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MeepMeep (Gefühlvolle Schilderung)
MeepMeep
Wenn der Gong zur Pause ertönte und alle seine Mitschüler wie geölte Blitze aus dem Klassenraum stürmten fühlte sich Marcus hin- und hergerissen.
Er wartete ab, um nicht von Max oder dessen Freunden angerempelt und als Walross oder dicker Mops beschimpft zu werden. Auf dem Schulhof hatte Marcus oft Angst.
Dennoch zog es ihn seit ein paar Wochen magisch hinaus. Gleich neben dem Schulgebäude gab es einen Park und dort wartete auf Höhe einer verwitterten Bank jeden Vormittag zur großen Pause eine grauweiss gestromte Katze auf ihn.
Anfänglich hatte sie noch scheu zwischen sich und Marcus Abstand gehalten und "meep meep" gerufen, als wollte sie vornehm höflich grüßen.
Bei ihrer ersten Begegnung hatte Marcus noch über sie gelacht und gespottet: „kannst du nicht richtig Miau sagen?“ Und dann hatte er sich zu ihr heruntergebeugt und gefragt „wie heißt du? Woher kommst du?“ und sie hatte selbstbewusst „meep meep“ geantwortet.
Bei jedem weiteren Treffen verringerte sie den Abstand.
Seit ein paar Tagen lief sie, sobald sie Marcus erkannte, mit eiligen trippelnden Schritten auf ihn zu und strich eng um seine Beine.
"Guten Tag, MeepMeep", sagte Marcus und blieb stehen, weil er befürchtete, die Katze versehentlich zu treten, die ungestüm seine Beine umrundete und ihren schmalen Körper bei ihm anschmiegte. Marcus ging vorsichtig in die Hocke und wartete ab, ob sich MeepMeep von ihm streicheln ließ.
Aber heute setzte sich die Katze majestätisch vor ihm hin und blickte ihm direkt in die Augen. "Meep meep." Es klang als forderte sie etwas. "Hast du Hunger?“
"Meep meep", lautete die Antwort. Marcus suchte in seinen Jackentaschen nach Essbarem und förderte ein Kaugummi zu Tage. Das wickelte er aus und hielt es der Katze vor die Nase. Die beugte ihr Köpfchen vor, schnupperte begierig daran und richtete sich dann hoheitsvoll auf. "Meep meep."
Marcus seufzte. "Du magst kein Kaugummi, stimmts? Kann ich verstehen." Voller Erwartung ruhten die Augen der Katze auf Marcus. "Ich weiß was. Wir laufen schnell zu mir nach Hause und dort bekommst du eine Fischdose aufgemacht." Marcus hatte besänftigend über den Rücken der Katze gestreichelt, die einen kleinen Buckel machte. Marcus hob die Katze auf und schob sie ungelenk mit dem Kopf voran in seine Jacke. Dann zog er den Reissverschluss bis auf Brusthöhe hoch.
Die Katze hatte sich gedreht und ihren Kopf aus der Jacke geschoben und schaute neugierig umher. "Du brauchst keine Angst haben, MeepMeep", sagte Marcus, "ich bringe dich wieder zurück." Er streichelte über den Kopf der Katze. Mit der anderen Hand hielt er den warmen Katzenkörper an sich gedrückt.
Marcus verließ den Park. Nach Hause war es für ihn nicht weit, er musste nur diese Straße überqueren und die nächste rechts rein. MeepMeep hatte vertrauensselig ihr Köpfchen in Marcus Handfläche gedrückt und er spürte das seidige Fell und ihren Atem.
Er wartete am Straßenrand, um ein paar Autos vorbei fahren zu lassen als der defekte Auspuff eines roten VW-Busses genau vor ihm ohrenbetäubend knallte. Marcus fuhr zusammen und noch bevor er etwas tun konnte, hatte die Katze sich in panischer Angst in sein T-Shirt gekrallt, um sich aus der Jacke zu befreien und direkt auf die Straße zu springen.
"Meeeeeeep!", schrie Marcus und rannte hinter ihr her, aber er trieb sie damit direkt vor ein Fahrzeug, dessen nicht enden wollendes Reifenquietschen klang als würde eine gefolterte Katze in höchster Pein schreien.
Der Wagen hielt endlich an. Direkt neben einem der Hinterräder lag MeepMeep, die Vorderpfoten weit von sich gestreckt als wollte sie nach etwas Unerreichbarem greifen. Das Hinterteil war unnatürlich verdreht und es ragte aus ihm ein blutiger Knochen heraus. Ihre Augen waren geschlossen als schlafe sie. Marcus warf sich zitternd auf die Knie und beugte sich dicht über sie. "MeepMeep!" Mit schreckgeweiteten Augen suchte er nach einem Lebenszeichen. Ein kaum merkbares Zittern durchzog ihren Körper, ihr Brustkorb hob sich an und als er sich senkte, vernahm Marcus einen leisen Klagelaut. "Meep."