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Mochito to go
Sie steht mit dem Rücken zum Waschbecken und starrt mich aus tiefschwarz geschminkten Augen an.
Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber wir sind in Streit geraten, irgendwann zwischen der Begrüßung und der Feststellung, dass diese Toilette echt ekelhaft ist. Eben noch haben wir uns umarmt, etwa drei Jahre ist es her, dass ich Kristina zuletzt gesehen habe und jetzt ...
Okay, meinen letzten Cocktail habe ich nur aus Verlegenheit bestellt und mir wird langsam schlecht von dem ganzen Rohzucker. Sie sieht allerdings aus, als hätte sie schon vor zwei Stunden aufhören sollen zu trinken.
„Ich bin nicht die Einzige, die auf`m Klo raucht, Bea.“
„Ich hab nur gesagt, dass ich`s nicht so gut finde. Hier kommen ja auch Schwangere rein-“
Kristina stutzt und schiebt den Kopf vor. „Schwangere. Aber du …? Oder? Neee!“
„Was?“ Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was sie meint. „Ach Quatsch! Ich doch nicht!“
„Was soll denn da passieren? Kriegen die gleich ne Sturzgeburt auf der Schüssel, wenn sie bisschen Qualm abbekommen? Brauchst gar nicht die Augen verdrehen. Dann kannst du auch anner Bushaltestelle verbieten zu rauchen. Oder am Bahnhof.“
„Ja“, sage ich gedehnt und trockne mir die trocknen Hände noch einmal ab.
„Mann. Lass uns doch nicht streiten wegen so nem Kram. Oder?“
„Ach was.“ Ich winke ab. Und mache Anstalten, die Toilette zu verlassen. Draußen wartet ein Blind-Date auf mich. Kevin. Bisher ganz nett …
Wahrscheinlich sehe ich ihn nach heute Abend nie wieder.
Ich kann nicht leugnen, dass mich das Wiedersehen mit Kristina aus der Bahn wirft. Über Jahre waren wir sehr gut befreundet, eigentlich die ganze Schulzeit. Und wie das manchmal so ist – ein handfester Streit, keiner entschuldigt sich und jeder geht seiner Wege. Oft habe ich an sie gedacht, aber mich nie gemeldet. Zumindest meinen Stolz wollte ich mir am Ende bewahren, war es doch an ihr, sich bei mir zu entschuldigen. Vermutlich hat sie es inzwischen völlig vergessen.
„Gut siehst du übrigens aus.“
„Danke. Du auch“, lüge ich. Sie sah schon besser aus. Mit den Fingern zupft Kristina an einem Faden herum, der aus ihrer Jeans kommt. Unter den dunkel gefärbten Haaren wirkt ihr Gesicht blass und schmal.
„Hast du Zeit? Ich mein, bevor wir hier weiter auf Klo rumstehen. Wo sitzt du denn?“
„Ähm – an der Bar, in der Nähe vom Fernseher“, sage ich.
Sie nickt langsam. „Bist du mit Freunden da?“
„Mit … ja, mehr oder weniger. Und du?“
Einen langen Moment sehen wir uns in die Augen, dann senkt sie scheinbar beiläufig den Blick auf ihre Turnschuhe.
„Er kommt nachher noch. Hat irgendwas zu erledigen.“
„Ihr seid also noch zusammen.“
Sorgfältig friere ich meine Mimik ein. So ist das. Soso. Mein Räuspern klingt wie ein Knurren.
„Ich hab ein Date, ehrlich gesagt“, erkläre ich. „Blind-Date.“
„Ich könnte dich retten.“
„So schlimm ist es eigentlich nicht… aber setz dich ruhig dazu, bis Alex kommt.“
Die Einladung ist ausgesprochen, bevor ich wirklich verstehe, was gerade passiert.
Der Rohrzucker wirbelt in meinem Mund herum. Es fühlt sich an, als hätte ich in eine Sandburg gebissen. Zwischen meinen Zähnen knirscht es.
Kevin lächelt höflich. Er gibt sich wirklich Mühe, obwohl er nicht müsste. „Das ist ja voll der Zufall, dass ihr euch dann hier wiedertrefft, oder?“
„Ja, voll!“, sagt Kristina. Wir sind von der Bar an einen kleinen Tisch umgezogen. Zum dritten Mal in dieser Minute sehe ich auf die Uhr. Kurz nach halb zehn. Ab wann ist es nicht mehr unhöflich, sich von Kevin zu verabschieden und zu gehen? Muss ich überhaupt höflich sein? Ist doch meine Sache, wann ich gehe. Aber er kann ja eigentlich nichts dafür.
Nur auf keinen Fall will ich Alexander begegnen, Kristinas Freund.
„Kennt ihr euch noch aus der Schule?“, fragt Kevin brav.
Kristina und ich nicken. Ich stelle mein Cocktailglas beiseite.
„Und was machst du so?“, fragt Kristina mein Date.
„Ich studiere Architektur im Moment. Viertes Semester.“ Kevin wirft mir einen Blick zu, den ich nicht gleich deuten kann.
„Wow, okay.“
Wieder streifen mich Kevins Augen. „Und du?“, will er von Kristina wissen. Jetzt weiß ich auch, was Kevin will – sein Blick fragt: Ist doch in Ordnung, wenn ich mit ihr rede?
Kristina macht eine abfällige Geste mit ihrer langgliedrigen Hand. „Pf, nicht so spannend wie deins. Ich hab jetzt ein halbes Jahr gejobbt. Und… wollte dann vielleicht doch nochmal ein Studium anfangen oder ne Ausbildung.“
„Das heißt, du hast schonmal studiert?“ Jetzt streifen seine Augen beiläufig ihre Schulter, die unter der locker sitzenden Jacke hervorblitzt. Oder bilde ich mir das ein? Ich habe zumindest schon mehrmals hingestarrt. Auffallen konnte sie schon immer. Blöde Kuh.
Kristina verzieht das Gesicht zu einem frechen Grinsen.
„Solche Themen finde ich langweilig. Oder? Bea?“
„Was?“ Ich sehe auf.
„Immer dieses Abchecken. Was tust du? Aha, toll, und du? Eigentlich wollte ich wissen, was du in deiner Freizeit so machst. Möööp. Durchgefallen, Kevin.“
Sie lehnt sich zurück und hält Ausschau nach der Kellnerin. Kevin lacht unsicher. Blickt wieder zu mir. Ich lächle maskenhaft zurück und will irgendwas Lockeres sagen. Irgendwas Lustiges, Geistreiches. Und ich will, dass Kristina rückwärts mit ihrem Stuhl umkippt und sich den Kopf stößt, damit wir diese Runde auflösen können.
Kaum merklich dreht Kevin sich in meine Richtung. „Du hast vorhin erzählt, dass du jetzt mit Karate angefangen hast. Wie kamst du denn darauf?“
„Ist doch gut, wenn man Leuten in den Arsch treten kann, die einen nerven“, grinst Kristina und winkt einer Bedienung. „Bea war schon immer ziemlich gut im Sport.“
„Ich meinte nur, weil Karate eher ungewöhnlich ist...“
„Für ne Frau, oder was?“ In Kristinas Augen blitzt es herausfordernd.
„Hat er ja gar nicht gesagt, Krissi. Karate wurde halt an der Uni angeboten und ich fand´s ganz interessant.“
„Mhm. Ich muss mal ganz kurz eben …“, Kevin nickt mit dem Kopf zur Seite, „Bier wegbringen.“
„Ja, klar. Okay.“
Er steht auf, das Gesicht in undurchdringlicher Höflichkeit verschlossen, als würde er die unangenehme Stimmung gar nicht bemerken. Als er weg ist, überlege ich, einfach abzuhauen und diesen Abend aus meinem Gedächtnis zu streichen.
Ich spüre Kristinas Blick auf mir. Mir ist schlecht.
„Lass den. Der ist nix“, stellt sie fest.
„Hab ich dich nach deiner Meinung gefragt?“ Die Wut ist plötzlich da, rot und ungefiltert.
„Ich meine nur, dass du andere haben kannst.“ Die Kellnerin kommt und Kristina bestellt einen Wodka Lemon. Ich unterdrücke das hysterische Bedürfnis, der Bedienung den Block aus der Hand zu schlagen.
„Halt einfach die Klappe, Kristina. Du benimmst dich so…!“ Ich fauche unartikuliert. „Machst du das mit Absicht, willst du mich irgendwie runtermachen oder was soll das?“
„Runtermachen?“ Sie sieht ehrlich verwirrt aus.
„Du sprengst das ganze Gespräch! Es geht nicht immer nur um dich. Ich finde ihn nett! Reden wir eben übers Studium, na und? Was willst du?!“
Sie hebt beschwichtigend die Schultern. Die Kellnerin verdrückt sich schnell. „Ist ja gut. Tschuldigung.“
Aber ich komme gerade erst in Fahrt. „Du meldest dich nicht, die ganze Zeit nicht, keine Erklärung oder Entschuldigung oder sonst was und jetzt mischt du dich einfach so hier ein in mein Leben und gibst mir irgendwelche Ratschläge! Die kannst du dir in den Arsch stecken!“
Still verfolgt mich ihr Blick, während ich einen tiefen Schluck von dem bitter-süßen Alkohol in meinem Glas nehme. Mein Herz hämmert. Ich fürchte, wenn die Wut verraucht ist, muss ich heulen.
„Das war ne scheiß Idee“, stelle ich fest. „Ne richtige scheiß beschissene Idee.“
Einen Moment herrscht Schweigen zwischen uns. Dann sagt Kristina: „Geht´s dir immer noch um Alex?“
Ich schnaufe verächtlich. Kristina nimmt ihren Drink entgegen, bedankt sich kurz und lehnt sich über den Tisch nach vorne. „Er ist faul. Oft gemein. Nur am Zocken, ich putz ihm hinterher und räum sein Zeug auf. Letztens sagt er so zu mir, ich seh hässlich aus, wenn ich heule.“
Kevin kommt zurück an den Tisch. Er spürt nun wohl doch die Anspannung, und sagt erst einmal nichts. Kristina fährt fort, als habe sie ihn gar nicht bemerkt.
„Er meinte, wir wären echt ein gutes Pärchen, wenn wir uns nicht so oft sehen würden. Wir wohnen ja seit nem halben Jahr zusammen. Und letztens hat er mir´n Bild gezeigt von nem Bikini-Mädchen. Wie ich die Figur finde. Weil ihm wär aufgefallen, ich hätte so Dellen am Arsch gekriegt.“
Kevin räuspert sich leise.
„Und?“, bringe ich hervor. Der Wind in meinen Segeln ist ein müdes Pusten geworden. Für den kurzen Anflug von Triumph, der mich bei ihren Worten ereilt hat, schäme ich mich bereits.
„Ähm … wenn ihr was zu klären habt, kann ich auch-“, wirft Kevin leise ein.
„Und nichts“, sagt Kristina.
Ich richte mich in meinem Stuhl auf. „Hört sich schlimm an. Aber weißt du, eigentlich… was soll ich dazu jetzt sagen? Soll ich Mitleid haben?“
„Brauchst du nicht. Ich könnte mich ja trennen.“ Sie lacht ohne Freude. Sie sieht wirklich traurig aus.
„Hm.“ Ich atme lange aus. Wie oft habe ich Gespräche mit Kristina in meinem Kopf geführt, mir zurecht gelegt, was ich ihr alles sagen würde, wenn ich die Gelegenheit hätte. Und jetzt? Alles, was ich sagen könnte, kommt mir belanglos vor. Ein Klischee. „Mir ging´s insgesamt viel mehr um dich, Kristina. Offensichtlich willst du mir ja mitteilen, dass ich besser dran bin ohne den Typen. Kann sein. Aber um dich geht es mir, dass du das damals mit mir gemacht hast.“
Meine Stimme bricht. Kevin rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum.
„Oh Mann. Der Alkohol. Kevin … tut mir echt Leid, das war so nicht geplant“, sage ich. Auch Kristina ringt nun mit der Fassung.
„Ich hab immer gehofft, dass du dich wieder meldest, Kristina."
„Ich wusste nicht, wie ich`s wieder gut machen sollte …“
Und dann taucht Alex an unserem Tisch auf, als hätte der Boden ihn ausgespuckt. Wie eine Wand schiebt sich seine Anwesenheit zwischen uns. Er ist in die Breite gegangen – trotzdem wirkt er immer noch attraktiv. Ich hasse ihn dafür. Und mich selbst auch.
„Hi Schaatz“, sagt er gedehnt und emotionslos, gibt Kristina einen flüchtigen Kuss und steckt die Hände in die Taschen seiner weiten Jeans. Dann erst sieht er mich und erstarrt kurz.
„Oh, hi.“
„Hi“, sage ich.
„Hallo“, meint Kevin.
„Hey“, murmelt Alex.
Ich sehe Kristina in die Augen und sie hält dem Blick stand. Dann greift sie nach meiner Hand und drückt sie kurz. Ich muss den Kloß in meinem Hals hinunterschlucken, auch wenn ich fürchte, daran zu ersticken.
„Ihr könnt den Tisch – äh.“ Hilfesuchend blicke ich zu Kevin, der nach seinem Geldbeutel sucht.
„Ich bezahle schnell. Wir können ja noch woanders hin, oder? Wenn du magst.“
„Oh!“, mache ich. „Okay? Warum nicht, ja.“
Ich stehe auf, ziehe meine Jacke an und halte die Kellnerin auf, die sich, nachdem sie Kevins Geld eingesteckt hat, wieder von unserem Tisch abwenden will. Ich frage sie, ob sie mir den Rest meines Cocktails zum Mitnehmen abfüllen kann. Zögerlich greift sie nach dem halbleeren Glas, in dem sich hauptsächlich Limetten befinden. Vielleicht denkt sie, ich will sie verarschen. Will ich nicht. Es wäre schade um den Rest.
Alex lässt sich auf meinen Platz sinken und zieht sein Handy hervor. Er schreibt jemandem auf Whatsapp.
Zusammen mit Kevin verlasse ich die Bar. Kristina hat mich nicht nach meiner Nummer oder Adresse gefragt. Draußen vor der Tür will Kevin wissen, wohin ich möchte. Es regnet ein bisschen.
„Einfach drauflos“, sage ich matt, meinen Pappbecher in der Hand. Und er folgt mir.