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Max Dauthendey und die Birken
„Du fragst mich, Kind, was Liebe ist? Ein Stern in einem Haufen Mist.”, ließt mein bester Freund Emil, der es für natürlich hält nichts anbrennen zu lassen, laut vor. ,,Von Heinrich Heine.”, setzt er noch schnell hinzu.
Einige lachen. Das ist bisher das lustigste Zitat über Liebe gewesen, das wir in unserer Montagsstunde Deutsch erlebt hatten.
Emil grinst selbstbewusst.
Die Klasse hatte Zitaten von Shakespeare über Julia Roberts bis Otto Falke gelauscht und war nun auf das meinige gespannt. Das, von dem komischen Typen, der in der Schul Bibliothek angemeldet ist und dauernd liest. Ich glaube so sahen mich die meisten.
Kein Wunder.
Ich bin schmächtig und schlaksig und KEIN HipHopfan. Außerdem bin ich Brillenträger.
Ich spüre alle Blicke in meinem Nacken kribbeln, als die Lehrerin mich aufforderte mein Zitat vorzulesen. Ich kann schon fast eine verächtliche Stimme hören:,,Was is ‘n das für’n Scheiß?”
Doch weil ich es gewohnt bin, hole ich tief Luft und lese: ,,Die Behauptung, ein Mann könne nicht immer die gleiche Frau lieben, ist so unsinnig wie die Behauptung, ein Geiger brauche für dasselbe Musikstück mehrere Violinen. Von Honoré de Balzac.”
Einiges Gemurmel, nervöses Kichern, aber keine lauten Rufe sind die Reaktionen.
Die Lehrerin herrscht alle an gefälligst ruhig zu sein.
Große Pause.
Ich wende mich entgegen dem Strom der anderen in Richtung Bibliothek. Ich bin meist der Erste der reinkommt. Ich nehme das Buch aus dem Schrank, das ich gestern angefangen hatte zu lesen und lasse mich auf das Sofa im hinteren teil des Raumes fallen.
Lammkeule und Kuschelmuschel von Rohald Dahl. Ein interessantes Buch.
Doch, ich lese nicht, denn eben habe ich eine Stimme gehört.
Es ist Aglaia.
Ihr Name bedeutet im Griechischen Glanz oder Schönheit.
Er passt wunderbar zu ihr.
Sie hat schulterlange schwarze Korkenzieherlocken, bleiche Haut und klare grüne Augen. Sie hat die Bibliothekarin begrüßt.
Ich liebe sie.
Ich mache mir keine Hoffnungen je ihr fester Freund werden zu können.
Ich beobachte sie. Sie stöberte kurz durch die Regale nimmt ein Buch heraus und lässt sich neben mir auf das Sofa fallen. Es ist wenig Platz. Ich schlucke.
Sofort sind wir in ein im Flüsterton gehaltenes Gespräch verwickelt. Eigentlich halten wir die Bücher nur in den Händen damit wir nicht raus auf den Schulhof müssen. Hier ist man zumeist in besserer Gesellschaft.
Plötzlich schweigen wir. Ich weiß nicht was ich sagen soll und vergrabe mich deshalb wieder in meinem Buch. Aglaila tut es mir gleich.
Ich kann mich jedoch nicht konzentrieren. Ich habe eine Zeile jetzt bestimmt schon fünfzehn mal gelesen ohne ihren Sinn zu begreifen.
Sie macht mich nervös. Auch jetzt. Wenn ich so nah bei ihr sitze, dass ich jede ihrer Wimpern zählen kann.
Ich sehe das Buch, das sie liest. Die acht Gesichter am Biwasee, von Max Dauthendey, ist ein relativ kleines Buch.
Ich habe Blick auf ihren Schoß. Sie trägt einen Rock, der eine genaue Vorstellung ihrer schlanken Beine in mein Hirn projeziert.
„Klar, hat sie schlanke Beine!", denke ich beschämt und wende mich wieder meinem Buch zu, „Schließlich tanzt sie."
Aglaia tanzt sehr gut, vorallem Ballett.
Aglaia klappt ihr Buch zu.
Sie hat was gemerkt.
Ganz sicher.
Sie denkt jetzt sicher dass ich pervers bin.
Mein ganzer Körper ist verkrampft.
Aglaia steht auf, stellt das Buch weg und kommt nicht zurück.
Ich bin ein Idiot.
Ein verdammt blöder Idiot.
Ich gehe raus auf den Schulhof. Aglaia steht bereits bei ihren Freundinnen. Sie wirft ihr Haar zurück. Es leuchtet in der Sonne. Emil stellt mir gerade seine neuste Errungenschaft vor (Laura).
Die Schule dauert für mich nicht sehr lange.
Ich denke ständig an Aglaia. Sie hasst mich jetzt sicher.
Was könnte ich tun?
Ich beschließe mich bei ihr zu entschuldigen.
Aglaia hat an diesem Tag eine Stunde mehr als ich. In dieser Stunde plane ich genau was ich sagen will.
Ich höre die Schulglocke läuten. Jetzt wird es ernst.
Ich warte. Unter den Schülerscharen sehe ich einige ihrer Freundinnen, aber Aglaia selbst sehe ich nirgends.
Mir wird schlecht.
Wo ist sie bloß?
Vielleicht hatte sie noch eine Frage beim Lehrer...
Doch selbst als die letzten Schüler weg sind sehe ich sie nicht.
Ich betrete noch mal den Schulhof.
Aglaia sitzt unter den zwei Birken.
Allein.
Ich zögere kurz, gehe dann doch auf sie zu. Wir sitzten da und schweigen.
„Was verdoppelt sich wenn man es teilt?", fragt Aglaia. Ich habe keine Ahnung worauf sie hinaus will. Ich sehe in ihre grünen Augen und werde hineingesogen. Ich zucke mit den Achseln.
„Liebe", sagt sie.
Erst ein paar Momente später begreife ich das ich sie küssen muss.