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Meisterin der Demotivation
„Meister der Demotivation gesucht“. Conny konnte nicht glauben, was sie las. Die Anzeige war sexy minimalistisch: eine Zeile, eine Telefonnummer. Da wusste jemand, was er wollte. Noch mehr war sie von der unauffälligen Effizienz beeindruckt. Frech oder ein Versehen im sonst üppigen Online-Dschungel des Stellenmarkts? Mehrmals am Tag kämpfte sie sich durch.
Wer hatte diese Anzeige aufgegeben? Ein Dominastudio, das den ambitionierten Gast nicht mehr in die analoge, bizarre Fantasiewelt locken wollte? Und dabei nicht auf ein Virtual Studio setzte, wo hinter einer Paywall Videos und Session-Pics auf den solventen Herrn warteten? Ging es um ein neues erotisches Geschäftsfeld: Die Kunst der psychologischen Demoralisierung?
Conny liebte alles, wofür sie nicht aus dem Haus gehen musste. Sie konnte sich vorstellen, fremde Männer von der Couch aus zu beleidigen, oder was immer man von ihr wollte. Oder vielleicht steckte hinter der Anzeige ein Sachbuchautor, der einen Businessratgeber über Motivation schreiben und erst einmal die Gegenseite beleuchten wollte: Wie demotiviere ich richtig?
Conny wollte weder die psychologische Billig-Domina „machen“, noch ein Argumente lieferndes Versuchskaninchen spielen, für jemanden, der die Kosten für einen Ghostwriter sparen wollte.
Fest ging sie davon aus, dass es hier wie immer das Gleiche war. Die Freiberufler sollten mal wieder umsonst arbeiten.
Doch jetzt war sie entschlossen, geradezu fiebrig, nachdem das Studium der restlichen Inserate wieder einmal nichts gebracht hatte. Außer Demotivation. Ja, anders konnte sie es nicht benennen. Es gab keine „attraktiven Jobs in Ihrer Nähe“. Jedenfalls nicht für sie. Da brauchte sie sich nichts vorzumachen, die Kombination Ende 30, mit einem kürzlich erworbenen Master brauchte niemand und in dieser Stadt schon gar nicht.
Sie kannte sich mit der Selbstdemotivation bestens aus und wusste, dass erfahrungsgemäß immer alles schief ging. Als optimistische Pessimistin wusste sie mittlerweile, dass ein Leben als frugaler Kontrollfreak besser war, als sich von unnützen Hoffnungen positiv denkend einlullen zu lassen. Lieber rationierte sie schon ab dem Frühstück ihr Essen, als sich von anderen für wenig Euros fertigmachen zu lassen.
Am besten fing sie gar nicht erst an mit dem Bewerbungsschreiben. Wenn man ihr eine regressive Antihaltung vorhalten wollte, nur zu. Es war nicht so, dass sie immer contra war. Manchmal liebte sie auch das Pro wie in Prokrastination. Aber heute siegte Neugier über Aufschieben. Was hatte es mit dem Inserat auf sich?
Sie wählte die angegebene Handynummer. Ihre langjährige Expertise als Spaßbremse in unterschiedlichsten Job-Kontexten sprach für sich. Denn sie war nicht nur die absolute Motivationskillerin, die Herrscherin in der Hölle negativer Gedanken, sondern beherrschte auch die Kunst der gemeinsten Wenn-Dann-Szenarios, die jeden Flow aus der Teamarbeit verbannten. Nachhaltig und tränenreich. Nicht umsonst hatte man sich immer schnell von ihr wieder „verabschiedet“. Die defizitäre Brille konnte sie nicht mehr absetzen, die war mittlerweile fest eingewachsen und übersah nicht die kleinsten Schwächen beim anderen. Und das würde ihr Gegenüber gleich merken!