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Montagmorgens und -mittags und -abends und danach
Der Wecker klingelt. Bin wie gelähmt, wünsche mir nicht aufstehen zu müssen. Hasse meine Situation, denke an... Nein, ich denke noch nicht.
Es wird Zeit. Eine knappe halbe Stunde ist vergangen bis ich mich überwinden kann aufzustehen. Unten wartet schon das Frühstück auf mich, der Tee ist bereits kalt und Hunger habe ich kaum. Brot ohne Geschmack, dass wie tot aussieht. Ich bin spät und kann nicht mehr duschen, hebe den Pullover vom Boden auf und vergesse beinahe meine Armbanduhr. Ich hätte mich später geärgert. Draußen hat es minus 2°C, der Teer der Straße spiegelt die ungenauen Umrisse der Häuser wieder, es ist glatt und ein strenger Wind macht das Atmen schwer, drückt mit ekelhafter Kälte in mein noch müdes Gesicht. Ich klingle und warte noch zwei Minuten im Flur, bis Kevin fertig ist und wir losfahren können. Wie jeden Morgen staut sich der Verkehr vor der Schule. Es ist unübersichtlich. Fahrradfahrer, Fußgänger, Autos, Motorräder biegen auf den Schulparkplatz ein, blinken, hupen. Ein Motor heult auf, ich schmunzle, denke sofort an Max. Schon jetzt ist der Schulparkplatz voll. Auf dem Gang treffe ich viele Bekannte und Freunde. Bei manchen bin ich mir nicht sicher, ob ich sie grüßen sollte oder nicht. Oft sind es alte Bekanntschaften, die längst verstaubt sind, oder neue, die noch zu flüchtig und unpersönlich sind. Ein süßliches „Morgeeeen“ ertönt neben mir. Eine Klassenkameradin, mit der ich ansonsten nicht viel zu tun habe. Ich wehre mich nicht dagegen, trotz meiner betäubenden Müdigkeit, lasse mich auf einen Smalltalk ein und bilde mir ein, die umstehenden Schüler würden mich ob meines kurzen Zusammenseins mit ihr beneiden, schüttle den Gedanken schnell wieder ab und bemerke wie absurd und schlichtweg egal er doch ist. Wir wünschen uns einen schönen Tag und gehen in die verschiedenen Kurse. Die Doppelstunde in Geschichte. An sich hatte ich immer großes Interesse daran, jetzt war es nur noch Hoffen auf ein heiles Ende der Stunde ohne ausgefragt zu werden oder sonstige aufwendige Unterrichtsbeiträge abgeben zu müssen. Mein Platz ist in der ersten Reihe, direkt vor dem Lehrerpult, sodass ich oft unsicher bin, wie ich mich verhalten, wo ich hinsehen soll. Ich kann meinen Lehrer nicht dauernd anstieren, das macht nervös. Beide. Ich will aber auch nicht in meinem Desinteresse im Tisch versinken und nehme den Mittelweg, bin aufmerksam, mal kurzzeitig abgewandt. Der Lehrer schließt das Thema gleichzeitig mit dem Pausengong ab, ich atme durch. Wie jedes Mal lasse ich mir Zeit um aufzustehen, ich will nicht als der über das Stunden-Ende erfreute Schüler gelten, der ich bin, obwohl ich weiß, dass diese Schauspielerei eigentlich unnötig ist – wahrscheinlich merkt er es mir auch so an. Nach zwei weiteren Schulstunden ist mein Schultag vorbei. Als ich daheim ankomme ist das Essen noch im Ofen. Ich gehe auf mein Zimmer und warte, lese die Zeitung. Die Leserbriefe sind schlecht. Nach dem Essen mache ich den Computer an, suche nach einem Song aus dem Radio und chatte nebenher. Das Internet macht wirklich alles leichter, alles geht schnell und unkompliziert. Was mich überrascht ist, dass mich eine alte Freundin anschreibt. Es tut mir fast weh, sie „alte Freundin“ zu nennen. Wir waren eng befreundet, waren fast wie eine Seele die in zwei Körpern wohnt, wie Aristoteles die Freundschaft schön beschreibt, aber irgendwas hat doch nicht gestimmt, wovon ich leider heute noch nicht sagen kann, was es war. Doch das Gespräch ermüdet, es stockt und wirkt zwanghaft. Wir sagen uns kurz und in der Gewissheit der gegenseitigen Enttäuschung Tschüss. Ich lerne noch eine Stunde für die Schule – längst nicht mehr für mich. Gegen Abend zieht es mich nach draußen, ich nehme meine neue Jacke aus der Garderobe, überlege, ob ich eine Mütze anziehen sollte, finde keine, die mir gefällt. Die locker zerrüttete Wolkendecke, die den Mond schleierhaft durchscheinen lässt, geht in gleicher Geschwindigkeit wie ich den Himmel entlang in meine Richtung. Es ist eigentlich nicht sehr dunkel, ich bin fasziniert von der Schönheit der Weite. Mit innerem Widerstreben lasse ich die Wolken ziehen und schlage meine geplante Route ein, wende meinen Blick dem schmalen Weg zu, der durch die Neubausiedlung führt. Die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos blenden mich beim Verlassen des Weges, ein ruhiger Wind lässt die nahestehenden, hochgewachsenen Tannen knarren, ich höre meine Schritte. Die Zeit scheint schneller als sonst, bin gleich wieder zu Hause. Der Bewegungsmelder unserer Nachbarn erkennt mich und gibt der Nacht ein wenig Licht. Jetzt leuchtet auch unserer für die letzten Meter. Ohne, dass ich klingeln muss, öffnet mir meine Mutter. Ich gehe schlafen. Der nächste Tag kommt auch. Einfach mal schauen, wie der dann wird...