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Momente vor dem Schlaf
Ich wäre den langen Schlaf an ihrer Seite angetreten, hätte mich dieser stechende Schmerz nicht geweckt. Er quetschte mein Herz zusammen, hinderte es am weiteren Schlagen. Ich hatte Mühe nicht einfach loszubrüllen, um mir Erleichterung zu verschaffen. Nach einiger Zeit ließ er nach. Ohne Grund. Die ersten Momente nutzte ich, um wieder Herr meines Körpers zu werden – die folgenden, um meine Frau zu beobachten, wie sie still auf dem Bett lag. Sie sah aus, als würde sie schlafen – der Tod zeigte sich in keiner Faser. Ich konnte mich nicht daran hindern, ihre blass-kühle Haut zu berühren. Die Kälte drang durch meine Finger und versuchte tiefer in meinen Körper zu gelangen. Ich ließ von ihr ab. Etwas musste noch erledigt werden, ehe ich mich dieser Eiseskälte hingeben konnte. In meinem Inneren spürte ich weder Trauer, noch Angst. Ich empfand nur Wut. Ein Gefühl, dass mich zumindest nicht lähmte. Als ich auf den Holzboden des Flures trat, erinnerte ich mich wieder an die vergangenen Stunden, die Verlobungsfeier meines Bruders. Der Lärm schallte dumpf durch die Eichenholzwände. Die Stufen knarrten bei meiner Belastung; das Geländer knackte, als ich mein gesamtes Gewicht dagegen stemmte. In der Küche angekommen, musste ich eine Pause einlegen. Das Gift breitete sich unentwegt in meinem Körper aus. Wie viel Zeit ich noch hatte, wusste ich nicht, doch die Kontrolle über meinen Leib schwand. Ich glaubte die Erinnerung an die letzten Stunden verloren zu haben. In meinem Kopf herrschte erdrückende Leere. Ob es am Alkohol oder an der Substanz in meinem Blut lag, wusste ich nicht. Meine Hände glitten über das lackierte Teakholz der Küchenschränke, als ich mich an ein Weiterkommen versuchte. Ich stürzte.
Meine Beine hingen leblos an meinem Rumpf und baumelten jeder Bewegung nach, wie Zöpfe. Ich versuchte mich in das Wohnzimmer zu ziehen, da ich nur dort die Gewissheit finden konnte. Bei den Gästen, die allesamt keine Ahnung hatten von der Tragödie, die sich ereignete. Wahrscheinlich dachte der Giftmischer, dass ich bereits demselben Ende, wie meine Frau erlag. Es war meine Gelegenheit, ihn zu finden. Der Schock des Scheiterns musste in seinen Augen lesbar sein. Meine Frau, Emelia, hatte an diesem Abend weder geraucht, noch gegessen. Sicherlich war Champagner der Trank, der mir dieses Elend beschert hatte. Es war mein Onkel, der uns die Gläser zum Prosten überreichte – ich erinnere mich deutlich an sein freundliches Gesicht. Das Aufblitzen seiner Zähne, wie das eines Raubtieres. Ich rutschte über den milchigen Alabasterboden und erinnere mich an Emelia. Wie sehr sie diese Küche liebte. Meine Schulter knallte gegen die rote Wohnzimmertür, als ich sie erreichte. Der Schweiß rann in meine Augen und verband sich mit den Tränen, die er dort fand. Die Gewissheit des Todes macht stark, meinte einst mein Vater. Hätte ich nur einen eigenen Sohn gehabt … Ich konnte mir keine verschwommene Sicht leisten, so wischte ich mir über mein Gesicht und ignorierte das Murmeln hinter der Tür. Die Musik war längst verklungen, als es mir gelang, den Türknauf zu erreichen. Das Entsetzen zierte jede Fratze, die mich erblickte. Das Gift und die Anstrengung mussten meinen Körper entstellt haben; mein jämmerliches Rutschen über den Teppichboden tat sein übriges. Nur in den Augen meines Onkels fand ich Unglaube und Angst. Ich wusste nicht wieso, aber ich labte mich daran. Es erquickte meine Seele. Bis auf ein Schnaufen bekam ich nicht viel aus meinem Mund. Ich hörte wie einige meiner Freunde fragten „Was los sei“ und „Ob es mir gut gehe“. Sie wussten nicht, was sie tun sollten. Niemals zuvor mussten sie einen Sterbenden in seinen letzten Minuten beobachten. Die Starre der Gäste war mir recht, so konnte ich meine Kommode erreichen und mit ihr, den dort versteckten Revolver. Ich verlor bereits jegliches Gefühl für meinen Körper. Mir war so, als ob nur noch mein Kopf alleine existieren würde. Ein zorniger Ball, der nach Rache sinnte. Die Waffe in meiner Hand löste Panik aus. Selbst meine engsten Freunde und Bekannte heulten auf, hoben die Arme oder warfen sich zu Boden. Mein Onkel hingegen rannte zur Haustür. Die Revolverkugel auf seinen Fersen.
Ein Kranz aus Blut schoss aus der Wunde, die folgenden Schreie hörte ich nicht mehr. Nur noch ein helles Rauschen herrschte in meinen Ohren. Leblos, so wie ich es geworden war, stürzte mein Onkel zu Boden. Der Zorn verschwand und ließ Platz für Müdigkeit. Mein Körper erschlaffte allmählich, selbst meine Brust verfiel in Bewegungslosigkeit. Die Kälte durchzog meinen Körper, griff nach meinem Herzen. Es pochte immer langsamer, ehe es vollends erstarrte. Ich sah nur noch Standbilder von Erinnerungen – mein Geist war noch wach geblieben. Diese Freiheit, diese Stille, dieses unendliche Nichts – es war gleichsam erschreckend, wie atemberaubend. Ich wartete lange auf das Ende. In meinen Gedanken begegnete ich Emelia. Eingefroren in der Bewegung, ihre Lippen gegen meine Stirn zu pressen. Wie es Mütter taten, um ihren Kindern die Angst vor dem Schlafengehen zu nehmen. Ich ließ dieses Bild nicht mehr los, um mit ihm vor Augen, Ruhe zu finden.