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Morgen-Grauen

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21.01.2009
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Morgen-Grauen

Der Radiowecker schaltet sich automatisch ein, und irgendein Kerl fängt an zu quatschen und erzählt mir von einem Flugzeugabsturz vor der südafrikanischen Küste, bei dem alle hundertfünfundzwanzig Passagiere ums Leben gekommen sind. Ich taste nach dem Ausschaltknopf und bringe den Kerl zum Schweigen. Dann ist es wieder still, und nur der Regen, der von Böen gegen die Fensterscheibe getrieben wird, dringt mir sanft ins schlaftrunkene Bewusstsein.

Montagmorgen, Ende November, sechs Uhr fünf – was gibt es schlimmeres.

Ich weiß, dass ich handeln muss, um nicht in den verlockenden wohlig-warmen Schoß des Schlafes zurückzusinken. Also schlage ich die Bettdecke zur Seite und hieve meinen Körper in eine sitzende Position. Die Kälte im Zimmer ist brutal. Mein Schädel pocht. Ein fieser neuralgischer Schmerz unter der linken Schläfe. Das Wochenende steckt mir in den Knochen. Ich stehe auf, taumle ins Badezimmer, pinkle, schlucke ein Aspirin und betrachte mich im fleckigen Spiegel über dem Waschbecken. Es sieht nicht gut aus. Bleich, verquollen, dunkle Schatten unter rotgeränderten Augen. Das Neonlicht, denke ich, ungünstige Ausleuchtung. Ich grinse, das Spiegelbild grinst gequält zurück.

Ich esse Käse auf Wasa und trinke heißen Kaffee, den die Maschine mittels integrierter Zeitschaltuhr vorbereitet hat. Braunes Wasser, aber heiß zumindest.
Im Radio spielen sie die neuste von Madonna. Soso, die lebt noch. Anschließend eine Exklusiv-Reportage aus Johannisburg. Unter den Flugzeugpassagieren haben sich auch deutsche Staatsbürger befunden. Die Deutschen gehören bekanntlich zu den reiselustigsten Europäern. Da kann sowas schon mal vorkommen.

Dann raus in den Regen. Hetze die Straße entlang, finde den alten Rekord und reihe mich in den Berufsverkehrsstau ein. Die nasse Jeans klebt am Oberschenkel. Die Fenster beschlagen. Die Lüftung röchelt. Ich schiebe eine Gebrannte von den DOORS ins Gerät. „This is the end, my only friend, the end …“
Vor mir ein BMW. Z1. Cabrio. Königsblau-Metallic. Vermutlich ein 25jähriger jungdynamischer Börsenmakler oder Unternehmensberater mit eigener Penthouse Wohnung am Hafen, der gerade von einem dreiwöchigen Maledivenurlaub zurückgekehrt ist, den er zusammen mit seiner 21jährigen Freundin indischer Abstammung, die wahrscheinlich als Web-Designerin oder PR-Kommunikationsmanagerin arbeitet, in einem exquisiten Bungalow für zweitausendfünfhundert Euro pro Tag verbracht hat. Nun ist er gut gelaunt auf dem Weg in sein sündhaft teures, tropenholzmöbliertes Börsenmakler- oder Unternehmensberaterbüro. Dort bereitet er sich zunächst einmal in der mitarbeitereigenen Fitness-Lounge physisch und mental auf die bevorstehende Woche vor, während seine persönliche Sekretärin - eine blondgelockte 28jährige Halbschwedin - mit den Terminen jongliert.
Ich hasse ihn, und ich spiele mit dem Gedanken, nach dem nächsten Anfahren nicht zu bremsen, um meine rostige Stoßstange in seinen elitären BMW-Arsch zu schieben. Vielleicht bin ich ja doch schwul, denke ich und frage mich gleichzeitig, wie ich auf diesen Gedanken komme.
Endlich biegt dieser narzisstische Potenzprotz ab, und ich schließe auf einen Fiat-Uno auf, dessen Rückfenster mit einem runden „Frauenpower“-Aufkleber verziert ist. Violette Faust auf einem violetten Kreuz in einem violetten Kreis. Nee, denke ich, ich bin wohl doch ganz ordinär heterosexuell.
An der Ampel vor der großen Kreuzung, die, im Gegensatz zu anderen Ampeln, eine besonders lange Rotphase anzeigt, drehe ich mir eine Zigarette. Ich inhaliere und huste. Glut fällt auf meine nasse Hose. Ich schlage sie aus und öffne das Fenster einen spaltbreit wegen der frischen abgasgeschwängerten Luft. Regen prasselt herein. Ich kurble die Scheibe wieder hoch. Dann geht es weiter, Meter um Meter, wie eine träge, vollgefressene Blechanakonda. „Ride the snake, ride the snake, to the lake, the ancient lake, baby …“
Um fünf Minuten vor sieben presche ich auf den Parkplatz der Firma. Ich würge den Motor und die DOORS und Jim Morrison ab und eile in den Umkleideraum. Es riecht nach alten Socken und kaltem Rauch, nach Monotonie und Hoffnungslosigkeit. Ich steige in den muffigen Blaumann, während ich das vergilbte Poster von Pamela Anderson an der Wand über der Tür betrachte. Sie läuft in einem knappen Bikini, mit großen wiegenden Brüsten und einem Surfbrett unter dem Arm, den Strand von Malibu entlang. Und, wie so oft, frage ich mich, welcher hirnlose Idiot dieses nichtssagende Poster dort vor Jahren hingehängt hat.
Ich betrete um drei Minuten nach sieben, also drei Minuten zu spät, die Werkstatt. Doch statt der üblichen sinnleeren und speichelsprühenden Tirade des rotgesichtigen Meisters, bleibt es ruhig an diesem Morgen, was mich wundert.
„Jo, jo“, sagt Hansen, der sich gerade an die Stoßdämpfer eines Passats macht, „der Meister hat‘s gut.“
Ich verstehe nicht.
„Naja, der is doch gestern mit seiner Alten nach Südafrika geflogen.“
Ich wende mich ab, gehe zur Kaffeemaschine hinüber, fülle einen Becher und sehe aus dem Fenster. Draußen hat sich Schnee unter den Regen gemischt.

 

Hi machaczek,

wahrscheinlich finden viele genau das gut an der Geschichte, was mich stört.
Es ist eine durchaus unterhaltsam geschriebene typische Montagmorgendepressionsgeschichte, die ich schon schlechter gelesen habe, die mich aber thematisch mittlerweile etwas langweilt (wie das Titelwortspiel übrigens auch). Einen Bruch gestaltest du mit den Nachrichten, die zunächst abgeschaltet werden, später doch gehört, und zum Schluss in einen spekulativen Pointenzusammenhang gestellt werden.
Höchstwahrscheinlich hat der Chef es wirklich gut, denn die Anzahl der Todesopfer liest sich nach einem Inlandsflug, nicht nach einer Interkontinentalmaschine. Natürlich neigen die Synapsen dazu, einen Zusammenhang herzustellen. Machine in Südafrika abgestürzt - Chef nach Südafrika geflogen - alle tot - also Chef tot, so gering die Wahrscheinlichkeit bei der Anzahl der wohl auch in Südafrika täglich startenden und landenden Passagierflugzeuge auch sein mag.
Und genau das finde ich ärgerlich.
Mir ist es letztlich egal, ob der Chef nun tot ist oder nicht, es steht ja davon nichts in der Geschichte, aber als Leser fühle ich mich verschaukelt, wenn ich anhand von Denkautomatismen derartig in einen Gedanken manipuliert werden soll. Das ist in etwa wie:
Sag mal "Milch"
Milch
Sag mal "Milch"
Milch
Sag mal "Milch"
Milch
Was trinkt die Kuh?
So haben wir und mit Heidenspaß als Grundschüler verladen.

Endlich biegt dieser narzisstische Potenzprotz ab, und ich schließe auf einen Fiat-Uno auf, dessen Rückfenster mit einem runden „Frauenpower“-Aufkleber verziert ist
Habe dazu nichts gefunden, aber mMn schließt man zu dem vorausfahrenden Auto auf, nicht auf es.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo machaczek,

Also mir hat deine Geschichte gefallen. Zum einen, weil die Montagmorgenstimmung tatsächlich gut rüber kommt - zum andern aber auch, weil mir die Pointe gefiel. Es stimmt, was sim schrieb: Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass der Chef unter den Verunglückten ist. Aber gerade das macht den Reiz aus: Man knüpft die selbe brüchige Verbindung, wie der Erzähler.
Du schließt dann mit der unausgesprochenen Frage, was seine Gedanken emotional im Protagonisten auslösen. Würde er vielleicht sogar eine schäbige kleine Freude darüber empfinden, wenn dieser personifizierte Montagmorgen von einem Chef ums Leben gekommen wäre?

Möglicherweise würde die Geschichte gewinnen, wenn das Ende noch ein bisschen vager gehalten würde. Indem etwa der Kollege nicht verrät, dass der Chef nach Südafrika geflogen ist, sondern stattdessen nur von Afrika spricht.

Wirklich lahm finde ich nur den Titel. Das Wortspiel ist mittlerweile recht tot, fürchte ich.


Gruß,
Abdul

 

Hallo machczek,
komisch, bei dieser Geschichte steige ich mittendrin aus, meine Gedanken bleiben einfach nciht dabei. ich glaube, mir fehlt echte Interaktion, oder ich vergleiche diese mit deinen anderen.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,
ja, du hast recht. Ich sehe es ein. Die Story ist nicht die Beste und es ist meine Erste, die ich geschrieben habe, als ich anfing Kurzgeschichten zu schreiben. Vermutlich liegt es daran.
Gruß machaczek

 

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