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Mutters Grab und Vaters Hand

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26.10.2001
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Mutters Grab und Vaters Hand

Mutters Grab und Vaters Hand

Es ist vorbei und glücklich überstanden.
Glücklich? Für dich hoffentlich. Du hast gelächelt im Schlaf danach.
Ich stand derweil draußen und schaute in den Himmel.
Blies blauen Dunst gegen die kalten, fernen Sterne.
Er verflog mit dem Wind.
Es war still.
Endlich.
Das Haus dröhnte, und vibrierte unter deinem Atem.
Der nicht loslassen wollte. Der kämpfte, um jede weitere Sekunde.
Noch einen Atemzug, noch ein Herzschlag und noch einer, und noch einer und noch....
Nicht aufgeben.
Niemals.
Um nichts auf der Welt akzeptieren, daß da etwas ist, was stärker ist, als du es noch sein kannst.
Ich bin dabei.
Registriere alles. Fassungslos und liebevoll, aber völlig hilflos. Ich muß es genau so ertragen, wie du.
Verzweifelt, daß ich nichts tun kann, außer dieser scheiß Pumpe zu sagen, sie soll dir noch mehr geben.
Noch mehr Morphium.
Brauchst du deshalb so lange, um zu gehen, weil wir, um den Schmerz zu lindern deinen Geist von deinem Körper trennten?
Da liegst du. Deine Stimme keucht, dröhnt, bittet, befiehlt, und jammert.
Alles in einem.
Ich sitze da, halte deine Hand, stumm, hilflos, aber da, ich hoffe, daß du es siehst, von oben, oder spürst, wenn ich dich streichle.
Ich weiß nichts mehr.
Ich möchte glauben, daß du mich spürst, trotz all den Drogen, die in deinem Körper ein Wettrennen mit dem Tod veranstalten.
Wer ist schneller? Tod? Geist? Droge? Gott? Oder Schicksal?
Manchmal, wenn ich dir sage, „ Hey, Kleine, alles ist gut, du bist in Sicherheit, ich passe auf dich auf, Die Kleine schläft unten, ihr kann nichts passieren, und ich halte mein Versprechen...“ Dann entspannst du Dich für ein paar Minuten.
Ich halte es nicht mehr aus.
Dein Atem röchelt, blubbert, stöhnt und schreit.
Jeder Atemzug ein Schrei, seit zwei Tagen schon geht das so.
Warum bin ich immer nach ein paar Stunden abgehauen, und sage heute, ich bleibe, bis es vorbei ist?
Woher der plötzliche Mut?
Woher die Gewißheit, daß diese Nacht unsere letzte sein wird?
Es ist spät.
Ich kann nicht mehr.
Ich sag Dir, „Ich geh mal kurz schlafen, nur kurz, ok ?“
Ich streichle deine Hand. Sie ist warm, wie immer, das ist gut.
Ich hab ein schlechtes Gewissen dabei. Was, wenn ich schlafe, und du gehst, und ich merke es nicht?
Gut, daß du so schreist...
Ich weiß, ich kann nichts tun.
Es ist dein Kampf, meiner kommt noch.
Immer wieder schrecke ich auf, springe von der Matratze hoch, nehme deine Hand.
Sehe, wie du versuchst, die Augen aufzumachen, lausche in jedem Atemschrei nach einem Wort, welches ich verstehen könnte.
Gebe dir noch mehr Morphium.
Du bäumst dich auf dagegen, fällst zurück, dein Atem wird leise.
Zwei, drei, vier, fünf leise Atemzüge, flach, und kurz.
Dann atmest du endlich nur noch aus.
Ich notiere die Uhrzeit, für den Arzt.
Es ist drei Uhr fünfundvierzig.
Die Türe geht auf, dein Stiefvater schaut herein.
Ich sag:“ Es ist vorbei“ Er schaut nach dir, und sagt: „Nein, sie lebt.“
Es ist nur das letzte Zucken deiner Muskeln.
Wir rufen die Brückenschwester an.
Als sie ankommt, fliehe ich nach Hause.
Vier Whiskeys später schlafe ich endlich.
Ein paar Stunden später sehe ich dich ein letztes Mal.
Du lächelst.
Ja, wirklich, Du lächelst, immer noch so wunderschön.
Es ist, als wenn du träumst und gleich aufwachen willst... sagst; „ Hey, schön, daß du da bist, laß uns nach unten gehen, und mit der Kleinen spielen...“
Ich weine.
Endlich weine ich, ohne dass mich jemand dazu zwingt...
Was bleibt der Kleinen, was bleibt mir?
Mir bleibt die Erinnerung an drei Jahre meines Lebens mit dir, mal mit dir, mal ohne dich, mal gegeneinander, und doch haben wir immer wieder zusammen an einem Strick gezogen... für uns...
Was bleibt für unsere Kleine?
Mutters Grab, und Vaters Hand.
Ich bin froh, daß ich geblieben bin.
Bis zum Schluß, wie ich es Dir versprochen hab.


© 23.09.04 AP/ Nick L. Arion

 

Hallo Lord,

ich nehme an, das ist Dein Leben. Daher lässt es mich fast sprachlos zurück. Ich hoffe, Du findest Deinen Weg ohne sie. Ich wünsche Dir dafür alles, was ich mir nur irgendwie vorstellen kann.

Alles, alles Liebe

Dany

 

Hallo Lord Arion,

deine Geschichte hat mich tief berührt.

Ich nehme an, dass man so etwas nur schreiben kann, wenn man es selbst erlebt hat?

Die hilflosigkeit des Prot., das Hoffen um weitere Minuten und Herzschläge schilderst du sehr schön... Auch seine Gefühle, dass eben dies sinnlos ist.

LG
Bella

 

Hallo Lord,

eine bewegende Geschichte. Der Schmerz, der diese besondere Art des Loslassens begleitet, wird in deinen knappen, schlichten Sätzen überdeutlich. Diese Art zu schreiben, macht betroffen, erzielt eine tiefe Wirkung beim Leser. Großes Kompliment. Dein Text wirkt natürlich, die Effekte sind nicht erzwungen. Ich fand ihn in all seiner Traurigkeit gut.

Anea

 

Hallo Dany, Bella, und Anea.
Ja, das ist das pure Leben, keine erfundene Geschichte... aber das Leben formt Geschichten dadurch, dass es uns in Geschehnisse wirft, und zu Mitspielern macht.
Es kommt immer darauf an, was wir dann daraus machen und lernen.
Danke für´s lesen, danke auch für eure Worte dazu.
Lord

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi harkhov... kannst du mir das auch übersetzen?
@susi. Danke. Habs editiert.

 

Hallo Lord Arion,

bevor ich zu den kritischen Anmerkungen komme, möchte ich dir auch sagen, dass ich deinen TExt für serh gelungen halte. Er vermittelt einem in der Tat ein tiefes Gefühl von der Qual und der Liebe angesichts der letzten gemeinsamen Stunden deiner Protagonisten. Wenn ich schreibe, meistens merkt man nicht, dass es eine Geschcihte des wahren Lebens ist, so ist es also als Kompliment zu betrachten, denn wie du selbst auch sicher schon mitbekommen hast, die meisten autobiografischen Texte gehen eher in die Hose. Selbst erlebt ist kein Qualitätsmerkmal.
An einer Stelle hat dein Text etwas von dieser autobiografischen Texten anhaftenden Schwäche, wenn ich es als Geschichte sehe. Das Auftauchen des Schwiegervaters in dieser einen Szene stört mich. Es hat vielleicht auch den Prot gestört, der sich in Zweisamkeit mit der gerade gestorbenen Frau befand, aber mich als Leser störte es, da es so bezugslos war. Nirgends sonst ist die Information für die Geschichte von Belang.
Gur, man fragt sich, warum war die Frau bei ihren Eltern, warum war die Kleine dort, und sollte sie auch danach bei den Großeltern bleiben? Lag es daran, dass der Prot berufstätig war, spielt das alles aber für diese Ausschnitt, für den (titelgebenden) Ausblick in die Zukunft oder für die Geschichte eine Rolle? Auch wenn es im realen Leben so war, für die Geschichte war es mE eine Information zu viel.
Zwei Kleinigkeiten sind mir auch aufgefallen.

Hey, Kleine, alles ist gut, du bist ich Sicherheit,
in Sicherheit (sicherlich?)
Dann entspannst du Dich für ein paar Minuten.
Du Dich oder du dich

Allgemein scheinst du dir in der direkten Anrede mit Du etwas unsicher gewesen zu sein. Da du in alter RS schreibst, kann es alles groß.

So, zum Abschluss noch mal. Deine Geschichte hat mir trotz meiner Anmerkungen gut gefallen.

Rein privat hast du natürlich mein Mitgefühl und ich wünsche dir, dass du den Verlust überwindest.

Lieben Gruß, sim

 

Du hast mir in Ingolstadt davon erzählt.
Seitdem habe ich oft daran gedacht.
Ich bin froh daß du diesen Text geschrieben hast.

 

Hallo Lord!

Ich bin erst seit einigen Tagen bei Kg, hab bis jetzt nur gelesen und noch nix geschrieben.

Mein Eindruck zu deiner "Geschichte", bewegt sich im emotionalen Bereich.
Als ich 12 war ist meine Papa an Lungenkrebs gestorben, sein Kampf war ein ganzes Jahr lang.
Mit 21 hab ich meinen Freund, den Vater meines Sohnes an Die Leukemie verloren.

Ich hab ganze Romane in diesen Zeiten geschreiben, hat sehr geholfen ( wenn man dies so sagen kann).

Ganz viel Liebe und Kraft für euch Zwei.......


Susan

 

@Dreimeier: Danke. Gedanken helfen... ich erleb es grade.(Geschichten schreiben auch.)
@Kreativwurm: Danke, bin gespannt, was du schreibst.Viel Kraft dafür.
Willkommen auf Kg.de.
Lord

 

Lieber Arion,
schön zu entdecken, du hast das traurige auf´s Papier bringen können, sehr schön.....

LG
Venom

 

Recht hast du, Venom, allem traurigen wohnt dennoch etwas schönes inne... manchmal ist es nur sehr schwer zu entdecken.
Lord

 

Hallo Lord!

Hinter all dem traurigen Geschehen wird das sichtbar, was den besonderen Menschen ausmacht: Er tritt in einer solchen Situation nicht feige den Rückzug an, sondern steht, trotz des Schmerzes, seinem Partner/seiner Partnerin in schlechte(ste)n Tagen hilfreich zur Seite.

Endlich weine ich, ohne dass mich jemand dazu zwingt...
Ohne Worte ...


Ganz lieben Gruß
Antonia

 

Hallo Antonia.
Bleiben ist schwer, mit dem geflohen sein leben müssen noch schwerer... denke ich.
Danke für´s Lesen.
Lord

 

Oh, Lord!

Da hab ich, der ich als gefühlskalt gelte, - aber schlimmstenfalls gefühlsarm bin, da ich mich eher vom Kopf als vom Herzen her leiten lasse, zumindest aber ganz gut Gefühle zu verbergen weiß, - da hat also einer wie ich auf seinen Wanderungen durch Kg.de einen Text gefunden, der ihn berührt, nicht kalt lässt, der einem fast die Sprache verschlägt.

Es ist ein kongeniales Gegenstück zu den zuvor gelobten „Bahnschranken und Milchkaffee“, ebenso ruhig und unaufgeregt erzählt. Doch handelt es nicht von der Jugendzeit, sondern vom Sterben, genauer von einer Sterbebegleitung, ohne in Melancholie oder gar Selbstmitleid zu verfallen.

„Mutters Grab und Vaters Hand“ stammt wie der zuvor genannte Text von Lord Arion. Beide Texte sind es wert, in Erinnerung gerufen zu werden, wobei „Mutters Grab und Vaters Hand“ zeigt, dass das Schreiben auch eine therapeutische Funktion haben kann.

Wie gesagt, ich bin nahezu sprachlos und alles weitere, was ich hier schreiben könnte, wurde bereits im September 2004 besser und auch gefühlvoller gesagt. Aber es wurde keine Empfehlung ausgesprochen. Warum nicht? Ich weiß es nicht. Vielleicht hab ich Blindfisch sie auch nur übersehen.

Dann müsste, - um ein Haar hätt’ ich jetzt ein mehr als überflüssiges „natürlich“ eingefügt, - die Rechtschreibung wie schon in „Bahnschranken …“ korrigiert werden: daß und muß, Gewißheit, laß und Schluß mit ss.

Letztlich meine ich, dürfte es nicht „Ich möchte glauben, daß du mich spürst, trotz all DEN Drogen, die …“, sondern „Ich möchte glauben, dass du mich spürst, trotz all DER Drogen, die in deinem Körper ein Wettrennen mit dem Tod veranstalten.“ Aber was sind schon solche Kleinigkeiten gegenüber Beginn und Ende des Lebens? Nichtigkeiten! Und ich kann mich da auch irren!

Gruß

Friedrichard

 

Moin Friedrichard.

Schön, dass du diesen Text gelesen hast, und es freut mich auch sehr, dass du ihn verstanden hast, und er dich berühren konnte.

Es stimmt, Texte haben die Funktion, gelebtes zu verarbeiten, und , zumindest vorläufig ins Leben so integrieren zu können, bis man es aus anderem Blickwinkel ebenfalls schafft, und damit der Schmerz nachlässt.

Hier sei dir auch "Drei weiße Steine" ans Herz gelegt, der in der selben zeit entstand, und etwas zur Entstehung der Geschichte erzählt.

In beiden Geschichten habe ich versucht, die Dinge so zu beschreiben, wie sie sich zutrugen. Es war m.E kein "Großes Theater nötig", um dem Leser nahezubringen, was da geschah, und wie es sich anfühlte.

Nun, etliche Zeit danach, treibt es mich langsam danach, neues zu schreiben, sozusagen die Fortsetzung des damaligen im hier und jetzt.

Viel Freude, oder auch "Tiefsinnig, Gedankliches wünsche ich dir beim weiteren Lesen meiner(zumeist älteren) Geschichten.

Danke fürs Lesn & Kommentieren.
Lord

 

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