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Midwestrailco

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12.09.2006
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Midwestrailco

Die Sonnenstrahlen schienen die Luft in diesem grossen Raum zu zerschneiden. Es war einer dieser üblichen Tage: kaum Abwechslung, bis auf eine langweilige Sitzung, - die aber wenigstens nicht alltäglich war.

Er wählte seinen Sitzplatz, auch wenn er einer der Letzten war, unbewusst unauffällig. Seine einzige Absicht bestand darin, sich keinem der blendenden Sonnenstrahlen auszusetzen. Und so begann er, seine eigenen Fußspitzen unter dem Tisch mit dem Blick zu fixieren. Er bewegte seine linke Zehe – unmerklich, so das keiner ausser ihm die Bewegung durch das Leder sehen konnte. Oder nicht sehen konnte.
Es war das eine Spiel, das er immer mit sich spielte: Er wusste selbst nicht genau, ob die Bewegung, die er spürte, für andere sichtbar war, oder ob ihm sein Gehirn einen Streich spielte. Ob seine bewussten, aber minimalistischen Bewegungen seinem Gehirn mitteilten, dass die Augen nun etwas sehen müssten oder tatsächlich etwas sahen.
Er mied die Blicke der anderen, sie bereiteten ihm Unbehagen. Jedenfalls solange er saß und zum Schweigen verdammt war. Aber wenn er das Wort erhob, wenn andere ihm zuhören mussten, wuchs er über sich hinaus. Dann liebte er es plötzlich, ihre Blicke zu fixieren, sich selbst dem Gefühl hinzugeben, alle wären aufmerksam und würden an seinen Lippen hängen. Aber er war noch jung in der Firma; er wusste, dass sie ihn hinter seinem Rücken Küken nannten, und es war noch zu selten an ihm, das Wort zu erheben.
Also wendete er sich wieder den Spitzen seiner Schuhe zu und bewegte sie abwechselnd. Erst links, dann rechts,...; er erwartete den Beginn der Sitzung sehnsüchtig. Nicht dass er sich nach diesem Gipfel der Langeweile an sich sehnte. Es war nur die Möglichkeit, Kopf und Augen zu erheben, einem Blick in die Runde der Teilnehmer, oder auch nur in die Augen des Sprechers eine Rechtfertigung zu geben. Sobald einer zu sprechen beginnen würde, konnte er seinen Blick heben, seinem Gegenüber – nicht völig frei von altem Unbehagen – kurz in die Augen schauen oder dem Vortragenden das Gefühl vermitteln, er widme ihm all sein verfügbare Aufmerksamkeit.

Als es soweit war, musste er sich aber erstmal dem Gefühl grösster Abscheu erwehren, das sich seiner bemächtigte, sobald Sitzungen mit einem Monolog aus Belanglosigkeiten begannen, vorgetragen von jemandem, der fern jeglicher Bildung den Grund seines Daseins aufgetan zu haben schien. – Ausserdem passte seine Krawatte nicht zum Hemd, niemals schien dieser Typ einen Blick in den Spiegel geworfen zu haben, und falls doch, so musste sein eigenartiger Geschmack von einer ausgeprägten Farbblindheit herrühren, denn er wählte stets grelle Pastellfarben – fast so, als wolle er seinen Mangel an modischem Geschmack auch noch betonen -, die den Augen seiner ihm ausgelieferten Zuhörer offenbar dasselbe antun sollten, das für seine Kleiderwahl verantwortlich war.

Der (jetzt schon niemals zu enden scheinende) Vortrag begann und wurde anfangs von einer Woge aus übertriebener und plump aufgesetzter Freundlichkeit getragen, ehe diese sich hin und wieder mit einer Prise billiger Vertrautheit abwechselte. Nachdem der Sprecher begonnen hatte, erhob er Kopf und Blick gleichermassen, um nun seinen Teil zu diesem Spiel beizutragen, so wie er es gelernt hatte: Aufmerksam sein, freundlich wirken und hin und wieder eine Kleinigkeit zur Diskussion beitragen.
Nur das nötigste! – Man will ja schliesslich nicht auffallen und Missgunst und Ärger der anderen auf sich ziehen.
Da erblickte er plötzlich etwas: einen kleinen Vogel auf dem Fenstersims, der seinen Kopf immer wieder zwischen dem für ihn sichtbaren und dem nicht sichtbaren Bereich des Fensters hin und her bewegte und – kurz und gut – auf seine Art geschäftig wirkte. Er schien sein Gefieder zu bearbeiten und gleichzeitig etwas auf dem Fenstersims zu beobachten. Paradoxerweise wirkte dieser kleine Vogel in seinen achtsamen Momenten, die er dem Unbekannten auf dem Fenstersims widmete, wie eine Katze, wie ein Raubtier auf ihn.

Der Vogel flog davon und er konnte nicht einmal bestimmen, mit welchem Ziel oder auch nur, in welche Richtung. Er gönnte sich einen schweifenden Blick in Höhe der Augenpaare der Teilnehmer und schaute dem Mädchen in die Augen, dass nicht schön war. – Objektiv betrachtet wahrscheinlich nicht einmal hübsch.
Aber er konnte seinen Blick auf dem ihren ruhen lassen, und sie duldete es. Fast so, als hätte sie seine Ruhelosigkeit erkannt. Er schloss die Augen für einen Moment, ohne seine Blickrichtung oder die Stellung seines Kopfes zu ändern und wollte sich ganz der wohltuenden Wärme ihres Blickes hingeben, bis er sich unwillkürlich und kaum merklich bewegte und er feststellen musste, dass ihr Blick den des Sprechers wiedergefunden hatte.

Die Sitzung ging vorbei und als er wieder in seinem Büro war, das Fenster öffnete und sich an den einfallenden Sonnenstrahlen wärmte, erinnerte er sich an den Moment, als er sie über den Flur wandernd, die Sitzungsräumlichkeiten verlassen sah. – Im Arm eines anderen. Er blinzelte noch einmal in die Sonnenstrahlen und begann zu arbeiten.

 

Hallo che,

es fällt mir schwer, deine Geschichte zu kommentieren. Da ist einmal die Sprache, welche von kurzen Sätzen bis zu sprachgewaltigen Ungetümen alles zu bieten hat. Und ein Inhalt der eines deutlich macht, die Langeweile während der Sitzungszeit. Und sonst?

Ich verstehe nicht ganz, worauf du hinaus willst. Auf einen Knaller am Ende? Dieser fällt recht verhalten aus. Auf ein ruhiges Beschreiben eines Arbeitstages? Wenn du das Thema Langeweile zu Papier bringen wolltest, so ist dir das gelungen. Ist diese Wirkung auf den Leser beabsichtigt?

Tieferer Sinn? Gesellschaftliche Bedeutung des Geschilderten? Meiner Meinung nach Fehlanzeige und deshalb die falsche Rubrik.

Fasse dieses Urteil aber bitte nicht als komplett vernichtend auf. Sprachlich verrät der Text eine genaue Beobachtungsgabe und die Fähigkeit zum Formulieren.


LG,

N


Tippkram

Objektiv bertachtet

unbewussst unauffällig

 

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