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Moppel-Casting

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24.08.2007
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Moppel-Casting

Ich hasse Jeans. Manchmal komme ich nicht umhin, die Uniform der Unangepassten zu tragen, aber ich passe einfach nicht hinein.

Meine alte Jeans habe ich aussortiert und brauche jetzt eine neue, also überwinde ich mein Unbehagen und betrete entschlossen das Geschäft. Bereits die erste schmiegt sich wundervoll bequem über meine Hüften, lediglich an Taille und Beinen steht sie unvorteilhaft ab. Zu weit womöglich? Geschmeichelt probiere ich eine kleinere Größe. Jeansreißverschlüsse halten ja eine Menge aus, aber der menschliche Körper sucht sich einen Weg aus der Bedrängnis, und so wird das Problem nach oben verlagert. „Du bist zu fett“, lasse ich mein Spiegelbild wissen, lege die Markenjeans zur Seite und schicke mich zur Strafe zu „Jutta Bärchen“, dem Modeparadies für Rubensmodelle.

Als ich zuletzt dort war, warf man mich schon auf der Schwelle hinaus. „Ihre Größe führen wir hier nicht“, hörte ich eine perfekte Imitation jener spitzzüngigen Arroganz, die mich früher, als ich noch XXL war, immer in den angesagten Modeboutiquen aufspießte, wenn mich im Schaufenster etwas so angelacht hatte, dass ich einen vorübergehenden Realitätsverlust erlitt.

Heute lässt man mich bei „Jutta Bärchen“ ein – ein schlechtes Zeichen. „Ich suche eine Jeans“, sage ich hoffnungsvoll zur Verkäuferin. Mein Kaufwunsch wird auch dieses Mal ignoriert. „Hätten Sie nicht Lust, bei unserem Model-Casting mitzumachen?“, fragt sie mich stattdessen. Ein Model-Casting? Das macht mich neugierig; ich will unbedingt wissen, wie so etwas abläuft und wie es sich anfühlt. „Wann ist denn das?“ – „Heute“. Eigentlich habe ich ja etwas anderes vor, aber die Wahrscheinlichkeit, dass mir Karl Lagerfeld zu einem günstigeren Zeitpunkt die gleiche Frage stellen wird, ist relativ gering. Wenn ich also eines schönen Tages reich und berühmt von allen Plakatwänden herablächeln, im Blitzlichtgewitter tiefdecolletiert über rote Teppiche schweben, von begehrenden Männerblicken gestreichelt und von allen Frauen dieser Welt beneidet werden will, ist das meine Chance.

Man geleitet mich in die obere Etage und zeigt mir einen grauen Nadelstreifen-Anzug. Ich verweigere das Banker-Outfit entschieden und habe mich dadurch automatisch für eine rosa-grau geblümte Bluse qualifiziert. Ja mei, warum nicht? Ist mal was anderes. Die Verkäuferin ist freundlich, die Umkleidekabine so groß wie mein Schlafzimmer. Überall stehen Glasschalen mit einer verführerischen Fülle von Süßigkeiten, eine nicht unangenehme Form nachhaltiger Kundenbindung.

Mir wird eine Hose gereicht. „Passt sie?“ – „Hervorragend!“ Die Hose fällt in weichen grauen Kaskaden weit an mir herunter, macht auch bei den Füßen nicht Halt. Die Verkäuferin denkt positiv: “Dann sieht man Ihre braunen Stiefel nicht so.“ Ich erhalte ein rosa Top und lasse besagte Blümchenbluse seidig darüber fließen. Die Verkäuferin legt mir noch einen schwarzen Pullover um – nichts engt mich ein, im Gegenteil wird mein natürlicher Hang zur Faulheit wirkungsvoll dadurch unterstützt, dass jedes Mal, wenn ich mich bewegen will, der Pullover ins Rutschen gerät. Zum Schluss werde ich noch mit einer schlank machenden langen Halskette aus rosa Mühlsteinen geschmückt.

Das Zwiebeloutfit hält auch einen unbewegten Menschen recht warm, doch gestatte ich mir nicht zu schwitzen, denn ich werde an eine kühle, perfekt geschminkte Kosmetikerin weitergereicht. Sorgsam verputzt sie mein Gesicht und malt mir ein neues, während ich mich darauf konzentriere, Anweisungen wie „Augen auf“ und „Augen zu“ korrekt zu befolgen. Während einer kurzen Pause betrachte ich mich im Spiegel und sehe eine fremde Frau. Da von mir nun nichts mehr übrig ist, schaffe ich es, der Fotografin fast angstneutral gegenüberzutreten. Die Fotos kann ich mir gleich darauf auf dem Bildschirm ansehen.

Nächste Woche gehe ich zu den Weight Watchers.

 

Hallo enigma!

Nett für zwischendurch, stellenweise zum Schmunzeln und insgesamt schön erzählt. :)
Sicher hat die Verkäuferin ihr ja nur deshalb die am meisten dickmachenden Sachen gegeben, weil sie für das Foto noch nicht ganz die optimale Fülle erreicht hat. ;)
Sonst fällt mir gerade nicht viel ein, außer, daß ich es unfair finde, daß es für Dicke eigene Geschäfte gibt, aber für kleine Dünne nicht. Den Dicken geht es richtig gut! Ich finde genauso schwer was Passendes. Naja, im Moment bekomme ich ja das, was meinem dreizehnjährigen Sohn zu klein wird, "Adventure"-Pullover und lange Unterhosen ... :D

„Hätten Sie nicht Lust, bei unserem Model-Casting mitzumachen?“ fragt sie mich stattdessen.
mitzumachen?“, fragt

Überall stehen Glasschalen mit einer verführerischen Fülle von Süßigkeiten, eine nicht unangenehme Form nachhaltiger Kundenbindung.
Besser nach Süßigkeiten schon den Punkt und den Rest streichen - das versteht der Leser von selbst. ;)

“Dann sieht man Ihre braunen Stiefel nicht so.“
:lol:

Sorgsam verputzt sie mein Gesicht und malt mir ein neues
:thumbsup:

Hab ich gern gelesen! :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Susi,

hab Dank für Deinen freundlichen und anteilnehmenden Kommentar.

Ja, Dicke werden gut gehalten, denn sie werden gebraucht: Übergrößen, Light-Produkte, Fitnessgeräte, Wunderpillen... alle sind hergestellt worden, stehen jetzt einsam in den Läden und sehnen sich nach einem neuen Besitzer.

Der Halbsatz, den du mir empfiehlst zu streichen, war für mich ein Schlüsselerlebnis. Es ist schön in diesen Läden, alles ist so voluminös, die Kabinen, die Klamotten, die Verkäuferinnen besonders nett, niemand könnte sich dort noch dick fühlen, sondern genau richtig und gut aufgehoben. Nun habe ich aber ein "gesundes" Misstrauen gegenüber allen entwickelt, die mir Süßigkeiten anbieten, und ich dachte, klar, die füttern uns hier fett, damit wir auch in Zukunft noch ihre Sachen kaufen. Ist natürlich bös, aber manchmal kommen einem die absonderlichsten Gedanken...


Liebe Grüße

enigma

 

Salü enigma,

mit dieser Geschichte hast Du mich zum lachen gebracht. Ich kann mich in Deine Prota sooo gut einfühlen. Es ist zwar vorbei, aber: :lol:

Man geleitet mich in die obere Etage und zeigt mir einen grauen Nadelstreifen-Anzug.
löst viele Erinnerungen bei mir aus und:
wird mein natürlicher Hang zur Faulheit wirkungsvoll dadurch unterstützt, dass jedes Mal, wenn ich mich bewegen will, der Pullover ins Rutschen gerät.
Das ist ein toller Satz. Er ist Dir gelungen, in dieser kleinen Geschichte ganz viel Atmosphäre zu schildern.
Nächste Woche gehe ich zu den Weight Watchers.
Du kannst sicher sein, dass Deiner Prota, nachdem sie diesen Entschluss gefasst hat, von irgendwoher ein leckeres Rezept zugeschickt wird ... :D

Liebe Grüsse,
Gisanne

 

Hallo Enigma,

eine lustige Geschichte für zwischendurch. Ich musste immerzu schmunzeln. Den Namen des Geschäftes 'Jutta-Bärchen' fand ich aus persönlichen Gründen nicht so gelungen ;-))))!!
Neulich las ich, dass irgendein Wissenschaftler herausgefunden hat, dass die Dicken länger leben! Deshalb sollte deine Prota den Gang zu den Weight Watchers noch hinauszögern.
In diesem Sinne, freundliche Grüße,
jurewa

 

Hallo enigma,

kurzweilig und amüsant. Nettes Geschichtchen. Die Sache mit den Süßigkeiten ist wirkilch böse.
Was mich ein bisschen stutzig gemacht habe, ist die Selbstverständlichkeit, mit der deine Prota auf das Casting eingeht. Da könntest du ruhig noch einen Satz investieren. Schließlich hängt deine Prota die ganze Zeit über in Gedanken, warum sollte sie sich bei dieser Entscheidenden Wendung plötzlich keine machen?
Meine Lieblingsstelle ist die mit dem Schminken. Das kommt in seiner Knappheit äußerst präzise und passend bissig.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo ihr Lieben,

bevor ich mich behaglich in mein Mittagstief gleiten lasse, möchte ich euch noch gerne antworten und ganz herzlich für eure Kommentare danken. Wenn es gelungen ist, den einen oder die andere an einem trüben Sonntag zum Schmunzeln zu bringen, ist der Zweck der kleinen Story schon mehr als erreicht.


Liebe Gisanne,

es soll Rezepte geben, da ist das Einzige, womit wir uns ein gutes Gewissen einreden können, die Tatsache, dass Zieger darin vorkommt...


Liebe Jurewa,

sorry mit dem Namen. Es ging mir nur um die Vokale, und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig, oder wie das immer so schön heißt. Verkauft der Wissenschaftler zufällig Lightprodukte oder Fitnessgeräte?


Lieber weltenläufer,

der Grund, warum meine Prota jeden Blödsinn mitmacht, steht in Deinem Steckbrief. Danke für den Hinweis, ich hab´s ergänzt.


Euch allen einen wunderschön sportlichen Sonntag bei Kaumuskeltraining und extensivem Couchkuscheling wünscht

enigma

 

Hallo enigma,

eine nicht unangenehme Form nachhaltiger Kundenbindung.
Cleverer Halbsatz.

Ja, süß. Süße Erzählerin. So eine Geschichte lebt - aus Männersicht - davon, dass man sich ein kleinwenig in die Erzählerin verliebt (unter uns ... Renè Zellweger ist in diesem Film auch irgendwie süß, oder? :) ... obwohl ich den natürlich nie gesehen habe!)

Doch, hat was.
Quinn

 

Er verkauft

weder Lightprodukte noch Fitnessgeräte, liebe Enigma, sondern
Illusionen ,-)!

jurewa

 

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