Mitglied
- Beitritt
- 01.05.2007
- Beiträge
- 13
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Morgen schreibe ich
Morgen. Morgen werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Ich liege im Bett, es ist wieder spät geworden heute. Nein, ich war nicht aus. Nein, ich habe nicht getrunken. Ich saß lediglich vor dem PC, habe mir Gedanken über den Tag gemacht, habe mir Gedanken über mich selbst gemacht und ein wenig gechattet. Währenddessen habe ich unterbewusst immer wieder dieselben Seiten im Netz aufgerufen, in der verqueren Hoffnung, irgendwo eine spannende Neuigkeit zu finden.
Da ich morgens nie besonders lange schlafen kann, habe ich mich dann ins Bett gelegt, um am nächsten Tag nicht unter Schlafmangel zu leiden.
Und jetzt liege ich hier und... kann nicht schlafen. Meine Gedanken kreisen um die fiktiven Charaktere, denen ich möglichst bald ein Leben schenken möchte. Im Geiste habe ich ihnen schon ein Aussehen verpasst, ein Haus gebaut und eine Vorgeschichte erfunden.
Morgen. Morgen werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Es ist dunkel um mich herum. Das einzige, was einen hellen Schimmer in mein Zimmer wirft, ist die digitale Zeitangabe auf dem Display der Stereoanlage. Die brennende Müdigkeit in meinen Augen versagt mir jedoch die Möglichkeit, die genaue Uhrzeit zu erkennen. Ich wälze mich herum. Ein angenehmes Kribbeln überkommt mich bei dem Gedanken, welche Geschichten meine Charaktere morgen ereilen werden. Wieder empfinde ich das Kopfkissen als unangenehm an meiner Wange und wälze mich abermals auf die andere Seite.
Meine Blase meldet sich. Und bevor ich ins Bett pinkeln muss, erhebe ich mich seufzend. Für einen Moment sehe ich bunte Sterne, die vor meinen Augen hin- und hertoben, nachdem ich ein wenig zu schnell aufgestanden bin. Ich taste mich durch mein Zimmer (wo habe ich den verflixten Stuhl nochmal hingestellt?), stoße mich an etwas (ah, da steht der verflixte Stuhl), öffne die Tür und stolpere durch die Diele ins Badezimmer. Mit einer fließenden Bewegung betätige ich den Lichtschalter und lasse dann die Hosen runter, um dem kleinen Geschäft nachzugehen. Durch den plötzlichen Lichteinfluss brennen mir die Augen nun noch mehr, doch wenigstens hat das nervtötende Kitzeln in der Blase nachgelassen.
Ich mache mich auf den Rückweg ins Bett, stoße mich abermals (verflixter Stuhl noch eins) und lege mich wieder ins Bett. Nachdem ich noch einige Minuten mit dem gedanklichen Wirrwarr in meinem Kopf gekämpft hab, falle ich dann doch in einen unruhigen Schlaf...mein letzter Gedanke...
Morgen. Morgen werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Als ich wieder wach werde, erscheint es mir viel zu früh, um aufzustehen. So, wie eigentlich zu jeder Uhrzeit an jedem Morgen. Einige Male presse ich verkrampft meine Augen zu, heuchle mir selbst Müdigkeit und gebe nach einer halben Stunde engültig auf. Es ist früh, ich bin unverbraucht, der Tag wartet auf mich. Der Tag wartet auf mich und die nur in meiner Fantasie existenten Personen, die endlich verschriftlicht werden wollen.
Ich stehe auf, ziehe den Vorhang ein Stück weit auf (aber nicht zuweit, sonst reflektiert sich die Sonne zu stark in meinem Bildschirm), drücke den On-Schalter meines PCs und verschwinde kurz für die Verrichtung eines Geschäftes im Bad. Dann setze ich mich vor den PC, warte ab, bis er hochgefahren ist, öffne ein Schreibprogramm und besinne mich dann doch vorerst darauf, spannende Neuigkeiten im Netz zu finden. Vielleicht DIE spannenden Nachrichten, die sich am Abend zuvor irgendwo vor mir versteckt haben. Und so vergeht unbemerkt eine Stunde...und eine weitere. Als die fiktiven Gestalten in meinem Kopf zu rebellieren beginnen, überkommt mich das schlechtes Gewissen. Ich hatte ihnen versprochen...ihnen heute das Leben zu schenken.
Nur noch kurz frühstücken und dann werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Nachdem ich mir die Zähne geputzt, das Gesicht eingecremt und die Haare gegelt habe, mache ich mich daran, einige Brote mit Butter zu bestreichen und mit Aufschnitt zu versehen (Mama hat wieder nur das gekauft, was nicht schmeckt), gieße mir einen Kaffee und begebe mich damit wieder vor den PC.
Dort blinkt ein unbeantwortetes Chatfenster: "Hey, hast du heute schon was vor?"
Flugs beantworte ich die Frage mit 'Nein' und binnen weniger Wortwechsel steht fest, dass ich mich in zwei Stunden mit einem guten Freund treffen werde. Zum Quatschen. Über seine Probleme. Wieder melden die Gestalten aus meinen Gedanken ihr Recht auf Existenz an. Aber nicht jetzt, denke ich mir. Zwei Stunden sind zu knapp, um weiterzuschreiben. Hinterher muss ich einen roten Faden auf halbem Wege kappen und das würde dem Ganzen nicht gerecht werden. Aber heute Abend...heute Abend habe ich Zeit. Und da ist es dunkel draußen. Und alles wirkt bedrückend. Und vielleicht trinke ich mir einen Bacardi mit Cola, um lockerer zu werden. Und dann...ja, dann bin ich inspiriert genug, um zu schreiben.
Also verfrachte ich meinen Teller mit den Frühstücksbroten auf das Bett, setze mich daneben und lasse die Playstation starten. Knapp eineinhalb Stunden zocken sollte drin sein, ehe mein guter Freund zu mir kommt.
Heute Abend. Heute Abend werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Zwei Stunden später ist es dann soweit (der Freund hatte Verspätung) und es schellt an meiner Tür. Nach kurzer Absprache verlassen wir das Haus, laufen eine Stunde oder zwei durch die Sonne, besprechen Beziehungen und familiäre Probleme, Erlebnisse der letzten Tage und stehen schließlich wieder vor meiner Tür. Hände werden geschüttelt, freundliche Abschiedsworte werden gewechselt und dann bin ich wieder alleine.
Ein Blick in den Briefkasten enthüllt mir einige neu angekommende Rechnungen, deren Begleichungen noch ausstehen. Entnervt werfe ich jene Rechnungen auf mein Bett, mache mir ein Mittagessen und begebe mich wieder vor den PC. Abermals blinkt dort ein Chatfenster, dessen Inhalt mir erklärt, dass mein Freund wohlbehalten daheim angekommen ist. Einige geschriebene Worte werden gewechselt, dann ist das Mittagessen fertig. Ich beende den Chat und widme mich dem Essen, dabei blättere ich die Fernsehzeitung durch und bleibe an dem abgeschlossenen Liebesroman hängen - ich könnte nachher ja auch etwas schreiben...
Das Niveau des Romanes ist gewohnt niedrig und das Ende genauso vorhersehbar wie in den unzähligen anderen Zeitungsromanen auch. Das kann ich viel besser. Tosender Beifall der fiktiven Gestalten in meinem Kopf.
Zur Entspannung lege ich mich nach Beendigung des Mittagessens in die Badewanne, lese dabei ein Buch, das mir wirklich gefällt und sinniere darüber, selbst einmal ein ähnlich fesselndes Werk zu schreiben. Dann lächele ich, denn ich weiß...
Heute Abend. Heute Abend werde ich endlich wieder etwas schreiben.
Aus der Wanne gestiegen schalte ich den Fernseher an, um mir den selbstproduzierten Blockbuster eines Privatsenders anzusehen, dessen Werbung draußen auf riesigen Plakaten in unregelmäßigen Abständen zu bewundern ist. Und danach wird es dann endlich der richtige Zeitpunkt sein, um zu schreiben. Ich schwelge in Vorfreude.
Knappe zwei Stunden später ist der Film beendet (Teil eins, morgen folgt Teil zwei) und ich begebe mich wieder an den Schreibtisch, auf dem mein PC steht. Ich rufe einige Seiten mit den Neuigkeiten des Tages auf. Und denke über den Ablauf meines Tages nach. Eine immer stärker werdende Unzufriedenheit macht sich in mir bemerkbar. Ich wollte morgens anfangen zu schreiben und habe es nicht getan, ich wollte mittags weiterschreiben und habe nicht einmal angefangen, ich wollte abends ein gutes Stück fertig haben...und habe nichts geschrieben.
Ich betätige den 'Favoriten'-Button meines Internetbrowsers. Vielleicht sind ja jetzt irgendwo lesenwerte Neuigkeiten zu finden. Ein Chatfenster leuchtet auf. Von einer Person, die ich im wirklichen Leben noch nicht einmal getroffen habe.
"Hey, wie war dein Tag?" steht da.
Nach einer Stunde Small Talk werde ich müde, beende das Gespräch und schalte den PC ab. Nur eines, das weiß ich...
Morgen. Morgen werde ich endlich wieder etwas schreiben.