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Mitbewerb
Das Vorzimmers wirkte künstlich: Von Neonröhren fiel kaltes Licht auf schwarze Möbel, die Klimaanlage roch nach Erkältung.
»Richard Honleitner?«
»Ja, der bin ich, ich komme wegen des Jobs.«
»Setzen Sie sich bitte ins Wartezimmer nebenan, es hat dann gleich jemand Zeit für Sie.«
Das Wartezimmer war grau, an der Decke kreiste ein Ventilator. Der Papierkorb in der Ecke sah aus wie ein Staubfänger. Mitten im Zimmer lag ein Bleistift auf einem Tisch - wie vergessen. Ein Bild von Escher an der Wand, Relativiteit, das mit den Treppen.
Außer Richard war nur eine weitere Person im Raum. Das Mädchen war jünger als er, trug einen grauen Hosenanzug, darunter eine weiße Bluse. Die Haare verknoteten sich am Hinterkopf und in ihren Händen lag eine Modezeitschrift. Ihr Fuß wippte zu einer stummen Melodie.
Sicher war sie auch wegen des Jobs hier. Aber sie durfte ihn nicht bekommen: Richard brauchte das Geld. Sarah hatte in einem Monat Geburtstag und Richard war ein guter Vater.
»Papa, bekomme ich das Barbiehaus zum Geburtstag?«
»Mal sehen, meine Kleine, lass dich überraschen.«
Richards Augen schmerzten, sicher war es Krebs. Die Art von Krebs, die die Netzhaut infizierte und am Ende dazu führte, dass das Auge entfernt werden musste, damit sich das Geschwür nicht aufs Gehirn und den restlichen Körper ausbreitete.
Sein Blick schlich zu dem Mädchen, wanderte auf und ab. Die Haut war weich und einladend rosig und er musste schlucken, als er ihre langen Wimpern sah und sich zwang, wegzusehen. Weibliche Reize. Das war etwas, womit er nicht überzeugen konnte.
Das Surren des Ventilators erfüllte die Luft.
Er stellte sich Sarah vor, wenn sie mit leuchtenden Augen vor ihm stand und neben ihr ein großes, in rotes Papier mit weißen Blumen verpacktes Geschenk.
»Oh, Papa, ist das das Barbiehaus? Danke, Papa, danke, dass du mir das geschenkt hast!«
Das Mädchen im Wartezimmer blätterte um. Sie befeuchtete ihren Zeigefinger und Richard konnte einen silbernen Speichelfaden sehen, bevor die Hochglanzseite daran kleben blieb. Das Mädchen schien Richards Anwesenheit nicht zu stören. Sicher war sie der Meinung, dass nur sie selber für den Job in Frage käme. Sicher war der Grund, dass sie ihn ignorierte, schlicht der, dass sie in ihm keinen würdigen Konkurrenten sah.
Sie würde sich täuschen.
Die Zeit verstrich, der Ventilator drehte sich beständig weiter um sich selbst. Speichel netzte das Modemagazin, das Mädchen blätterte um. Eine Fliege verirrte sich ins Zimmer und wollte durch die Scheibe fliehen, das Glas hielt sie zurück.
Richard atmete tief ein und dachte, er könnte das Parfum des Mädchens riechen, Flieder vielleicht.
Sie stand zwischen ihm und dem Job. Sie stand zwischen ihm und dem Geld. Sie stand zwischen ihm und seiner Tochter. Er wusste, dass er handeln musste. Er wusste nur nicht, was er tun sollte.
»Interessant, was Sie da lesen?«
Das Mädchen blickte auf. Große, helle Augen richteten sich auf Richard, der Mund verzog sich leicht und formte ein Lächeln.
»Ja.«
Das war alles. Der Blick senkte sich und studierte erneut die Zeitschrift, bald darauf verschwand das Lächeln.
Richard wusste, sie war sich ihrer Sache sehr sicher. Zu sicher. Er sah das Mädchen und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. An der Decke kreiste der Ventilator und quirlte die Luft. Die Fliege berührte die Scheibe.
Plötzlich hob sich der Blick des Mädchens und dunkle Augen richteten sich auf ihn. Diesmal verzerrte sich der Mund zu einer Grimasse.
Sie lachte ihn aus. Sie verspottete ihn, er war sich sicher. Richard beherrschte sich mühsam, seine Hände wurden schwitzig und er wischte sie sich an der Hose ab.
Er senkte den Blick und spürte den des Mädchens auf sich ruhen, meinte, ihre Augen könnten tief bis auf den Grund seiner Seele blicken. Er zwang sich zur Ruhe. Das Mädchen las unbeteiligt in der Zeitschrift. Sie nahm keine Notiz von ihm.
Sicher hatte sie zu Hause einen reichen Mann. Und ging hier nur her zum Dazuverdienen. Eigentlich sollte sie Kinder bekommen, Kinder waren doch die Zukunft. Kinder waren alles. Man durfte sie nie unglücklich machen.
Er sah Sarah vor sich, sie riss das Papier vom Geschenk, doch darin war nur ein alter Stiefel.
»Papa, igitt, was ist das denn?« Tränen auf ihren Wangen.
Wieder spürte er den Blick, er war starr auf ihn gerichtet, ihr Gesicht die Fratze eines Dämons mit spitzen Zähnen und einem Grinsen voller Häme.
Wenn nur diese Augen nicht wären!
Das Mädchen lachte. Es klang kehlig, jagte Richard einen Schauer über den Rücken. In der Hand hielt sie einen Spielzeugkatalog, auf den Seiten konnte man Puppenhäuser erkennen, in allen erdenklichen Variationen: Große, kleine, mit Dach und ohne. Kinder spielten damit. Ein Speichelfaden troff aus dem Mundwinkel, tränkte eines der Puppenhäuser aus dem Katalog. Er erkannte im Katalog das Gesicht seiner Tochter, die Wangen waren feucht.
Nein, er konnte das nicht dulden. Der Bleistift auf dem Tisch war gut angespitzt.
Das Mädchen leckte sich die Lippen, Geifer lief ihr das Kinn hinab. Ihre Augen sprachen: Das ist mein Job, nicht deiner. Du armer Kleiner, du wirst deine Tochter wohl enttäuschen müssen! Sie verachtet dich. Weil du keinen Job hast. Du bist ein Versager, Richard! Ein lausiger Versager!
Richard hieb sich gegen die Schläfe, aber das Dröhnen verschwand nicht, schließlich blickte er dem Dämon in die Augen und plötzlich war alles klar. Er wusste, was zu tun war.
Als er das Zimmer mit zwei Schritten durchquerte und dabei den Bleistift mitriss, reckte das Mädchen den Kopf, der fransige Mund öffnete sich, aber wenn sie etwas sagen wollte, gelang es ihr nicht.
Richard hielt sie am Haarknoten im Nacken, drückte den Bleistift tief in ein Auge, sah, wie eine helle Flüssigkeit hervorquoll und sich mit Blut mischte. Das Mädchen schrie, als das dämonische Auge erlosch, sie strampelte, verkrampfte sich, schließlich sackte sie zu Boden. Er roch ihr Parfum, Flieder vielleicht.
Richard setzte sich auf ihren Platz, zufrieden, endlich. Die Türe öffnete sich. Nur am Rande nahm er die Wörter wahr, den Schrei, der in seinen Kopf drang: »Oh mein Gott! Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht?«
Und Richard lachte.