimmen, mit dem Ergebnis, dass die beiden nie mehr ein freundschaftliches Wort miteinander wechselten.
Das war Robert eine Lehre. Was für ein Stress, nur um einen Sexpartner zu haben. Künftig würde er sich nur noch auf One-Night-Stands einlassen. Eine heiße Nacht, und dann: Tschüss. Doch auch das wurde ihm im Laufe der Jahre zu lästig. Manche Frauen riefen - entgegen der Abmachungen - später bei ihm an, schickten ihm Geschenke, belästigten ihn am Telefon. Schließlich beschloss er, nur noch mit Callgirls zu schlafen. Für ihn war das eine ganz logische Sache. Sex als Ware, die man bezahlt. Schluss. Keine Gefühle. Eine Freundin brauchte er ebensowenig wie einen Freund.
Achim war sein Freund gewesen. Auch Achim war ein begeisterter Schachspieler, und sie hatten Hunderte von Partien gegeneinander gespielt. Bis Robert Achims Verlobte verführte, um sie am nächsten Morgen aus seinem Bett zu jagen. Wer brauchte schon Freunde?

Sie trank viel während des Abendessens. Sie plapperte munter drauflos und merkte nicht, dass Robert so gut wie nichts über sich erzählte, während er sie unaufdringlich, aber systematisch ausfragte. Er war sicher, daß sie heute noch mit ihm schlafen würde, wenn er das wollte. Aber das war nicht ganz das, was er vorhatte.
Seine Hoffnung, dass sie bei seinem kleinen Spiel mitmachen würde, war weiter gewachsen. Geld würde dabei eine große Rolle spielen können, da war er sich nun sicher. Sie hatte Modedesign studiert, aber die Ausbildung „wegen eines Kerls abgebrochen“, wie sie sagte. Jetzt verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt mit dem kargen Gehalt einer Schneiderin. Sie war nicht arm, aber eine kräftige Finanzspritze würde ihr sicher helfen, ihre Ansprüche in punkto Lebensstil besser zu verwirklichen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dachte Robert. Er schaute ihr direkt in die Augen und fragte: „Hätten Sie nicht Lust auf ein aufregendes Spiel, mit dem Sie 10.000 Mark verdienen können?“
Sie wirkte nicht überrascht. Wahrscheinlich hielt sie sein Angebot für einen Scherz. „Und was ist das für ein Spielchen?“ Er sah sie eindringlich an, um ihr klar zu machen, dass es ihm noch nie so ernst war wie jetzt. „Es ist eine Art Strip-Schach. Ich nenne es Matt in sechs Zügen.“

Bis zum Abitur hatte Robert ein leidlich solides Leben geführt. Er war ein sehr guter, wenn auch leidenschaftsloser Schüler. Das Lernen fiel ihm leicht, obwohl ihn keines der Fächer interessierte. Er ging nur selten in Diskotheken. Lieber spielte er nächtelang Schach. Er war mit zwölf Jahren in den Verein seiner Heimatstadt eingetreten, und schnell schaffte er es in die erste Mannschaft. Er träumte davon, einmal Weltmeister zu werden.
Tatsächlich hatte er viel Talent. Doch es sollte ihm nie gelingen, über den Titel eines Kreismeisters hinaus zu kommen. Was ihm fehlte, war die Lust an der Theorie. „Wer Meister werden will, der muß ganze Bibliotheken von Schachliteratur wälzen“, hatte ihm sein Trainer im Verein gesagt. „Du kannst Dir nicht alles selbst erspielen. Du mußt lesen, lesen, lesen.“
Robert versuchte es, aber es ging nicht. So sehr er das Schachspiel liebte, so sehr hasste er die Schachliteratur. Schach war für ihn nicht ein abstraktes Gedankengebäude, sondern Kampfsport. Fast bewegungslos auf einem Stuhl sitzen und sich den Kopf zermartern, wie man das ebenso regungslose Gegenüber fertig machen kann - das war Schach, der Krieg der Köpfe. Von außen betrachtet wirkte Schach etwa so beschaulich wie Mensch ärgere Dich nicht. Aber im Innern jagte eine Explosion die andere. Das jähe Entsetzen, wenn man plötzlich und zu spät eine Finte des Gegners entdeckte. Der wilde Triumph, wenn man den Gegner in eine ausweglose Situation getrieben hatte. Das, und nur das, war Schach für Robert Ritter.
Ein weiterer Grund dafür, dass er nie den Weg an die Spitze fand, war seine Abneigung gegen das Remis. Er konnte das schale Gefühl nicht ertragen, das eine Partie hinterließ, die nach stundenlangem erbitterten Kampf unentschieden endete. So spielte er immer bedingungslos auf Gewinn und verlor dadurch mehr Partien als nötig.
Nach der Schule, die ihn zwar langweilte, aber immerhin seinem Tagesablauf eine gewisse Form gab, versackte Robert Ritter völlig in seinem Kosmos aus Sex und Schach. Sein Vater wollte, dass er Betriebswirtschaft studierte, um einmal das Geschäft zu übernehmen. Tatsächlich ließ er sich einschreiben, aber das war auch schon das Ende seiner akademischen Laufbahn.
Er entdeckte, daß es eine spezielle Gruppe von Zockern gab. Statt Poker oder Blackjack spielten sie Blitzschach. Das war genau, was er suchte. Nächtelang Schach spielen, ohne Remis, und mit dem zusätzlichen Kick, dass um Geld gespielt wurde. Freilich war dies für ihn kein besonderer Anreiz. Die Zocker spielten um Hunderter. Manchmal fand sich auch jemand, der ein paar Tausender setzte, aber für Robert Ritter waren dies keine Beträge, die sein immenses Vemögen gefährden konnten.
Ein paar Jahre lang genoss er dieses Leben. Er spielte meist bis etwa vier Uhr morgens, dann ging er nach Hause. Häufig bestellte er dann noch ein Callgirl. Den größten Teil des Tages verschlief er.
Doch allmählich begann ihn auch dieser Stundenplan zu langweilen. Bis ihm die Idee mit dem besonderen Spielchen kam. Er hatte zuerst gedacht, seine Idee mit einer Prostituierten in die Tat umzusetzen. Doch nach monatelanger Suche hatte er aufgegeben. Er fand einfach keine, die gut genug Schach spielte. Er hatte deshalb begonnen, sich in verschiedenen Schachclubs nach einer geeigneten Kandidatin umzusehen. Doch auch dort gestaltete die Suche sich schwierig. Zwar fand er jede Menge Frauen, die exzellent Schach spielten, doch keine war ernsthaft in Frage gekommen. Entweder waren die Frauen nicht attraktiv genug, oder es war klar, dass sie sich nie auf sein Spiel einlassen würden. Doch jetzt hatte er ja Heike Berger gefunden.

Sie hatte seinen Vorschlag zuerst entrüstet abgelehnt. Aber er merkte gleich, dass die Kombination des erotischen Spiels mit einer Menge Geld eine faszinierende Wirkung auf sie hatte. Sie wollte, dass er ihr mehr über die Regeln dieses Spielchens verriet, doch er mochte nicht im Restaurant darüber reden. Schließlich fuhr sie mit ihm zu seinem Penthouse am Rande der nahen Großstadt. Er bat sie, auf der Couch Platz zu nehmen, und machte zwei Drinks zurecht.
„Sie wollen mir also 10.000 Mark dafür geben, daß ich gegen Sie Schach spiele und mich dabei ausziehe?“
Er wirkte ernst. Die nächsten Minuten würden entscheiden, ob er endlich eine Partnerin für sein Spiel gefunden hatte, oder ob die endlose Suche weitergehen würde. Er räusperte sich. „Ja, so ungefähr. Wir werden Blitzschach spielen. Nach jeder Partie, die sie verloren haben, werden Sie ein Kleidungsstück ausziehen. Schmuck zählt nicht. Wenn ich richtig beobachtet habe, tragen Sie Schuhe, eine Strumpfhose, den Rock, den Pullover - keinen BH - und einen Slip. Sie werden diese fünf Kleidungsstücke in dieser Reihenfolge ausziehen. Wenn Sie ein sechstes Mal verlieren, werden Sie mit mir schlafen.“
Sie war verärgert. „Davon war bisher nicht die Rede gewesen. Nichts gegen ein verrücktes erotisches Spielchen. Aber ich bin doch keine Nutte.“ Sie wollte gehen.
Er griff nach ihrem Arm, um sie aufzuhalten. „Natürlich sind Sie keine Nutte, aber sehen Sie es doch einmal so: Sie verkaufen sich ja nicht, sondern Sie spielen um den Sex und um das Geld. Schließlich sind Sie eine hervorragende Spielerin und haben beste Chancen zu gewinnen. Wenn Sie verlieren, betrachten Sie es als eine Art Damenopfer. Das Geld bekommen Sie, egal wer gewinnt.“
Sie überlegte kurz und ging dann zur Couch zurück. „Ich gebe zu, das Ganze hat einen gewissen perversen Reiz. Aber was passiert eigentlich, wenn Sie verlieren? Werden Sie auch nach jeder Niederlage ein Kleidungsstück ausziehen?“
„Nein, das wäre ja keine Strafe für mich. Sehen Sie, ich habe mich schon länger auf dieses Spiel vorbereitet und mir eine besondere Maschine gebaut. Kommen Sie bitte einmal mit in das Schachzimmer?“
Sie gingen in den Nachbarraum. Dort war bereits alles vorbereitet. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch mit einem Schachbrett und einer Schachuhr darauf. Auf der einen Seite des Tisches, links neben dem Brett, war eine Metallplatte angebracht, darüber eine Lederschlaufe. Auf der anderen Tischseite gab es eine Art Armaturenbrett mit sechs Knöpfen. An den Tisch gelehnt stand ein brauner Lederkoffer.
Robert Ritter atmete tief durch, dann setzte er seine Erklärung fort. „Sehen Sie hier. Ich werde meine linke Hand auf diese Metallplatte legen und sie mit der Schlaufe festbinden. Nach jeder Niederlage von mir werden Sie einen dieser Knöpfe drücken. Sie sind nummeriert. Wenn Sie diese Knöpfe drücken, werde ich einen Stromschlag bekommen. Nach der ersten Niederlage sind das etwa sechs Volt. Das ist nicht viel. Etwa so wie bei einem elektrischen Viehzaun. Von Stufe zu Stufe steigert sich die Voltzahl. Bei Niederlage Nummer fünf werden Sie mich mit 220 Volt bestrafen. Das ist die normale Haushaltsspannung. Haben Sie schon einmal einen gewischt bekommen, wenn Sie eine Glühbirne auswechseln wollten? Das bringt einen nicht um, tut aber schon arg weh. Sollte ich dann jedoch ein weiteres Mal verlieren, dann drücken Sie Knopf Nummer sechs und jagen mir 20.000 Volt durch den Körper. Wenn das passiert, nehmen Sie das Geld, das ich hier rechts neben das Brett lege, und verschwinden möglichst unauffällig. Dann wird mich wahrscheinlich erst meine Putzfrau finden, die nächsten Mittwoch kommt. Hier ist ein von mir handgeschriebener Brief, in dem ich erkläre, dass ich mir selbst das Leben genommen habe. Den legen Sie dann bitte auf das Schachbrett.“
Sie war mit einem Schlag nüchtern geworden. Ihr Gesicht wurde bleich, und sie musste nach Luft ringen. Sie sagte: „Sie sind ein Wahnsinniger. Ich hätte mit Ihnen Strip-Schach gespielt, und ich hätte auch mit Ihnen geschlafen, sogar ohne Geld. Aber das? Lassen Sie mich nur hier raus, und laufen Sie mir nie wieder über den Weg, hören Sie? Sonst werde ich Sie anzeigen.“
Er hatte mit einer derartigen Reaktion gerechnet. Nun galt es, den letzten, den entscheidenden Zug zu machen. Er nahm den Koffer, der an dem Tisch lehnte. „Entschuldigen Sie. Natürlich können Sie gehen, wenn Sie möchten. Aber bevor Sie die Wohnung verlassen, werfen Sie doch bitte einen Blick hier rein.“ Er öffnete den Koffer, und sie konnte sehen, daß er voller Geldscheine war. „Ich erhöhe das Spielgeld auf eine Million Mark.“ Sie starrte abwechselnd ihn und das Geld an. Mehr als eine Minute lang. Dann grinste sie gequält und sagte: „Bei Gott, Sie sind wahnsinnig. Ich bin dabei.“

Die ersten drei Partien gewann er schnell. Zu schnell und zu leicht, wie er fand. War sie nur nervös, was ja verständlich wäre, oder wollte sie einfach schnell fertig werden? Ruckzuck die Kleider weg, ein schneller Fick und dann mit der Million abhauen? Er wurde ärgerlich. Die nächsten zwei Partien verlor er absichtlich, und die leichten Stromstöße steigerten seine Erregung.
Dann konzentrierte er sich wieder. Er hatte jetzt große Lust, ihre Brüste zu sehen, und als nächstes Kleidungsstück war der Pullover dran.
Doch zu seinem Entsetzen spielte sie nun ausgezeichnet, und er verlor zwei weitere Partien, obwohl er seiner Ansicht nach fehlerlos spielte. Panik kam in ihm auf. Der letzte Stromstoß hatte bereits unangenehm weh getan. Beim nächsten Mal würden es schon 220 Volt sein, und dann drohte bereits das Ende. Junge, konzentrier Dich, mahnte er sich, sonst geht Du hopps, noch bevor das Spiel richtig Spaß gemacht hat.
Doch dann hatte er eine gute Serie. Obwohl er den Eindruck hatte, dass sie mit voller Kraft spielte, konnte er nun zweimal in Folge gewinnen. Sie mußte den Pullover und anschließend den Slip ausziehen.
Er begann zu schwitzen, obwohl der Raum gut temperiert war. Der Anblick der nackten Frau gegenüber steigerte seine Anspannung. Noch ein Sieg, und sie gehört Dir, dachte er. Doch die aufflammende Lust störte seine Konzentration, und er verlor die nächste Partie.
Der Stromstoß machte ihn ziemlich fertig, und er musste fast zehn Minuten Pause einlegen, bis sich sein rasendes Herz soweit beruhigt hatte, dass er weiterspielen konnte.
Das war sie nun, die absolute Entscheidungspartie. Sex oder Tod. Genau wie er es sich schon Tausende Male vorgestellt hatte.
Das Spiel verlief zunächst sehr ausgeglichen. Dann konnte er sich einen kleinen Vorteil erspielen, aber er hatte bis jetzt mehr Zeit verbraucht als sie. Er spielte sehr zügig weiter, um sie noch Matt setzen zu können, bevor seine Zeit abgelaufen war.
Er war kurz davor zu gewinnen, als die Katastrophe passierte. Er wollte schnell seine Dame ziehen, streifte mit dem Unterarm seinen König und warf ihn um. Sein Herz stockte. Dann sagte er heiser: „Mein König ist umgefallen. Sie haben gewonnen. Bitte drücken Sie den Knopf.“
Sie weigerte sich. „Es war ein Versehen und hatte nichts mit dem Spiel zu tun. Das zählt nicht. Spielen wir eine neue Entscheidungspartie.“
Doch er bestand auf seiner Bestrafung und schrie Sie an. „Das Spiel ist vorbei. Drücken Sie jetzt den Knopf oder verschwinden Sie, ohne das Geld. Drücken Sie.“
Sie sah ihn wütend an und sagte: „Wahrscheinlich ist es sowieso besser, wenn so ein perverser Irrer aus dem Verkehr gezogen wird.“ Dann drückte sie auf den Knopf mit der Nummer sechs.

Robert Ritter erwachte mit einem Brummschädel, als hätte er zwei Tage durchgesoffen und dabei eine Stange Zigaretten geraucht. Er versuchte, sich zu erinnern. Sie hatte den Knopf gedrückt. Sollte er einen Stromstoß von 20.000 Volt überlebt haben? Das war unmöglich. Aber was war passiert? Und wo war er hier überhaupt?
Er schaute sich um. Er lag offenbar im Einzelzimmer eines Krankenhauses. Er setzte sich auf und entdeckte dabei einen Briefumschlag auf dem kleinen Tisch am Kopfende seines Betts. „Für Robert Ritter. Persönlich“ stand darauf. Kein Absender. Er machte den Umschlag auf und begann zu lesen:
„Falls Sie sich wundern, dass Sie noch leben: Als Sie sich nach dem fünften Stromschlag eine Weile erholen mussten, habe ich mir Ihre perverse Konstruktion etwas genauer angeschaut. Ich verstehe ein wenig davon. Der Kerl, von dem ich Ihnen erzählt habe, Sie wissen schon, der Typ, wegen dem ich mein Studium aufgegeben habe, war Elektriker. Ich habe dann einfach die Kabel ausgetauscht, die von den Knöpfen fünf und sechs zu Ihrer blöden Maschine gingen. Als ich dann Knopf Nummer sechs drückte - auf Ihren Befehl, wohlgemerkt - bekamen Sie also nur nochmals einen Stromstoß von 220 Volt verpasst. Dennoch wurden Sie gleich ohnmächtig. Ich schleppte Sie ins Wohnzimmer und rief einen Krankenwagen. Eigentlich wollte ich Sie zuerst in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen. Aber erstens mag ich Sie trotz allem ein wenig, und zweitens hätte ich ja auch meine peinliche Rolle in Ihrem perversen Spielchen beichten müssen, wenn ich den Irrenärzten von Ihrem merkwürdigen Zeitvertreib berichtet hätte. Dennoch denke ich, dass Sie dringend einen Therapeuten aufsuchen sollten. Sie sind krank! Ich wünsche Ihnen gute Genesung - körperlich und geistig - und sage
Auf Nie-mehr-wieder-Sehen
H.
P.S. Das Geld habe ich mitgenommen. Ich glaube, ich habe es mir mehr als verdient.“

Robert Ritter lächelte. War schon in Ordnung, die Frau. Auch wenn sie sich nicht ganz an die Spielregeln gehalten hatte. Ihr verdankte er es, dass er noch lebte; und noch wusste er nicht so genau, ob er sich darüber freuen sollte.
Er klingelte nach der Schwester. Sie war eine hübsche Rothaarige mit Sommersprossen und einem sympathischen Lächeln. „Schwester, könnten Sie mir bitte eine Hunderterpackung Aspirin bringen? Mein Kopf zerplatzt“, sagte er. „Ach ja, und bitte bringen Sie mir ein Schachbrett.“
Sie strahlte ihn an. „Sie lieben Schach? Ich spiele seit meinem fünften Lebensjahr - und gar nicht schlecht, glaube ich. Ich bin zwar nie in einen Verein gegangen, aber mein Bruder war mal Stadtmeister, und gegen mich hat der nie eine Chance gehabt. Vielleicht können wir ja mal eine Partie spielen?“
Robert Ritter grinste sie an: „Das werden wir, meine Liebe, das werden wir.“

 

Hallo John,

gute Geschichte. Vielleicht ist sie hier manchen zu lang - fluch des internets - aber ich fand sie gut geschrieben, sauber und interessant. Hat mich schon sehr interessiert wie sie ausgeht. Manches fand ich etwas zu glatt - der reiche lebemann, die heiße schönheit, aber im rahmen.

den schluß fand ich zuerst etwas gekünstelt - hat er nicht gemerkt, dass sie die kabel wechselt? der letzte absatz versöhnte mich dann wieder.. er kanns nicht lassen..ja, das passt zur geschichte..

falls es noch keiner gesagt hat..willkommen auf kg.de.. und resonanz kommt auch oft daher...das man selbst kritiken abgibt..also schau mal bei den anderen rein..dann machen sie es auch vermehrt bei dir..

viele grüße, streicher

 

Hallo Streicher,

vielen Dank für Deine Kritik. Ich nehme mir Deine Mahnung zu Herzen und werde mich auch selbst unter die Kritikaster mischen. Allerdings habe ich in diesen Tagen wenig Zeit, weil ich am Wochenende umziehe. Aber danach werde ich gern Einiges lesen und bewerten.

Gruß, John Robbins

 

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