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Melancholie in Rubin
Die Rose ist verblüht.
Sie schaut etwas melancholisch auf die braunverfärbten, welken Blütenblätter, die langsam abfallen. Der Blick nach draussen zeigt den beginnenden Herbst, regnerisch und diesig.
Melancholie - die positive Traurigkeit ,I've got the Blues' ...
Solche Tage mit Schwermüdigkeit und nahe am Wasser gebaut, sind ihr nicht fremd. Als würde sich ein feiner Schleier über die Seele legen, der alles in einem traurigen Licht erscheinen lässt. Keine Lust auf Gespräche mit Freunden, die in diesen Zeiten etwas schwierig sind aufgrund vieler aktueller Probleme, lieber allein sein, den Gedanken nachhängen, tagträumen.
Rosen ... warum mag sie so gern einzelne Rosen?
Mit Rosen oder besser mit EINER Rose verbindet sie ein Erlebnis Mitte der 70iger Jahre in Leipzig.
Das Studium war erfolgreich abgeschlossen und sie arbeitete in einem Lebensmittelbetrieb, der u.a. Mayonnaisen produzierte, deren Fettgehalt reduziert werden sollte. Dazu gründete das Ernährungsinstitut Potsdam-Rehbrücke eine Arbeitsgruppe, in die sie berufen wurde. Die Mitglieder der Gruppe trafen sich regelmäßig und stellten die Ergebnisse vor. Als Abschlussveranstaltung für dieses Projekt wurde in Leipzig eine Weinverkostung mit einem Kulturprogramm organisiert. Eine Nacht im Hotel Stadt Leipzig inclusive! Sie freute sich.
Alkohol gehörte damals nicht unbedingt zu ihren Grundnahrungsmitteln und sie vertrug wenig oder besser gesagt, nichts. Am dem Abend kamen Weißweine, Rotweine und zum Abschluss einen Rotkäppchen Sekt mit entsprechenden Erklärungen zur Verkostung. Zur Geschmacksneutralisierung wurde Weizenbrot gereicht.
Der Zug hatte Verspätung, sie verpasste das zuvor gereichte Essen und trank sozusagen auf leeren Magen. Die Wirkung trat sofort ein! Sie wurde übermütig. Ein für diesen Abend engagierter Schlangenbändiger mit einer lebendigen Schlange hatte nach der Verkostung seinen Auftritt und rief in die Gesellschaft, wer denn diese Schlange um den Hals gelegt bekommen möchte. Die Gespräche verstummten, aber kein Arm ging in die Höhe.
Doch. Einer. Ihrer. Sie meldete sich!
Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie inzwischen von nüchtern ganz weit entfernt war.
Sie erinnerte sich, dass sie keinerlei Angst hatte und immerzu mit dem Bändiger lachte, fast ein wenig flirtete, die Schlange um den Hals zu liegen hatte und alle amüsiert klatschten.
Daran, wie sie in ihr Hotel zurückkam, erinnerte sie sich nur bruchstückhaft. Ganz sicher wusste sie, dass sie am nächsten Tag weit nach 11 Uhr aufwachte, ihr kotzübel war, sie sich mehrfach übergab und das Zimmer für diesen Tag extra bezahlen musste.
Als sie endlich aus dem Zimmer trat, lag vor der Tür eine rote Rose, langstielig und wunderbar dunkelrot.
Sie erfuhr nie, wer der edle Spender war.
Inzwischen hat sich ein Lächeln in ihr Gesicht geschlichen und die melancholische Stimmung verfliegt allmählich. Was wäre das Leben langweilig, überlegt sie, wenn man nicht auch auf solche Begebenheiten zurückblicken könnte. Darauf könnte ich anstossen, auf mich und auf das Leben überhaupt. Womit?
Mit einem Glas Rotkäppchen Sekt, Sorte Rubin - womit sonst?