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Morgenroutine

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14.08.2020
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Morgenroutine

Staub schwebt in gleichförmiger Bewegung durch das schattige Zimmer. Durch die Löcher der abgewetzten Vorhänge fällt fahles Licht in dünnen Strichen. Wie eine Ahnung des Tages kommt es herein, setzt sich, abwartend, aber hartnäckig. Mit einem langsamen Blinzeln öffnet sie die dunklen Augen.
Sie weiß, es ist soweit.
Einen Atemzug lässt sie sich Zeit, dann schlägt sie die Decke mit dem verknüllten Innenleben zurück. Früher hat sie sorgfältig jeden Abend die Decke aufgeschüttelt, damit es sich überall gleich weich und warm anfühlt, doch sie weiß inzwischen, dass es die Mühe kaum wert ist und abends ist sie oft so müde. Manchmal tut sie es doch und dann bemüht sie sich, ganz still und unbewegt einzuschlafen, um diese Gefühl nicht zu verlieren. Zu Weihnachten hat Mama ihr einen Bettbezug mit einem Hund darauf geschenkt, einem Beagle. Wenn sie die Decke richtig gut schüttelt, sieht sein Gesicht ganz rund aus. Jetzt schaut er sie etwas zerknittert und besorgt an. Leise setzt sie die bloßen Füße auf den dunkelgrünen Teppichboden. Er ist schon seit ihrem Einzug hier und Mama sagt, er ist gut, denn dort sieht man die Flecken nicht so schnell. Stimmt auch.
Sie zieht die angelehnte Tür auf, gerade so, dass sie rausschlüpfen kann und bevor das Holz zu knarren beginnt.
Als erstes steuert sie aufs Bad zu. Das ist fast das Wichtigste. Mit dem Deckenlicht fängt auch immer gleich die Lüftung an zu pusten, aber es gibt ja noch das Spiegellicht, zu dem sie sich jetzt tastet. Noch bevor sie es erreicht, riecht sie im Dunkeln Mamas Parfum und ihr Waschmittel aus den Klamotten, die weich um ihre Füße streichen. Das Spiegellicht lässt ihr Gesicht immer etwas käsig aussehen. Zumindest hofft sie, dass es nur daran liegt. Sie greift nach der Plastikbürste und beginnt schnell und gründlich ihre Haare zu entwirren. Dick und etwas buschig wie sie sind, sind sie jeden Morgen verklettet. Sie hat es schon mit Zöpfen versucht, aber die haben sich um ihren Hals gelegt und sie ist oft aus Träumen aufgewacht, in denen sie zu ersticken drohte. Methodisch nimmst sie sich Strähne für Strähne vor und arbeitet von unten nach oben. Den ganzen Rücken fallen sie ihr herunter. Als sie fertig ist, streicht sie mit der Bürste noch einmal ein paar Haare gegeneinander und fährt mit ihren Händen durch, sodass sie fast wieder aussehen wie vorher. Dann die Wäsche in den großen Kunststoffbehälter. Die noch feuchten Handtücher über die Stange hängen.
Im Flur klaubt sie die leeren Flaschen auf, die noch stark nach Alkohol riechen, und räumt sie in den Schuhschrank. Es ist bald wieder so Zeit, zum Container zu gehen. Vielleicht dieses Mal der hinterm Rewe. Sie will nicht jedes Mal so auffallen. Ihr Blick fällt auf das kleine bemalte Tonschälchen auf dem schmalen Tisch. Sie zählt die Münzen. 1,30 €. Aus ihrer Jeansjacke zieht sie den bunten Stoffbeutel, er ist etwas schief bestickt. 4 € sind noch darin. In ihrer Hand liegen sie groß und schwer, in der Schale erkennt sie sie nicht mehr.
Ein leises Ticken aus der Küche erinnert sie daran, dass sie bald fertig sein muss. Sie huscht hinein und versucht nicht allzu stark einzuatmen. Schiebt die vergilbte Fenstergardine zur Seite. Der Filter von gestern liegt zusammengefaltet und nass in der Spüle. Sie schmeißt ihn in die Tüte, die am Nagel unter der Spüle hängt und wäscht die kleinen braunen Krümel den Abfluss hinunter. Mit dem Holzhocker erreicht sie die Schranktür, hinter der Filter, Pulver und ein Saftpäckchen stehen. Gestern hat sie den Saft fast vergessen, aber sie ist dann doch noch schnell zum Kiosk gerannt. Während der Kaffee leise vor sich hin blubbert und dampft, holt sie das Toast aus der Packung und lässt zwei Scheiben in den Toaster fallen. Stellt das Aluminiumtablett bereit, dazu die Butter und das Messer. Prüft die Milch im Kühlschrank. Zwar kauft sie inzwischen nur noch H-Milch, doch sogar die kann schlecht werden. Beim bloßen Gedanken spürt sie schon das schwere Schlucken und den Widerstand ihrer Zunge. Verärgert schüttelt sie den Gedanken ab und kramt die Pappschachtel hinter dem großen Kochtopf hervor. Holt die Schale heraus. Mamas Sonnenschein steht da in verschnörkelter roter Schrift am Boden. Schale auf die Fensterbank, Müsli daneben. Sie fährt etwas zusammen, als der Toaster hochspringt; an das Geräusch kann sie sich am dämmrigen Morgen nie so ganz gewöhnen. Das ist ihre Zeit. Auf der Straße rauschen schon die Autos und man hört die Rufe von der Baustelle, aber hier drinnen, da ist ihre Ruhe. Sie buttert den Toast von beiden Seiten, auch wenn das den Teller immer so verschmiert und das meiste daran kleben bleibt, aber sie weiß, irgendetwas davon wird bei Mama ankommen, darum geht es ja. Der Kaffee ist durchgelaufen. Sie gießt ihn in eine der schönen Tassen, die blaue mit den weißen Punkten. Ordnet Tasse, eine Zuckerschachtel und den Teller mit den Toasten auf dem Tablett an, dass es nicht so leicht rutschen kann. Legt noch den kleinen Teelöffel mit Mamas Initialen dazu.
Sie geht langsam, das Tablett balancierend, über den Flur und drückt mit ihrer Hüfte die Klinke runter. Klopfen bringt nichts, das weiß sie schon. Wenn die Flaschen im Flur liegen, ist Mama im Tiefschlaf. Das Zimmer liegt im Dunkeln, doch sie kennt ihren Weg. Die schwere Luft schläft ihr entgegen und sie widersteht dem Drang, sofort das Fenster aufzureißen. Stattdessen stellt sie das Frühstück auf den Nachttisch und knipst das kleine Licht an. Setzt sich auf die Bettkante und sinkt ein. Mama liegt auf der Seite, hat den Kopf in ihre Richtung gedreht. Die langen Haare liegen verdreht und in dicken Strähnen um ihren Kopf, lassen nur ein wenig das Gesicht frei. Selbst jetzt, im Schlaf, sieht sie unendlich müde aus. Tiefe Schatten liegen unter ihren Augen, die Haut wirkt matt, und die Falten treten in der Bewegungslosigkeit nur stärker hervor.
Aber es ist soweit.
Sie schüttelt Mama an der Schulter.
„Mama. Du musst aufstehen.“
Nur ihr Atem scheint aufzuwachen und sich aufzurichten.
„Mama.“ Noch einmal lauter. „Mama!“
Schwer ziehen sich die Lider hoch und geben helle, grüne Augen frei. Sie sehen noch etwas irritiert aus, die Realität ist noch nicht bei ihnen angekommen.
„Es ist Zeit aufzustehen, Mama. Ich hab dir Kaffee gemacht.“ Da zieht ein erstes verschwommenes Lächeln über Mamas Gesicht.
„Oh, Ava, meine Süße. Du hast mir wirklich Kaffee ans Bett gebracht?“ Ihre Stimmt klingt noch ganz heiser und verschlafen.
„Ja, Mama“
„Womit hab ich das nur verdient, hm? Womit hab ich dich Sonnenscheinchen bloß verdient?“
Mama wartet die Antwort gar nicht ab, sondern zieht sie lachend an sich und knufft sie liebevoll in die Seite.
„Komm, jetzt machen wir es uns so richtig gemütlich!“
Sie setzt sich auf und rutscht zur Seite. Ava klettert auf die Matratze und steckt die Beine unter die noch herrlich warme Bettdecke. Sie reicht Mama die heiße Tasse.
„Mhm, noch warm“, lächelt Mama. „Machst du ihn mir noch etwas süßer? Ja, drei Löffel, genau. Ah, perfekt!“
Seufzend nimmt sie einen Schluck, lehnt sich an das Kopfteil des Bettes und schließt die Augen. Eine Weile sagt sie gar nichts mehr und lässt das Koffein wirken. Dann schlägt sie die Augen blitzartig wieder auf und trinkt hastig und in kurzen, pustenden Schlucken den ganzen Kaffee auf einmal aus.
Währenddessen sitzt Ava einfach und spürt Mamas Anwesenheit. Als die Tasse leer ist, nimmt Ava sie aus Mama langen Fingern und tauscht sie geschickt gegen den Teller.
Mama stutzt kurz und lacht dann auf.
„Ha! So früh am Morgen schon Essen? Du willst mich doch mästen!“
Aber sie fängt schon an, die Brote in kleine Stück zu reißen und aufzuessen. Die letzten Bissen kaut sie lange und schluckt sie schwer herunter. Eine Weile blickt sie gedankenverloren an die Wand. Dann wirken ihre Augen plötzlich wacher und sie richtet sich auf.
„So, du Spätzchen, jetzt kümmer ich mich aber mal um dich, was?“
Mit einem Ruck schlägt sie die Bettdecke zur Seite und fegt alle Wärme weg. Sofort schwingt sie sich seitlich aus dem Bett und macht die ersten unsicheren Schritte. Dann aber rauscht sie regelrecht aus dem Zimmer. Einen Augenblick sieht Ava ihr nach. Dann folgt sie langsam. In der Küche hört sie Mama schon geschäftig lärmen. Als sie hineinkommt, sind die Gardinen zugezogen, das etwas zu gelbe Licht brennt und neben der Fensterbank steht eine volle Schale mit Müsli und ein kleines Päckchen Saft.
„Hier“, Mama gibt ihr die Schale mit einem erschöpften Lächeln, „hab's schon fertig für dich.“
Ava löffelt das Müsli an die Theke gelehnt, Mama geht zum Radio und lässt den Sender mit den Liedern ihrer Jugend laufen. Laut, bunt und fröhlich klingt das. Mama sieht jetzt auch etwas fröhlicher aus, wiegt sich hin und her und fängt dabei an, Geschirr in die Spüle zu räumen. Als Ava fertig gegessen und getrunken hat, stellt sie die leere Schale und ab und legt die Packung daneben.
„Ich räum das schon weg, Schätzchen, mach du dich schnell für die Schule fertig,“ sagt Mama über die Schulter.
Ava drückt ihr einen Kuss auf die weiche Wange. „Danke, Mama“
Dann geht sie in ihr Zimmer. Eigentlich ist ihr Rucksack schon gepackt, aber sie überprüft ihn zur Sicherheit noch einmal. Vor allem, weil sie heute ihren Deutschaufsatz abgeben muss, von dem sie sich eine gute Note erhofft. Mama freut sich eigentlich über alles, so lange sie bestanden hat und eine Drei kann ihr schon ein strahlendes Lächeln entlocken. Aber Ava will mehr. Die Schule interessiert es nämlich doch, ob da eine Drei oder eine Eins steht. Es gibt Kurse, in die man nicht einfach so reinkommt. Außerdem hat ihre Deutschlehrerin ihr gesagt, dass sie gut erzählen und mit Worten umgehen kann, auch wenn sie manchmal noch Fehler mit der Rechtschreibung macht. Aber diesmal hat sie sich viel Mühe gegeben und sogar Wörter recherchiert, bei denen sie sich nicht sicher war.
Der Aufsatz liegt gut im Rucksack verstaut und auch sonst scheint alles da zu sein. Noch schnell die Trinkflasche auffüllen, sonst hat sie wieder die ganze Zeit Durst. Ohne das Kleingeld aus dem kleinen Beutel kann sie sich in der Mensa nichts kaufen und aus dem Wasserhahn will sie nichts trinken. Das letzte Mal hat Clara sie schon so komisch angeguckt.
Jetzt hat sie alles.
Sie greift nach dem Rucksack und fühlt sie gleich etwas stärker. Er ist aus dunkelrotem Jeansstoff und ein Geschenk von Mama. Ava hat ihn im Schaufenster gesehen und war sofort begeistert. Sie hat ihn Mama gezeigt, aber nicht danach gefragt. So ein guter Rucksack ist teuer und Ava hat gleich am Preisschild gesehen, wie teuer. Mama und sie gehen eigentlich immer zu H&M oder so, manchmal auch zum Secondhandshop. Dann darf Ava auch mal drei Teile aussuchen. Aber der Rucksack hat mehr gekostet als drei T-Shirts zusammen. Also hat sie nichts gesagt, aber Mama hat gemerkt, dass sie ihn eigentlich haben wollte. Sie hat einen Moment auf den Rucksack gestarrt, dann „Ach, scheiß drauf“, gemurmelt und ist ohne weiter zu fragen mit Ava in den Laden marschiert. Sie hat sich ganz still verhalten, aber als sie ihn dann in der Hand hielt, hat sie Mama ganz stürmisch umarmt. Sie passt gut auf, dass er nicht schmutzig wird oder kaputt geht, denn dann wird es keinen neuen geben. Er ist schöner als die anderen in ihrer Klasse, die oft Pferde oder Sterne oder Autos haben.
Noch zehn Minuten.
Sie geht in den Flur und zieht Schuhe und Jacke an. Das muss so sein, vorher wird Mama nicht aus der Küche kommen.
„Mama, ich bin fertig!“, ruft sie laut. Mama blinzelt durch die Küchentür.
„Schön, mein Schatz. Aber warte mal, Deine Haare sind doch noch nicht fertig. Warte, ich mach das noch ganz schnell!“
Sie eilt ins Bad und erscheint wieder mit der Haarbürste. Mit ein paar Strichen liegen die Haare dick und glatt auf Avas Schultern.
„So! Ging doch ganz schnell“, lächelt Mama. „Früher hat das immer ewig gedauert.“ Sie lacht und gibt Ava einen Kuss auf die Wange.
„Jetzt aber ab, ich muss auch bald los. Tschüss, meine Süße!“ Und sie verschwindet in ihrem Schlafzimmer.
Einen Moment bleibt Ava noch vor dem Spiegel im Flur stehen und streicht sich durch die Spitzen. Mia hat ihr gestern erzählt, dass ihre Mutter ihr immer die Haare schneidet. Sie könnte das auch für Ava machen. Sie hat Mama nichts davon erzählt, aber doch darüber nachgedacht. Ein paar Wochen ist das her. Sie sieht in den Spiegel und stellt es sich vor.
Bald wird sie die Haare abschneiden.
Ganz bestimmt.

 

Moin Charly,

heftiges Thema hast du dir da ausgesucht, da kann man viel mit machen, aber für meinen Geschmack braucht deine Geschichte zu lange, um in Fahrt zu kommen, und du bleibst auch relativ brav. Zu brav für meinen Geschmack.

Die ersten Absätze sind zu beschreibend, der Konflikt lässt lange auf sich warten. Du beschreibst, wie die Kleine aufwacht und was sie für Bettzeug hat und wie sie Essen macht. Ansonsten passiert gar nichts. Bevor sie ihre Mutter weckt, gibt es nur eine Stelle, die einen Konflikt andeutet (die mit dem REWE) und ich lese und lese und warte und warte, aber es kommt keine Spannung rein. Muss der Leser wirklich wissen, was für Milch die benutzen? Wie sie Toast schmiert? Wie die Kleine ihre Haare kämmt? Da liegt nichts Interessantes drin, nichts Besonderes, das bläht den Text nur auf und hat nicht wirklich Mehrwert. Ganz ehrlich, ich würde direkt mit dem Wecken der Mutter einsteigen und alles davor raushauen und den Kontext später einbauen. Gleich mit der Szene starten, nicht erst so viele Absätze darauf verwenden, die Morgenroutine zu schildern. Klar, der Text heißt so, aber deine Routine soll ja eine besondere sein, die zwischen Kind und alkoholkranker Mutter, aber davon spürt man erst spät was, für so manchen Leser womöglich zu spät. Davor bleibt die Morgenroutine unspektakulär, fast beliebig, und das ist natürlich Gift für jeden Text.

Die Mutter liebt ihr Kind, das spürt man, und sie will alles richtig machen, kann das nur nicht, aber generell bleibst du sehr brav, der Alkoholismus der Mutter ist ein stiller. Klar, das ist wohl die häufigste Form, trotzdem hätte ich mir mehr gewünscht. Die Stelle mit dem REWE ist die beste im Text, weil hier klar mit dem Konflikt umgegangen wird, ansonsten deutest du die Problematik nur an. Die zeigst auch kaum, wie das Kind denkt und fühlt, es bleibt alles deskriptiv, und da finde ich nur schwer emotionalen Zugang. Was schade ist, denn bei dem Thema ist das Potenzial dafür da. Also mehr Szenen, mehr Dialoge, mehr Innenschau der Protagonisten, weniger Beschreibung, dann geht da noch einiges. Denn schreiben kannst du, der Text lässt sich flüssig lesen, da sind kaum Hänger, und das ist schon mal eine gute Voraussetzung.

Die Quellenangabe am Ende verstehe ich nicht. Wofür ist das die Quelle? Das Sujet? Dein Text ist doch dein Text, du hast doch nichts aus der Quelle entnommen. Oder soll das eher was sein wie "Weitere Informationen und Hilfe für Betroffene finden Sie hier"?

Hoffe, ich konnte dir ein bisschen helfen. Ich wünsche einen entspannten Start in die Woche.

 

Hallo Steppenläufer,

danke für die Kritik, ist schonmal sehr hilfreich und ausführlich.
Was ich sehe ist, dass meine Intention noch nicht so gut ankommt. Denn Du sprichst von Konflikt, der auf sich warten lässt. Mir ging es aber nicht um den großen Knall oder so. Wie du ja schon sagtest, stiller Alkoholismus ist häufig, ich hatte also nie vor, die Mutter besonders heftig auftreten zu lassen.
Du hast sicher recht, dass ich mehr das Innenleben von dem Mädchen beschreiben könnte, da fehlt wohl noch die Seele. Die Beschreibungen sind jedoch zentraler Aspekt von dem, was ich darstellen will, obwohl ich das offenbar noch nicht gut vermittel: Es geht darum, dass ein Kind (vielleicht fehlt auch noch eine konkrete Altersangabe oder so), sich um viele Details eines Alltagslebens kümmert, für das eigentlich die Mutter zuständig sein sollte. Sie muss extra früher aufstehen, obwohl sonst doch eigentlich die Eltern die Kinder wecken. Und zusätzlich zum Erledigen der Aufgaben kommt der Konflikt, dass sie ihrer Mutter aber das Gefühl geben will, dass diese eigentlich alles macht. Sie bereitet alles vor, damit ihre Mutter es fertig vorfindet. Sie bürstet sich die Haare, eine schwierige Aufgabe, lässt sie jedoch unordentlich aussehen, sodass ihre Mutter sich einfacher selbst diesen Akt zuschreiben kann. Vielleicht gibt das ein Bild der Intention. Deshalb auch die wichtige Frage am Ende, ob sie die Haare nicht doch noch abschneidet, sich sozusagen aus dieser künstlichen Fürsorge ein Stück weit befreit.
Die Mutter und ihr Wohlbefinden stehen also im Zentrum, sie selber als Handelnde aber nicht, weil sie dazu gar nicht fähig ist. Das war mir wichtig auszudrücken. Ich sehe aber an deiner Kritik, dass mir das noch nicht so richtig gelungen ist. Hmm. Ich finde es noch schwer, etwas zu beschreiben, was eigentlich total problematisch ist (ein Kind in übermäßiger Verantwortung), was aber die Protagonistin schon völlig normal und alltäglich ist. Denn sie hat Gründe für die sehr feste Routine, aber wer etwas zum hundertsten Mal macht, denkt ja nicht jedes Mal, "ach ja, das mache ich, weil meine alkoholkranke Mutter sich darum nicht kümmern kann". Schwierig.
Ich denke, so beliebig ist die Morgenroutine für ein Kind nicht (ich hatte mir das Mädchen übrigens so zehn/elf vorgestellt, aber das steht natürlich auch nicht im Text). Die Quellenangabe war dafür, dass ich mir nicht sicher war, ob realistisch ist, was ich schreibe und ein wichtiger Hinweis bzw. eine Bestätigung war, dass Kinder von alkoholkranken Eltern oftmals mehr Verantwortung übernehmen als die Eltern selber.

Werde Deine Überlegungen auf jeden Fall in eine Überarbeitung einbeziehen.

Danke und liebe Grüße,
Charly

 

Hallo @Charly R.

die Geschichte ist nicht sehr ansprechend gestaltet. Bereits der Titel wirkt abschreckend, weil ich den sofort mit langweiligen YouTube Videos assoziiere. Leider ist der Inhalt dann ähnlich uninteressant.
Die Tochter scheint gut damit klar zu kommen, dass Mama mal einen über den Durst trinkt. Jedenfalls ist nicht der Hauch eines Konflikts zu spüren.
Das Innenleben der beiden Protagonisten bleibt verborgen. Handlung findet kaum statt. Stattdessen werden viele belanglose Details beschrieben. Erst spät wird deutlich, dass die Tochter wohl sehr jung ist. Dass die Mutter Alkoholikerin ist, muss ich mir selbst zusammenreimen. Und ein echtes Problem wird nicht deutlich. Bei mir fliegt auch Staub durch die Bude und die Milch wird sauer.
Deine Geschichte hat mich leider nicht erreicht.

Schönen Gruß!
Kellerkind

 

Hallo Kellerkind,

danke für die Kritik. Ja, der Titel ist wohl noch nicht ideal, das dachte ich mir schon.

Tja, was bedeutet denn gut damit klar kommen? Ich persönlich denke, dass man sich gerade als Kind mit der Zeit an Dinge gewöhnt, die gar nicht normal sein sollten. Zum Beispiel an eine immer verkaterte Mutter und daran, sich viel um den Haushalt etc. zu kümmern. Das ist ja der Witz an den ganzen Details. Es geht um einen Einblick in den Alltag, das war mein Anliegen. Und das Kind betreibt ja einen Aufwand, um alles möglichst harmonisch, also konfliktarm zu gestalten.
Ja, das Alter wird natürlich nicht gesagt. Hätte zwar gedacht, dass das durch die Sprache klar wird, aber das ist wohl nicht der Fall.
"Dass die Mutter Alkoholikerin ist, muss ich mir selbst zusammenreimen." Ja, etwas spezifscher könnte das vielleicht noch sein. Aber dass man sich selbst etwas zusammenreimen kann, ist doch erstmal nicht schlimm. Ich finde nicht, dass man immer alles zu sehr erklären muss. Wenn so etwas schon Alltag ist, wird das Kind ja auch nicht mehr immer darüber nachdenken.
Ja, natürlich wird jedem Mal Milch sauer und so weiter. Aber es geht ja darum, dass das Kind sich Gedanken macht, wie es am besten welche Milch kauft, damit das nicht passiert. Das sollte eigentlich nicht in seinem Verantwortungsbereich liegen. Aber da kommen wir natürlich wieder dahin, dass das Alter nicht feststeht. Hm.
"Deine Geschichte hat mich leider nicht erreicht."
Schade. Aber nun weiß ich zumindest, warum.

Liebe Grüße,
Charly

 
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Hallo @Charly R.

Es geht darum, dass ein Kind (vielleicht fehlt auch noch eine konkrete Altersangabe oder so), sich um viele Details eines Alltagslebens kümmert, für das eigentlich die Mutter zuständig sein sollte. Sie muss extra früher aufstehen, obwohl sonst doch eigentlich die Eltern die Kinder wecken. Und zusätzlich zum Erledigen der Aufgaben kommt der Konflikt, dass sie ihrer Mutter aber das Gefühl geben will, dass diese eigentlich alles macht. Sie bereitet alles vor, damit ihre Mutter es fertig vorfindet. Sie bürstet sich die Haare, eine schwierige Aufgabe, lässt sie jedoch unordentlich aussehen, sodass ihre Mutter sich einfacher selbst diesen Akt zuschreiben kann.

Das ist ein gutes Konzept. Ich finde es reizvoll, sich der Thematik unaufgeregt und still zu nähern, und z.B. die Idee, dass Ava ihre Haare absichtlich unordentlich aussehen lässt, sehr berührend. Die Umsetzung lässt sich aber offenbar optimieren, wie die ersten Kommentare aufzeigen. Zwei, drei Ideen dazu:

- Ein Detail: Du nennst Ava erst beim Namen, nachdem es ihre Mutter getan hat. Zuvor verwendest du ausschliesslich das Personalpronomen. Das ist einerseits inhaltlich geschickt, Ava ist so sehr in dieser Situation gefangen, verliert ihre Kindheit und sich selbst so sehr, dass aus ihr eine "sie" wird und sie erst in der Spiegelung durch die Mutter als Ava erscheint. So was, vielleicht interpretiere ich da auch zu viel rein. Der Preis, den du bezahlst, ist meines Erachtens aber zu hoch, denn das anonyme "sie" erschwert die Identifikation durch die Leser. Kann ich jetzt natürlich nicht beweisen, aber ich bin mir sicher, dass der Effekt sehr viel grösser ist, als man vermuten könnte. Ich würde Ava also schon früher beim Namen nennen.

- Du möchtest einen stillen Text ohne grössere äussere Konflikte. Okay. Aber vielleicht könntest du die inneren Konflikte verstärken. Ava erwacht und merkt, dass sie verschlafen hat, vielleicht nur fünf Minuten. Stress, sie muss doch das Frühstück machen! Auch dass sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle zögert oder sich Gedanken macht, ob sie das nun so oder so macht, wie zum Beispiel bei der Sache mit dem Altglas. Steppenläufer hat das ja als stärkste Szene hervorgehoben und ich sehe das ähnlich, weil hier ein inneres Ringen, zumindest ein Abwägen spürbar ist.

- Vielleicht könntest du doch an den einen oder anderen Stellen den Preis andeuten, den Ava bezahlt. Das ist handwerklich anspruchsvoll, denn du möchtest ja, dass Ava selbst diesen Preis gar nicht wirklich wahrnimmt. Aber dass ihre Schulleistungen in den Keller gehen, dass sie sich ständig Sorgen um die Mutter macht und sich selbst nicht mehr spürt, dass sie keine Freundinnen hat, weil keine Zeit etc. Zu Beginn des Textes sagst du, dass Ava abends immer sehr müde ist. Solchen Dingen könntest du mehr Gewicht verleihen. Du musst z.B. Kellerkind spüren lassen, dass Ava mit der Alkoholsucht ihrer Mutter bloss klarzukommen scheint, es aber eindeutig nicht so ist.

- Verwende nur Details, die in irgendeiner Form mit dem Thema zu tun haben. Nehmen wir den Einstieg: Staub im Zimmer, Decke ausschütteln, das ist zu beliebig. Vielleicht könntest du die Mutter schneller ins Spiel bringen, den Teppich, bei dem man die Flecken nicht so schnell sieht, das finde ich ein tolles Detail, das viel über die Mutter aussagt. Diese Details würde ich herausschälen, alles andere streichen. Natürlich muss man da aufpassen, dass es nicht plakativ wird, aber momentan befindet sich dein Text sehr eindeutig auf der anderen Seite des schmalen Grats, sodass du dir darüber m.E. vorerst keine Gedanken machen musst.

- Dem Text fehlt am Ende vielleicht doch noch so etwas wie eine Handlung, zumindest ein Ereignis, das eine Änderung der Routine verursacht. Du deutest ja am Schluss des Textes einen möglichen Ausbruch an, aber dieser Ausbruch erscheint durch nichts motiviert. Dieses Ereignis muss keine grosse Sache sein, aber irgendeinen Katalysator brauchst du wohl schon.

Ich hoffe, du wirst an dieser Geschichte noch weiterarbeiten, ich glaube die birgt viel Entwicklungspotential, als Text, aber auch für dich als Autor(in). Viel Erfolg dabei!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Charly R. ,

den Namen AVA hast du schön gewählt; er bedeutet Stärke, Kraft.
Und Ava zeichnest du in deiner Geschichte auch als starkes Mädchen.

Mich haben die Thematik und die leise Art, wie du das Elend hinter der Fassade aufrollst, berührt.

Du beschreibst, wie Ava sich mit ihrer Rolle als „Mutter der Mutter“ arrangiert hat.
Das machen Co-Alkoholiker wohl auch.
Die Routine-Handlungen, mit denen Ava versucht, die Realität zu verstecken, sind nachvollziehbar, denn das Leben mit einem Alkoholiker ist mit Scham und Angst behaftet.
Aus Scham versuchen Co-Alkoholiker, ihr Leben für die Außenwelt normal erscheinen zu lassen und arrangieren so eine Scheinwelt. Niemand soll bemerken, wie es um die Alkoholikerin steht, wie es bei uns zugeht.

Bei Ava ist es aber noch mehr als das:
Ava will der schwachen Mutter das Gefühl geben, doch noch als Mutter zu funktionieren.

Ein weiterer Aspekt wäre die Angst vor der einschneidenden Veränderung, die Ava belasten könnte. Wenn offenkundig wird, dass ihre Mutter das Kindeswohl gefährdet, weil sie nichts mehr auf die Reihe bekommt, steht eine Trennung von der Mutter an (Heimunterbringung, Aufnahme in Pflegefamilie).
Vielleicht könntest du einige Fakten einarbeiten, die die Angst und Scham des Kindes belegen.
Das könnte auch eine Szene in der Schule sein, wenn Ava wegen fehlender Hausaufgaben von der Lehrperson ausgeschimpft würde. Sie muss dann den Konflikt aushalten zwischen nicht schuldig zu sein und doch für schuldig befunden zu werden.

Man wünscht sich als Leser, dass der Druck, der auf diesem Kind lastet, sich bald entlädt.
Eine direkte Lösung muss nicht her, aber lass diesen Druck, den inneren Kampf Avas ein wenig stärker hervortreten.
Das kann auch durch die Lehrerin (um bei meinem Beispiel zu bleiben) ausgelöst werden: Die Lehrerin stößt Ava darauf, dass sie ein Recht auf ein Eigenleben als Kind und Mensch hat.
Kurzgeschichten leben ja immer davon, dass die Protagonisten sich am Scheideweg einer Lebenssituation befinden.

Lachen musste ich darüber:
. Sie fährt etwas zusammen, als der Toaster hochspringt; an das Geräusch kann sie sich am dämmrigen Morgen nie so ganz gewöhnen.
Wenn ich demnächst toaste, warte ich darauf, dass der Toaster hoch durch die Küche springt.

Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. Sie hat Potenzial!
Lieben Gruß
kathso60

 

Hallo Peeperkorn,

danke für die ausführliche Kritik und die guten Ratschläge!

Tatsächlich war es Absicht, den Namen erst so spät zu nennen, aus ziemlich genau den Gründen, die Du auch überlegt hast, aber das passt dann wohl nicht ganz.

Deine anderen Anmerkungen finde ich sehr hilfreich, ich kann jetzt auch besser verstehen, wo ich noch nicht die Brücke zum Leser geschlagen habe. Werde mich mit Deinen Gedanken im Hinterkopf sicher nochmal dransetzen!
Liebe Grüße,
Charly

Hallo kathso60

freut mich, dass die Geschichte Dir gefällt!

Finde Deine Überlegungen sehr gut, da werde ich auf jeden Fall nochmal überlegen, wie man den Druck und die Zerrissenheit deutlicher erscheinen lassen kann. Danke Dir!

"Lachen musste ich darüber:
. Sie fährt etwas zusammen, als der Toaster hochspringt; an das Geräusch kann sie sich am dämmrigen Morgen nie so ganz gewöhnen.
Wenn ich demnächst toaste, warte ich darauf, dass der Toaster hoch durch die Küche springt."

Ähhh, ja, da hab ich nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen :D

Danke für die Rückmeldung!
Liebe Grüße,
Charly

 

Hallo Peeperkorn

Ich habe deine Geschichte gern gelesen ,mich hat auch der Inhalt angesprochen. Vermisst habe ich allerdings die Gefühle der Kleinen, denn der Alkoholismus der Mutter macht ja etwas mit ihr : Sie wird traurig sie schämt sich ,sie fühlt sich als Opfer, ja und sie wird auch wütend auf ihre Mama, den ich denke nicht das sie begreift was für eine Krankheit ihre Mutter hat. Sie leidet.
Das sind meine Gedanken dazu .

Lieber Gruß CoK

 

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