Mensch Haary
Lange nicht gesehen. Mann, hast du dich verändert!
Ein kleines Bäuchlein zeichnet sich unterm karierten Oberhemd ab.
Wo früher noch die saftigbraune Lockenmähne wild und abenteuerlustig im Wind flatterte, finde ich heute eine karge Steppenlandschaft mit flachen Tälern vor.
Ungewollte Typenveränderung - made by Mutter Natur.
Ich liebte seine Haare! Verdammt!
Damals als wir gemeinsam durch die Kornfelder jagten und uns wild neben einem Feldweg liebten. Als das erste Kribbeln einsetzte und ich wenig später die Truppen von einmarschierenden Ameisen zuckend und springend vom Körper abschüttelte. Da hielt ich sie noch in der Hand - die Schauma-gepflegte Pracht.
Nun sitzen wir uns spontan in einem Cafè gegenüber und reden. Über das, was uns früher verband. Über das, was wir liebten. Und ich schaue ihn an. Direkt. Durchbohrend.
Oh, es sind ja noch Haare da! Lang kringeln sie sich zügellos aus Nase und Ohr und lassen mich unwillkürlich an meine neue Schuhbürste aus Schweineborsten denken.
Seine rehbraunen Augen erzählen leuchtend Geschichten. Sie schweifen durch den Raum und feine Lachfältchen tanzen fröhlich seitlich seiner langen Wimpern.
Wie früher als die Frauen diesem Blick willenlos erlagen. Und ich eines Tages eine der Erlegten in unserem Bett vorfand. Sein Handy klingelt. Er geht ran. Nur kurz. Ich warte.
Genauso wie sich nach unserer Trennung die Geschichten um seine Person rankten, ranken sich nun buschige Haare oberhalb der Augenlider. Sie erinnern mich an spitze Sperre, die verhindern, dass ich mich ihm erneut nähere. Bei ihm piept es. Eine SMS. Er schaut aufs Handy.
Wahrscheinlich denkt er, dass ich meinen Blick nicht von ihm lassen kann. Und er hat recht!
Angesichts seiner ungestümen Tentakeln kann ich nicht anders, als in eine Starre zu verfallen und mir das Grauen anzusehen.
Welch haarige, verfangene Situation unter diesen Umständen mit der Vergangenheit erneut in Verbindung zu treten. Dabei lächelt er mich fortlaufend an. Seine Augen- und Körpersprache signalisieren mir, dass er gerade sein Revier neu absteckt. Mit erweichenden, intimen Fragen kratzt er an meiner Oberfläche. Seine stark behaarte Hand bahnt sich seinen Weg durch Kuchenkrümel und Besteck. Auf einem von mir ungeschickt platzierten, noch feuchten Kaffeefleck wird sie plötzlich ausgebremst. Retterin in der Not ist die Kellnerin, die fragt, ob es noch etwas sein darf. Er bestellt sich einen Milchkaffee und verschwindet mit einer entschuldigen Geste in Richtung WC. Dabei sehe ich noch, wie er auf dem Weg dorthin sein Handy aus der Tasche zieht.
Haarwelten kreisen um meinen Kopf. Kopfkino. Großbildleinwand. Bewegende Bilder. Minuten vergehen einsam wartend.
Dann springe ich spontan, wie noch nie in meinem Leben zuvor, auf und renne eilig zur Kellnerin. Bezahle und flüchte durch einen Nebenausgang ins Freie.
Keine Zeitmaschine der Welt könnte mich je zu ihm zurück bringen.