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Muschelfresser

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02.09.2004
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Muschelfresser

Jeder Mensch hat eine besondere Begabung – ein Talent, das ihn von anderen Menschen unterscheidet ...

Ich erinnere mich an den Tag, als ich es das erst Mal bewusst spürte. Es war kurz vor der Versetzung in die siebte Klasse. Ich war bei meinen Großeltern und saß mit meiner kleinen Schwester im Garten. Sie im Sandkasten, ich auf dem Rand. Mein Opa setzte sich zu uns – buck Sandkuchen mit Sarah und lächelte. Wie immer.
Doch als seine große schwielige Hand mich versehentlich – nur für den Bruchteil einer Sekunde - berührte, konnte ich es spüren. Ein Gefühl unendlicher Traurigkeit durchzuckte mich und ich musste unwillkürlich weinen.
„Na, na ...“, versuchte er mich zu trösten. „Wer wird denn da gleich weinen.“
Ich schniefte und sah ihn mit großen Augen an. „Ich hab Dich so lieb Opa“, sagte ich und schlang meine dünnen Arme um seinen Hals. In sein Ohr flüsterte ich: „Opa, warum bist Du so traurig?“ Ich wollte nicht, dass jemand anders hörte, was ich sagte.
Sanft aber bestimmt schob mein Großvater mich von sich und blickte forschend in meine Augen. „Dummerchen, wie kommst Du denn darauf, dass ich traurig bin?“ Er lächelte, wie um seine Worte zu bekräftigen. Aber es war nur sein Mund der lächelte, nicht seine Augen.
Schnell drehte ich mich zu allen Seiten um, um sicherzustellen, dass uns niemand belauschte. Dann flüsterte ich: „Ich kann es sehen. Und wenn Du mich berührst, dann kann ich es auch fühlen!“
„Ach, Herzchen ...“
Ich konnte sehen, dass er mit sich rang, als würde er einen innerlichen Kampf ausfechten und blickte ihn fragend an. Er griff nach meiner Hand. „Spürst Du jetzt auch etwas?“ Ich schüttelte verneinend den Kopf. Nichts. Ich fühlte gar nichts.
„Gut.“ Er wirkte zufrieden. „Komm mit, ich möchte Dir etwas erklären. Es ist an der Zeit. Und es ist wichtig, dass Du dabei gut zuhörst und aufpasst. Wirklich wichtig, hörst Du?“
Ich nickte. Ich hatte mich noch nie so eingeschüchtert gefühlt ...
Hand in Hand gingen wir tiefer in den Garten. Vorbei an der alten Scheune mit dem Teerfass, in das ich immer gerne Sand warf, vorbei an Erdbeer- und Rhabarberbeeten, bis hin zu den jungen Erbsenpflanzen. Hier setzten wir uns auf einen alten Baumstamm.
„Schön hier, oder?“
Ich nickte.
„Du musst mir jetzt gut zuhören – und du darfst nie vergessen, was ich dir jetzt sage.“ Eindringlich sah der alte Mann mich an. „Jeder Mensch hat eine besondere Begabung – ein Talent, das ihn von anderen Menschen unterscheidet.“ Er hielt inne und strich sich über sein schlecht rasiertes, kratziges Kinn. „Manche Menschen können zum Beispiel besonders gut malen, oder zeichnen. Andere sind Virtuosen auf ihren Instrumenten, wieder andere können besonders gut Fußball spielen, oder Geschichten erzählen. Es gibt unzählige verschiedene Talente. Begreifst du das?“ Prüfend sah er mich an.
Ich hatte keine Ahnung wovon er sprach, aber um ihn nicht zu enttäuschen, nickte ich.
„Gut.“ Er wirkte zufrieden. „Du hast auch so ein besonderes Talent. Die gleiche Begabung wie ich. Deine Gabe ist dein ausgeprägtes Mitgefühl und dein Verständnis. Ich weiß, dass Du jetzt noch nicht alles, was ich dir erzähle, begreifen wirst – aber im Laufe der Zeit wirst du es verstehen; das verspreche ich dir. Um das Herz eines anderen Menschens zu lesen, musst du dein eigenes Herz öffnen, um zu verstehen, musst du dieselbe Sprache sprechen.“
Hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch eine ungefähre Idee gehabt, wovon mein Großvater sprach, so war ich nun völlig verwirrt. Total verstört und auch ein bisschen verängstigt, legte ich meinen Kopf in seinen Schoß. „Ich will aber nicht die Herzen anderer Menschen lesen können. Ich will nicht wissen, ob sie traurig oder glücklich sind. Wenn sie traurig sind, dann werde ich auch traurig – wie bei dir eben. Das ist kein schönes Gefühl. Mein Herz wird dann ganz schwer ...“ Ich spürte wieder einen dicken Kloß in meinem Hals aufsteigen und schluckte schwer.
„Ich weiß, Herzchen.“ Mein Großvater tätschelte sanft meinen Kopf. „Aber seine Talente kann man nicht frei wählen. Damit wird man geboren – ob man will oder nicht. Es gibt nur ein paar wichtige Dinge, die du nie vergessen darfst: Zum einen darfst du deine Gabe nie missbrauchen, um andere Menschen zu manipulieren, aber besonders wichtig ist, dass du niemandem davon erzählst und niemandem unbedacht dein Herz öffnest! Das ist das Allerwichtigste!“
Fragend blickte ich ihn an. „Aber wieso ist das so wichtig? Und wie soll ich denn mein Herz verschließen – ich weiß doch gar nicht wie das geht?!“ In diesem Moment fühlte ich mich wirklich überfordert und wünschte mich an einen anderen Ort.
Mein Großvater lächelte. „Du kannst nicht vor dir selber davon laufen.“
„Wie kommst du darauf, dass ich das will?“, fragte ich verdattert.
„Hast du schon vergessen? Ich kann es auch ...“
„Oh“, entfuhr es mir. „Wieso ist es so wichtig, dass ich niemandem davon erzähle?“
„Menschen wie du und ich sind wie Muscheln.“
„Muscheln? Was für Muscheln Opa? Solche schwarzen, die im Urlaub immer an den Steinen hängen?“
„Meinst Du Miesmuscheln?“ Mein Großvater lächelte mich an und nickte. „Ja, zum Beispiel wie Miesmuscheln. Wir sind außen robust und niemand kann uns etwas anhaben; wie die schwarze Muschelschale. Aber unser Inneres ist genauso weich und empfindlich wie das Muschelfleisch. Wenn wir nicht aufpassen und uns ein bisschen zu weit, zu unbedacht öffnen, können wir ganz leicht gefressen werden.“
Ich kicherte albern. „Gefressen? Aber wer sollte dich denn fressen – du bist doch viel zu groß!“
„Ja, aber wenn ich eine Muschel wäre, könnte eine Möwe mich ganz leicht fressen.“
„Das stimmt“, willigte ich ein.
„Und es gibt Menschen die sind wie Möwen. Sie können dich verletzen, wenn du nicht sorgsam auf dich acht gibst. Sie können dich sogar fressen – so dass nur deine Schale zurück bleibt. Wenn das passiert, hast du deine Fähigkeit verloren – und wenn du Pech hast, auch deine Seele“, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. „Also versprich mir, dass du gut auf dich aufpassen wirst, ja?“ Eindringlich sah er mich an.
„Ich verspreche es. Hoch und heilig“, sagte ich und hob, wie zum Schwur, zwei Finger.
„Gut.“ Er wirkte beruhigt. „Aber eine wichtige Sache muss ich dir noch sagen – und auch das darfst du nie vergessen: Manche Menschen geben vor Muscheln zu sein. So wie du und ich. Aber das sind sie nicht. Sie sind Möwen, die schlimmsten von allen. Muschelfresser. Also sei immer sehr vorsichtig! Und jetzt laß’ uns zurückgehen; Deine Oma wundert sich bestimmt schon, wo wir zwei Hübschen stecken...“

Zwei Wochen nach diesem Gespräch kam er ins Krankenhaus, sechs Monate später war er bereits tot. Er hat das Krankenhaus nie mehr verlassen – nicht einmal zum Sterben.
Er hatte gewusst, dass er sterben würde. An Lungenkrebs. Das war der Grund für die unendliche Traurigkeit gewesen, die ich an diesem letzten Nachmittag den wir gemeinsam verbracht hatten, gespürt hatte.

Jahrelang habe ich ihn vermisst. Ich habe alle seine Ratschläge befolgt. Habe meine Gabe nur eingesetzt, um anderen Menschen zu helfen, zuzuhören. Ihnen neuen Mut zu geben. Habe mich in Acht genommen vor Möwen.
Dann habe ich dich getroffen. In dir habe ich alles erkannt – alles was ihn ausgemacht hat. Dein Mut, dein Humor, deine Offenheit, deine Güte. Du warst wie er. Dennoch habe ich mich dir nicht geöffnet. Nicht gleich. Ich habe dich geprüft, auf die Probe gestellt. Du hast alle meine Tests mit Bravour bestanden. Du warst auch eine Muschel, da war ich mir sicher...
Du warst geduldig. So geduldig, dass ich dachte es wagen zu können. Doch bereits den Bruchteil einer Sekunde nachdem ich meinen Panzer verlassen hatte, wusste ich: Du warst das, wovor mein Großvater mich gewarnt hatte. Ein Muschelfresser. Die schlimmste Sorte. Alles das, was ich glaubte in dir erkannt zu haben, verpuffte in dem Moment als ich das fressgeile Glitzern in deinen Augen aufblitzen sah. Du hattest eine perfekte Tarnung – zeigtest mir all’ das, was ich in dir sehen wollte.

Jetzt hast du deinen spitzen Schnabel schmerzhaft um mein saftiges Fleisch gepresst. Bereit mich jeden Moment zu zerquetschen. Aber du lässt Dir Zeit. Genießt deinen Triumph.
Ich hoffe, dass du eines Tages feststellst, dass Du etwas Einmaliges zerstört hast – etwas, dass auch dein einsames Muschelfresser-Dasein hätte bereichern können.
Aber dann wird es zu spät sein.
Denn du wirst nie wieder einen Menschen wie mich finden. Wir Menschen unterscheiden uns durch unsere Talente - und diese Talente sind zwar ähnlich, aber dennoch in ihrer Art einmalig.

 

Hallo Honkine,

nun endlich doch ein Kommentar!

Ich bin mir unsicher über diese Geschichte: Sie ist eigentlich gut geschrieben, flüssig im Stil, aber etwas stört mich ziemlich:

Menschen wie Du und ich sind wie Muscheln.
Das sagst du natürlich als Aufhänger für Bild und Titel der Geschichte, aber es ist etwas, was für mich einfach nicht funktioniert. Vielleicht geht es nur mir so, aber Menschen als Muscheln finde ich weit hergeholt.
Ansonsten:
Jeder Mensch hat eine besondere Begabung – ein Talent, das ihn von anderen Menschen unterscheidet...
Den Einstieg finde ich steif und langweilig. Würde ich weglassen.
Ich hoffe, dass Du eines Tages feststellst, dass Du etwas Einmaliges zerstört hast – etwas, dass auch Dein einsames Muschelfresser-Dasein hätte bereichern können.Aber dann wird es zu spät sein.Denn Du wirst nie wieder einen Menschen wie mich finden. Wir Menschen unterscheiden uns durch unsere Talente - und diese Talente sind zwar ähnlich, aber dennoch in ihrer Art einmalig.
Das hast du natürlich geschrieben, um zusammen mit dem ersten Satz einen Rahmen zu bilden. Finde ich aber auch überflüssig.

Gruß, Elisha

 

Hallo honkine,

leider krankt dein Text ein bisschen an erklärender Langeweile.
Und inhaltlich ein bisschen daran, dass der Opa versäumt hat, seiner Enkelin etwas ganz Wichtiges mitzugeben. Muschelmenschen haben Kraft und Macht. Sie strahlen aus und sind viel weniger verletzlich als sie meistens glauben.
Das Ende ist mir zu eindeutig schuldzuweisend. Schön, wenn deine Prot weiß, etwas Besonderes zu sein. Aber letztlich zieht es die Idee runter. Der Text verfällt doch zu einer Privatabrechnung mit dem Exgeliebten. All der Aufbau nur aus eitler Verletzung heraus. Das hat die Idee der Muschelmenschen nicht verdient.

Und: Ich bin ganz sicher, dir weder einen Schnabel ins Fleich zu pressen oder dich zu zerstören.

Ich habe nichts gegen eine "Du" Anrede in Geschichten. Sie sollte aber wohl überlegt und stimmig sein. Das finde ich in deinen letzten (und für mich ja ohnehin überflüssigen) Absätzen nicht.
Erst recht der Aufbau der Geschichte macht mich skeptisch dagegen, denn letztlich öffnest sich die Prot dem Leser, erzählt ihm davon, recht wahllos, trotz der Warnung des Großvaters. Das ist eine Ambivalenz, die man in solchen Geschichten natürlich nicht umgehen kann. Wenn du aber dann in das "Du" wechselst, dann ist schwer, zwischen der direkten Anrede eines imaginären Prot und dem Leser zu unterscheiden. Es besteht also die Gefahr, dass du jedem Leser dabei vorwirfst, die Offenheit der restlichen Geschichte missbraucht zu haben.

Aber wie gesagt, am besten du lässt diesen ganzen persönlichen Abrechnungsscheiß weg. Der verdirbt die Geschichte nur.

Mein Opa setzte sich zu uns – bug Sandkuchen mit Sarah und lächelte.
die buck er, wenn. Kommt ja schließlich von backen.
„Ich hab Dich so lieb Opa“,
nur noch "Sie" als Anrede wird nach der neuen Rechtschreibung groß geschrieben, "du" klein.
„Ach, Herzchen...“
Leerzeichen: Herzchen ...
Komm mit, ich möchte Dir was zeigen
Auch wenn es wörtliche Rede ist, stört mich hier das Umgangssprachliche - etwas zeigen
– und Dir etwas erklären.
überflüssig.
Ich hatte mich noch nie so eingeschüchtert gefühlt...
Leerzeichen ... (Das gilt immer)
Ich weiß, dass Du jetzt noch nicht alles, was ich Dir jetzt erzähle
auf eines davon kannst du sicher verzichten.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Elisha, hallo sim,

vielen Dank für's Lesen und Kommentieren.
Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht so recht, was ich schreiben soll: Ne Menge (durchaus berechtigter) Kritik. :(
Die Fehler werd' ich natürlich gleich verbessern - guter Tipp mit dem Leerzeichen zwischen Wort und ... Wusste ich bisher nicht. Über das Inhaltliche muss ich mir nochmal in Ruhe Gedanken machen. Vielleicht kann ich ja doch noch was aus der Geschichte rausholen. Abgesehen davon, war sie nicht als Abrechnung mit irgendeinem Ex-Geliebten gedacht (meine Beziehung läuft super ;) ).
Danke für Eure Mühe!
honkine

 

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