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Morgenmuffel
Endlich Wochenende! Fröhlich trällernd und pfeifend zu den Hits von Radio Sonnenschein deckte ich den Frühstückstisch. Ich bin Frühaufsteher und immer gut gelaunt. Bei meinem Partner konnte von “Morgenstund hat Gold im Mund“ nicht die Rede sein. Sein Wahlspruch lautete eher: “Morgenstund hat Blei im Hintern“.
Unterschiedlicher konnten zwei Menschen gar nicht sein! Mein “kleines Monster“, wie ich ihn scherzhaft immer nannte, würde gleich mürrisch dreinblickend und antriebslos in der Küche erscheinen. So war es an jedem Morgen. Ich hatte mir einen Morgenmuffel geangelt. Er kam nicht in die Puschen.
Mit verquollenen Augen und hängenden Schultern stand er vor mir. Ein Blick in sein griesgrämiges Gesicht genügte, mir in Null-Komma-Nix den Tag zu vermiesen.
„Verdammt, reiß dich doch mal zusammen. Es ist ja nicht zum Aushalten!“, meckerte ich, aber er winkte nur ab.
„Es liegt in meinen Genen“, frotzelte er, aber in seiner Stimme schwang ein beleidigter Unterton mit. Verknittert und unrasiert, seinem Alabasterkörper kein Tröpfchen Wasser gönnend, muffelte er vor sich hin. Im wahrsten Sinne des Wortes! Mit wirr vom Kopf abstehenden Haaren schlurfte er durch die Wohnung. Dabei lernte ich ihn vor zwei Jahren als charmanten Mann - betörend nach Aftershave duftend - kennen; gepflegt vom Scheitel bis zur Sohle. In Partylaune, erwartungsvoll und perfekt gestylt gingen wir miteinander aus. Zu Beginn einer Beziehung lernt man nur die positiven Seiten kennen ...
bis er irgendwann einmal über Nacht geblieben war. Beflügelt und noch umhüllt vom Zauber unserer ersten gemeinsamen Liebesnacht, stand ich einem “fremden“ Mann gegenüber. Ich fiel aus allen Wolken.
„Guten Morgen, mein Liebling!“, rief ich ihm vergnügt entgegen.
Statt einer liebevollen Erwiderung gab es nur ein unverständliches Brummeln, was ich zu seinen Gunsten als Gruß deutete. Ächzend ließ er sich auf den nächsten Stuhl fallen. Die Verwandlung meines feurigen Liebhabers erinnerte mich ein wenig an Dr. Jykell und Mr. Hyde. Nach all den sinnlichen Freuden, die wir miteinander genossen hatten, war es nicht gerade schmeichelhaft für mich. Wie konnte man nach einer solchen Nacht so schlecht drauf sein? Ich verstand die Welt nicht mehr! Unsere Beziehung und meine Geduld wurde mehr und mehr auf eine harte Probe gestellt. Ich würde mich nie daran gewöhnen! Nur nicht entmutigen lassen, sagte ich mir. Unverdrossen beugte ich mich zu ihm und hauchte ein Küsschen auf seine Wange. Eine Mischung aus Knoblauchduft und Bierfahne umwehte mich. Natürlich war auch die Zahnpasta noch unberührt geblieben. Furcht einflößend wie Mr. Hyde saß er mir gegenüber und verschanzte sich schließlich hinter der Zeitung.
„Was wollen wir denn heute unternehmen“, fragte ich ihn und sah erwartungsvoll die Rückseite selbiger an. Als Antwort war nur ein unwirsches Grunzen zu vernehmen. Es hatte keinen Sinn; am besten man ließ ihn ganz ihn Ruhe. Mein kleines Monster war noch nicht richtig wach. In diesem Zustand war er immer übelster Laune und sprach kein Wort. Bevor er nicht seine Zeitung gelesen, dazu vier-fünf Tassen Kaffee getrunken, Rühreier mit Speck auf Toast gefuttert hatte, war er nicht ansprechbar.
Seit langem beschäftigte mich die Frage, ob man die Marotten eines Morgenmuffels einfach akzeptieren musste. Ich grübelte darüber nach, wie ich ihm eine Lektion erteilen könnte und eine verrückte Idee formte sich in meinem Kopf.
Der Wecker zeigte: 10.15 Uhr und ich lag immer noch im Bett. Ich musste mich dazu zwingen. Um diese Zeit war ich sonst längst auf den Beinen. Endlich räkelte sich neben mir etwas.
„Gibt es heute keinen Kaffee?“, fragte er anklagend und knuffte mich ungeduldig in den Rücken.
„Bin noch müde“, antwortete ich kurz angebunden und zog demonstrativ die Bettdecke hoch bis zum Kinn.
„Bist du krank?“ Das war ja klar. Seine Schlussfolgerung musste so sein. Ich stand nicht auf - folglich musste ich krank sein! Neben mir rührte sich nichts. Heute würde ich liegen bleiben und wenn es noch Stunden dauerte, bis er endlich in die Gänge käme.
„Schatz, ich habe Hunger“, nörgelte er neben mir und gähnte herzhaft. Eine Weile später stupste er mich erneut an. Ich stellte mich schlafend und rührte mich nicht. Es war bereits 10.45 Uhr. Nachdem ich immer noch keine Anstalten machte aufzustehen, hörte ich neben mir ein leises Seufzen. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete ich ihn. Er rüttelte etwas energischer meine Schultern und sah verständnislos in meine Richtung. Die Zeiger der Uhr rückten vor. Kurz nach 11 Uhr schlug er resigniert die Decke zurück und quälte sich stöhnend aus dem Bett.
Meine Zeit war gekommen. Leise schlich ich ins Bad. Ich drehte ein paar Lockenwickler in die Haare, cremte mein Gesicht ein und legte Gurkenscheiben auf, die ich vorsorglich dort deponiert hatte. Über hübsche Unterwäsche zog ich eine schlabberige Jogginghose und schlüpfte in ein uraltes T-Shirt, dessen Farbe man nur noch erahnen konnte. Ich hatte die Sachen einem Altkleidersack entwendet, sie entsprachen nicht gerade dem letzten Modeschrei. Noch einmal warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel und konnte mir das Lachen kaum verkneifen. Ich war bereit für meinen großen Auftritt.
Er war gerade auf der Suche nach Kaffeefiltern, als ich die Küche betrat.
„Wo sind denn ... ?“, fragte er und hielt mitten im Satz inne.
Fassungslos starrte er mich an. Als stünde ein Alien vor ihm, fixierte er mich von oben bis unten.
„Musst du so rumlaufen?“, motzte er dann und sah mich böse an.
Sein finsterer Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, was er von meinem Aufzug hielt.
„Du siehst ja schrecklich aus!“, war sein vernichtendes Urteil. Wild gestikulierend schimpfte er,
„Wie kann man sich nur so gehenlassen?“, und seine Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
„Da vergeht einem ja alles“, fügte er herzlos hinzu und betrachtete mich immer noch konsterniert.
„Ich passe mich nur an. Jetzt siehst du mal, was du mir jeden Tag zumutest.“, entgegnete ich patzig und schnitt unter meiner Gurkenmaske eine Grimasse. Seine Augen ruhten immer noch kritisch auf mir. Seit langem wusste er, womit er mir das Leben schwer machte. Das leidige Thema hatten wir mehrmals erfolglos durchgekaut. Er legte seine Stirn in sorgenvolle Falten und dachte angestrengt nach. Langsam dämmerte es ihm.
„Oh ... ist es wirklich so schlimm mit mir?“, fragte er in verändertem Tonfall.
„Ja, mein kleines Monster“, erwiderte ich und nutzte die günstige Gelegenheit, meinem Herzen Luft zu machen. Er sollte wissen, wie sehr ich darunter litt. Verlegen hörte er sich alles an. In seinen Augen las ich aufrichtiges Bedauern und lauschte seinen Schwüren, dass er sich ändern wolle.
„Magst du mich denn noch ein bisschen?“, fragte er dann zerknirscht.
„Wenn du dir etwas Mühe gibst“, antwortete ich und strich ihm liebevoll über das kummervolle Gesicht. Es war an der Zeit, meine Maskerade - samt Gurkenscheiben und Lockenwickler - zu entfernen. Langsam verwandelte ich mich in die Frau zurück, die er liebte. Ich entledigte mich meiner schlampigen Kleidung und trug darunter sexy Dessous, die ihm so gefielen. Während seine Blicke voller Bewunderung über meinen Körper glitten, wurde mir etwas klar. Ändern konnte ich meinen Morgenmuffel wohl kaum, aber es gab noch andere Dinge, ihn schneller in Fahrt zu bringen, wie mir das Leuchten seiner Augen verriet.