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Moppel-Casting
Ich hasse Jeans. Manchmal komme ich nicht umhin, die Uniform der Unangepassten zu tragen, aber ich passe einfach nicht hinein.
Meine alte Jeans habe ich aussortiert und brauche jetzt eine neue, also überwinde ich mein Unbehagen und betrete entschlossen das Geschäft. Bereits die erste schmiegt sich wundervoll bequem über meine Hüften, lediglich an Taille und Beinen steht sie unvorteilhaft ab. Zu weit womöglich? Geschmeichelt probiere ich eine kleinere Größe. Jeansreißverschlüsse halten ja eine Menge aus, aber der menschliche Körper sucht sich einen Weg aus der Bedrängnis, und so wird das Problem nach oben verlagert. „Du bist zu fett“, lasse ich mein Spiegelbild wissen, lege die Markenjeans zur Seite und schicke mich zur Strafe zu „Jutta Bärchen“, dem Modeparadies für Rubensmodelle.
Als ich zuletzt dort war, warf man mich schon auf der Schwelle hinaus. „Ihre Größe führen wir hier nicht“, hörte ich eine perfekte Imitation jener spitzzüngigen Arroganz, die mich früher, als ich noch XXL war, immer in den angesagten Modeboutiquen aufspießte, wenn mich im Schaufenster etwas so angelacht hatte, dass ich einen vorübergehenden Realitätsverlust erlitt.
Heute lässt man mich bei „Jutta Bärchen“ ein – ein schlechtes Zeichen. „Ich suche eine Jeans“, sage ich hoffnungsvoll zur Verkäuferin. Mein Kaufwunsch wird auch dieses Mal ignoriert. „Hätten Sie nicht Lust, bei unserem Model-Casting mitzumachen?“, fragt sie mich stattdessen. Ein Model-Casting? Das macht mich neugierig; ich will unbedingt wissen, wie so etwas abläuft und wie es sich anfühlt. „Wann ist denn das?“ – „Heute“. Eigentlich habe ich ja etwas anderes vor, aber die Wahrscheinlichkeit, dass mir Karl Lagerfeld zu einem günstigeren Zeitpunkt die gleiche Frage stellen wird, ist relativ gering. Wenn ich also eines schönen Tages reich und berühmt von allen Plakatwänden herablächeln, im Blitzlichtgewitter tiefdecolletiert über rote Teppiche schweben, von begehrenden Männerblicken gestreichelt und von allen Frauen dieser Welt beneidet werden will, ist das meine Chance.
Man geleitet mich in die obere Etage und zeigt mir einen grauen Nadelstreifen-Anzug. Ich verweigere das Banker-Outfit entschieden und habe mich dadurch automatisch für eine rosa-grau geblümte Bluse qualifiziert. Ja mei, warum nicht? Ist mal was anderes. Die Verkäuferin ist freundlich, die Umkleidekabine so groß wie mein Schlafzimmer. Überall stehen Glasschalen mit einer verführerischen Fülle von Süßigkeiten, eine nicht unangenehme Form nachhaltiger Kundenbindung.
Mir wird eine Hose gereicht. „Passt sie?“ – „Hervorragend!“ Die Hose fällt in weichen grauen Kaskaden weit an mir herunter, macht auch bei den Füßen nicht Halt. Die Verkäuferin denkt positiv: “Dann sieht man Ihre braunen Stiefel nicht so.“ Ich erhalte ein rosa Top und lasse besagte Blümchenbluse seidig darüber fließen. Die Verkäuferin legt mir noch einen schwarzen Pullover um – nichts engt mich ein, im Gegenteil wird mein natürlicher Hang zur Faulheit wirkungsvoll dadurch unterstützt, dass jedes Mal, wenn ich mich bewegen will, der Pullover ins Rutschen gerät. Zum Schluss werde ich noch mit einer schlank machenden langen Halskette aus rosa Mühlsteinen geschmückt.
Das Zwiebeloutfit hält auch einen unbewegten Menschen recht warm, doch gestatte ich mir nicht zu schwitzen, denn ich werde an eine kühle, perfekt geschminkte Kosmetikerin weitergereicht. Sorgsam verputzt sie mein Gesicht und malt mir ein neues, während ich mich darauf konzentriere, Anweisungen wie „Augen auf“ und „Augen zu“ korrekt zu befolgen. Während einer kurzen Pause betrachte ich mich im Spiegel und sehe eine fremde Frau. Da von mir nun nichts mehr übrig ist, schaffe ich es, der Fotografin fast angstneutral gegenüberzutreten. Die Fotos kann ich mir gleich darauf auf dem Bildschirm ansehen.
Nächste Woche gehe ich zu den Weight Watchers.