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Mitleid
Es war ein Tag wie jeder andere. Ich hatte mir eben etwas zu essen gekauft und setzte mich auf eine der Bänke, die rund um den Platz verteilt waren. Kurz darauf stahl eine merkwürdige junge Frau den verbleibenden Rest der Bank links von mir. Obwohl sie jung war, wirkte sie schlaff und müde. Ihre Stirn war vom Grübeln zerfurcht und ihrem ganzen Wesen hing eine beängstigende, weil stumme Verzweiflung an.
Sie verunsicherte mich. Nervös fixierte ich die Steine, die kreisförmig um einen Brunnen angeordnet waren. Sie rückte näher. Kritisch und ein bißchen verärgert musterte ich sie, legte so subtil wie möglich Abneigung in meinen Blick, aber sie schien nicht zu verstehen, schaute mich weiter stur auf diese dümmliche Art an. Erwartungsvoll, aber ohne Bestimmtheit. Ich hatte das Gefühl, als wäre hinter ihren Augen schlicht nichts.
“Schöner Brunnen?”, fragte sie und lächelte. “Er ist öd.”, erwiderte ich brüsk und rückte von ihr weg. “Aber schlicht und ...” - “Was willst du?” Zunächst brachte meine Frage sie aus dem Konzept, aber statt zu antworten redete sie nach einer kurzen Pause einfach weiter: “... und zweckmäßig. Ich hätte auch gern einen Brunnen, aber ich hab nich mal ...” - “Was willst du?!”, fragte ich wieder, diesmal zorniger. Sie starrte auf den Boden. Ich hatte keine Zeit für Mitleid und stand auf. “Ich bin - einsam.”, stammelte sie mit zitternder Stimme. Ihre Augen waren weit geöffnet, als erwartete sie von mir ein Urteil, ein Geschenk, irgendetwas, das ihr helfen könnte. “Das ist kein Wunsch.”, war alles was mir dazu einfiel. “Vielleicht”, begann sie, “wäre ich weniger einsam, wenn du eine Weile bleibst?” - “Vielleicht.”
Mir fiel ein, dass ich doch noch etwas Zeit hatte und so saßen für ein paar Minuten auf dieser anonymen Bank an diesem anonymen Platz zwei schweigende Menschen, die aufgehört hatten einsam zu sein.