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Morgens
Das Zimmer war von dem Dämmerlicht in ein schemenhaftes Grau getaucht. Mit den schärfer werdenden Konturen der Möbel, kündigte sich auch der neue Tag an. Seufzend machte sie langsam die Augen weiter auf und rollte sich auf die Seite. Dort lag er und schlief noch. Auf dem Rücken. Seine Arme entspannt an seinem nackten Körper, bis zum Bauch von einem Laken bedeckt. Den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Diese Zeit des Tages liebte sie am meisten. Die Falten auf seiner Stirn waren verschwunden, ebenso der gehetzte Ausdruck in seinen Augen. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig. Sie wollte ihn nicht wecken, also stellte sie sich vor, sie würde mit den Fingern durch sein Gesicht streichen und ihn sanft küssen.
Gleich würde er aufwachen, und die Illusion wäre dahin. Sie kannte das schon, aus all den Nächten zuvor. Nachts klammerten sie sich verzweifelt aneinander, schliefen zusammen ein und morgens verbrachte sie ein paar Minuten mit dem Gedanken, was wäre wenn…
Er bewegte leicht den Kopf. Es war vorbei. Sacht drückte sie ihm nun ein Kuss auf die Stirn, woraufhin er sie lächelnd, aber noch mit geschlossenen Augen, in den Arm nahm. Bedacht darauf, jede Sekunde zu genießen, kuschelte sie sich an ihn, legte den Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Das regelmäßige Pochen empfand sie wie Musik. Während er langsam mit der Hand ihre Wirbelsäule entlangfuhr und sein Gesicht in ihren Haaren vergrub, lag sie auf seiner Brust und atmete tief ein. Sie liebte seinen Geruch. Dann richtete sie sich auf und küsste ihn auf den Mund, während er mit den Fingern ihre Gesichtszüge erfasste.
„Wir müssen aufstehen.“, murmelte er und beendete damit das Ritual.
Er hatte Recht, doch wenn es auch nur einen Morgen nach ihr gegangen wäre, wären sie auf der Matratze auf dem Boden liegen geblieben. Widerwillig lösten sie sich voneinander, standen auf und griffen nach den Kleidern. Während er sich vor dem Spiegel die Zähne putzte, stand sie vor ihm und knöpfte sein Hemd zu. Worte wechselten sie kaum, auch nicht, als sie vor dem Spiegel stand und er ihre dichten Haare kämmte. Es war alles gesagt.
Der Abschiedskuss war immer flüchtig. Sie hatte sich damit abgefunden. Aber, wenn er es doch nur einmal sagen könnte. Nur ein einziges Mal. „Wir sehen uns heute Abend.“ Doch er sagte es nicht. Der gehetzte Ausdruck war längst in seine Augen zurückgekehrt, der Körper angespannt.
„Überleb für mich.“, sagte er stattdessen, lächelte und drehte sich dann schnell um. Dann verschwand er auf der Straße zwischen den Häuserruinen. Inzwischen hatte sie sich in die andere Richtung gewendet und lief durch die zerbombte Stadt an den Leichen der letzten Nacht vorbei.