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Meine erste Zigarre
Der feine Duft lockt von weitem, es scheint, als läge eine ganze Ära des Genusses in der Luft. Leise, dünne Schwaden ziehen durch den Raum, gelangen in meine Atemwege und umspielen meine Geruchsnerven. Im Hintergrund läuft ein glatter, rhythmischer Blues, ein einsamer Pianist vertieft an seinem Instrument spielt ihn.
Ja, es ist genau der richtige Moment. Der richtige Moment für eine schöne kubanische Zigarre.
„Garcon!“
Ich schwinge meinen gepflegten Hintern an einen leeren Tisch mit Ausblick auf die Theke, das Reich des Barkeepers, der gerade einer blitzenden Edelmarmorplatte einen noch größeren Glanz zu verleihen versucht. Ich lehne mich zurück, schlage die Beine übereinander und werfe den Kopf stilvoll zurück. Da kommt auch schon der kleine, schwule Franzose, um meine Bestellung aufzunehmen.
„Einen Cognac und eine Panatelas“
Es dauert nicht lang und das silberne Tablett mit der Zigarre liegt neben dem Schwenkglas in dem der Cognac ruhig zum Rhytmus der Musik wippt. Der Karte entnehme ich, dass die kostbare Ware aus getrockneten Blättern in einem Humidor aus Zedernholz gelagert wurde. Zedernholz...kennerisch beschnüffle ich den Mantel der Zigarre. Ja ich rieche es. Das Aroma eines frisch gerösteten Zederzapfens...und....war das nicht ein Hauch von Mahagony?
Unter einem kurzen, knackenden Laut trenne ich einen dünnen Teil der Zigarre. Ich ziehe mein metallenes Edelfeuerzeug aus der Tasche, lasse es klackend aufspringen, führe die Zigarre zum Mund und entflamme den getrockneten Tabak. Ein kurzer Zug lässt das Ende kurz aufglühen. Ich hauche eine kleine Wolke aus, die sich zu dem Gemisch des allgemeinen Rauches aufsteigt und schließlich erhaben über ihm thront. Ich mache einen weiteren, jedoch genießerischen Zug und schmecke erneut Zeder und Mahagony, dieses Mal intensiver. Entspannt überlege ich, dass dieser absolute Genuss auch meiner Lunge nicht verwährt bleiben sollte.
Ein langer Zug saugt Rauch durch Hals und Atemröhre bis tief in meine Lunge, dringt ein bis weit in die Kapillaren, nimmt jeglichen zur Verfügung stehenden Raum ein, durchflutet den letzten Kubikmillimeter. Ich schließe meine Augen, lasse mich fallen und von Rauchschwaden auffangen.
Ich spüre, wie sich der Tabak entfaltet. Ich kann ihn fühlen; zwischen meinen Fingern reibe ich die getrockneten Blätter, hebe sie zu meinem Gesicht, will ihren köstlichen Duft noch weiter in mich aufnehmen. Mein inneres Auge öffnet sich. Ich erkenne stolze Farmer auf den Feldern, wo der Tabak sich der Sonne entgegenräkelt. Sehe ihre von Schweiß benetzte Haut, die in der Sonne blitzt. Ich kann ihn riechen, ich kann ihn schmecken, schmecke einen Teil ihres Stolzes auf die majestätische Frucht.
Ich dringe tiefer ein in das Geheimnis der Zigarre. Das Bild der Farmer verschwimmt und mit einem Mal taucht ein lichter Wald aus Zedern auf. Kein Zweifel: Es ist der Humidor. Ich kann ihn deutlich schmecken.
Ich wandere unter den Kronen der Bäume, atme die kühle Waldluft ein, sehe die Spitzen, wie sie spielerisch im Wind wiegen. Ich sehe wie sich Vögel auf den Ästen niederlassen und fröhlich ihre Lieder daher plänkeln. Der Wald endet und eine Lichtung öffnet sich vor mir, eine Wiese mit sattem, saftigen, grünen Gras auf das die Sonne meines inneren Glückes scheint.
Ich springe durch die Wiese, ich rufe meine vor Glück strotzenden Gefühle aus mir heraus, springe den Wolken entgegen, schwebe fast und lande dann wieder unter einem sanften Knacksen auf dem Erdboden. Ein sanftes Knacksen? Verwirrt blicke ich auf den Boden. Zu meinen Füßen liegt ein vollständig aufgetretenes Wespennest.
Spät erst begreife ich, was mit mir geschieht, schon höre ich das Surren der wild gewordenen Tiere in meinem kalten, schweißigen Nacken, höre es ganz nah an meinem Hals, merke wie sich die Stacheln hunderter Wespen gleichzeitig in die Haut unterhalb meines Kropfes bohren, merke wie sich mein Hals zuschnürt, wie lebensnotwendige Luft nur langsam in meinen Körper gesogen wird. Zusammensinkend und röchelnd, versuche ich mir gierig Atemluft das kostbare, lebensnotwendige Element zuzuwedeln. Doch bevor genügend meinen Körper erreicht entledigt sich eben dieser des Stoffes unter einem fürchterlichen, fast unmenschlichen Husten und Prusten.
Ich werde herausgeschleudert aus meinen Dimensionen, Visionen, Halluzinationen. Wiese und Wald verschwinden. In rasendem Tempo sehe ich mich in die anfänglichen Räumlichkeiten zurück fliegen, sehe wie die Bedienung vor mir steht, mich ängstlich beäugt und mit ihren Lippen wieder und wieder für mich unverständliche Wörter in die Luft formt.
„Monsieur? Geht es Ihnen gut?“
Ich falle zurück in die Träume, höre durchdringendes Brummen um mich herum.
Es dauert Stunden, so scheint es, dann erst merke ich, wie sich das energische Drücken in meinem Hals allmählich lockert. Ich blicke mich um und sehe die Gesichter zahlreicher verdutzt schauender Leute um mich herum.
Der Cognac vor mir schwappt immer noch geruhsam hin und her. Ich greife ihn, stürze ihn in wenigen Zügen meinen Rachen hinunter, krame hastig das zu zahlende Geld aus meiner Tasche und suche eiligst den Weg zum rettenden Ausgang. Zwanzig Meter hastende Schritte, Einordnen in den Strom der Menschenmengen, stehen bleiben, hektisches, skeptisches Umsehen, vielleicht ist jemand gefolgt. Das Herz rast noch eine Weile hin und her in meiner Brust, bevor es sich irgendwann genehmt ein langsameres Tempo anzuschlagen. Dann erst ein langes, tiefes Ausatmen.
"Nie wieder Zigarren."