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Mein letzter Mord
Es war kein wirkliches Krachen. Eher ein Knirschen. Als ob man den Chitinpanzer eines Insekts zertritt. Nur viel lauter. Berstender. Das Zertretenwerden eines Chitinpanzers durch einen Lautsprecher. Es war nicht das Blut, das aus seiner zerschmetterten Nase strömte, das mich würgen ließ. Blut macht mir nichts aus. Es war auch nicht dieses Geräusch. Es war auch nicht sein Blick. Dieser seltsam überraschte, hilflose, ratlose und zugleich wissende Blick aus weit aufgerissenen Kinderaugen. Er wusste, dass er sterben würde. Aber nicht, warum. Und am Allerwenigsten, warum ich ihn richtete.
Ich kannte diesen Blick. Ich habe ihn oft gesehen. Ich habe oft getötet.
Es hat mir nie leid getan. Gerade eben hatten wir noch zusammen gefrühstückt. Ich hätte ihm die Nase nicht brechen müssen. Ich hätte es gleich beenden können. Er wäre weg gewesen, ehe er es gemerkt hätte. Aber er sollte merken, daß seine Zeit gekommen war. Michel wollte es so. Er sollte bluten.
Es machte mir keinen Spaß. Er war kein böser Mensch gewesen. Nein, das war er ganz und garnicht. Sein Blut spritzte heiß auf die weiße Tischplatte, als das Käsemesser seine Halsschlagader durchtrennte. Mein Kehlkopf schmerzte.
Ich ging ins Badezimmer. Kalt strömte das Wasser über meine Handgelenke.
Killer weinen nicht.
Silvana, Sheila und Robert. Wären Silvana und Sheila Männer gewesen, man hätte sie das "Triumvirat" genannt. So waren sie einfach "Die Drei". Das Erfolgsgespann. Die Siamesischen Drillinge. Die, denen alles gelang. Die, die jeder beneidete. Die, denen jeder wünschte, daß sie einmal, nur ein einziges Mal in ihrem Leben in die Scheiße treten würden.
Sie kannten sich seit dem Studium. Sie kamen aus wohlhabenden Familien. Sie hatten alles.Sie waren die Helden der Werbung. Ihre Agentur war der Olymp. Und genauso hieß sie auch. Ihnen gelang alles. Einfach alles. Und dabei sahen sie auch noch gut aus.
Sagte Michel.
Ich hatte noch nie von den Dreien gehört. Aber Werbung war auch nicht mein Metier.
"Neid ist eine hässliche Sache", sagte Michel.
Seine Knie stießen unter dem Bistrotisch gegen meine. Ich hatte Lust, sein Gesicht in den Teller mit toskanischer Tomatensuppe zu drücken.
Ich hatte außerdem Lust, ihm zu widersprechen:
"Nein, Du blöder, frustrierter Affe. Neid ist eine ganz natürliche Sache. Was glaubst du, wie oft ich in meinem Leben schon neidisch war. Was glaubst du dämlicher Arsch, wo ich jetzt ohne Neid wäre? Ganz sicher nicht hier. Ganz sicher nicht in Klamotten, die 1000 Euro kosten, und nicht in Schuhen für 500."
Stattdessen deutete ich ein teilnahmsloses Lächeln an.
"Kennst du diese Leute, die alles haben?"
"Die kenne ich", sagte ich, und dachte komischerweise an mich.
"Aber meistens schaut es nur so aus."
Michel lachte bitter. "Nein. Das sagen nur die, die sich vor ihrem Neid schützen wollen."
"Geht es um alle drei? Oder nur um einen von ihnen?"
Der Typ sollte endlich zur Sache kommen. Ich wollte nach Hause, eine Flasche Pinot Noir tanken und den dritten Teil von "Liebe, Lügen, Leidenschaften" glotzen. Sein plattes Palaver interessierte mich einen Scheiß.
Vertraulich beugte er sich nach vorne.
"Aber sie funktionieren nur zu dritt." Ein wissendes, leicht verzerrtes Grinsen verbreiterte seinen Mund. Ich lachte, weil ich mir vorstellte, ihn in seiner Suppe zu ertränken.
Nur einer von ihnen sollte sterben. Ich verstand, warum Michel so viel zahlte. Dieser Fall war anders. Ich sollte nicht nur töten, an mir lag es, zu entscheiden, wer getötet werden sollte. Ich hatte noch nie entschieden, immer nur ausgeführt. Jetzt lag es an mir: Silvana, Sheila oder Robert. Der Gedanke, zu entscheiden, machte mir Angst. Ich hatte schon so lange keine Angst mehr gespürt. Ich hatte überhaupt schon sehr lange nichts mehr gefühlt. Ich sagte zu.
Ich ließ mir Zeit. Beobachtete. Lernte kennen. Silvana und Sheila ließen mich kalt. Robert brachte mein Herz zum Klopfen. Sein Lachen war warm und tief.
Ich schloss Roberts todesstarre Augen. Die Haut seiner Augenlider war zart und noch immer warm.
Killer weinen doch.