Mutterseelenallein
Mutterseelenallein
Es war kein Tag wie jeder andere. Sein Kaffee schmeckte ihm heute nicht. Sein Toast war schwarz geworden und er hatte verschlafen. Dabei hatte er sich doch vorgenommen diesen Samstag früher aufzustehen und etwas für sich zu tun. Doch die letzten Wochen und Monate waren nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Zuerst verlor er seinen Job, dann seine Wohnung. Seine Freundin hielt es auch nicht mehr lange mit ihm aus. Seine Arbeit war sein ein und alles. Er liebte es live dabei zu sein und vom Spielfeldrand zu berichten, doch die junge Konkurrenz war “irgendwie frischer” und “dynamischer” musste er sich von seinem Chef anhören, als der ihn entließ. Als dann auch noch seine Mutter und sein Vater bei einem Autounfall starben, war seine Welt vollkommen eingestürzt. Er fühlte sich innerlich, als wenn ihm ETWAS fehlen würde, als wenn er ETWAS verloren hätte.
Nachdem er seinen Toast dann wider willens verdrückt hatte schaltete er das Radio aus. Er konnte das Gedudel nicht mehr ertragen. Es lief der Song der lief als er seine Ex das erste mal geküsst hatte.
Er hatte sich vorgenommen an den Strand zu fahren und ein wenig spazieren zu gehen. Zeit für sich finden. Zum Nachdenken. Bevor er losfuhr ging er noch einmal ins Bad und schaute in den Spiegel. Sein 3-Tage-Bart hatte sich in eine 30-Tage-Gesichtsvollbeharrung verwandelt. Er sah in die Ecke und erspähte die Waage. Sie zeigte ihm 83,40 Kilogramm.
Er hatte etwas abgenommen.
Entlang des Sandstrandes kam ihm dann wieder alle Gedanken hoch. Er musste sich setzen und eine Weile inne halten. Was sollte er tun? SO konnte es nicht weitergehen.
Als eine Weile vergangen war sah er in der Ferne einen anderen Menschen einige hundert Meter weiter genauso sitzen wie er dort seit geraumer Zeit verharrte.
Es war eine Frau. Sie hatte lange blonde Haare, die im Wind der Meeresbrise daher wehten.
Er schloss seine Augen und hatte sich vorgestellt, wie ihre Stimme wohl klingen würde.
“Hallo Fremder” , hörte er in seinen Gedanken. Es war eine warme, sanfte Stimme, die ihm eine Gänsehaut verpasste; “Hallo?”, hörte er es wieder. Als er seine Augen öffnete erschrak er. Sie stand nun wirklich vor ihm und war bildhübsch. Sein Herz sprang und das ließ ihn noch mehr erschrecken.
Sie setzte sich neben ihn und die beiden erzählten eine Weile. Eine ganze Weile und darüber hinaus. Sie hatten viele Themen und sie schien sich sehr für ihn zu interessieren. Es ging ihm gut dabei von seinen letzten Wochen zu erzählen. Sie schien ihn besser zu verstehen als er sich selbst. Es wurde dunkel und sie erzählten immer noch. Es wurde kälter und sie rückten einander näher und er empfand es als schön. Sie kuschelten. Als er aufwachte sah er nur noch Sterne über sich und einen klaren Himmel. Sie war weg. Er war eingeschlafen. Oder war alles nur ein Traum. Er roch an seiner Jacke und er verspürte einen leicht süßlichen Duft. Gut. Es war kein Traum, aber sie war weg. Trotzdem ging es ihm erstaunlich gut.
Er verließ den Strand und schüttete den Sand aus seine Schuhen bevor er in sein Auto stieg. Er fuhr los. Mit einem Lächeln im Gesicht und einem seltsamen Gefühl in der Brustgegend fuhr er auf der Landstraße gen Zuhause. ETWAS schien wieder da zu sein, ETWAS was ihm heute morgen und die letzten Wochen gefehlt hatte. Ihm ging es endlich wieder gut.
Bis er diese Lichter sah, die immer näher kamen. Er war eingenickt am Steuer. Vor Freude.
Und Ausweichen war nicht mehr möglich. Das letzte was er hörte waren Sirenen. Das letzte was er sah war Regen der in seine Augen tropfte. Das letzte was er spürte war ein warmes Gefühl in seiner Brust.
Im Obduktionsbericht wird als Todesursache Tod durch innere Verblutung stehen. Todeszeitpunkt: 23:11 Uhr, Datum: 06.08.2001, Gewicht: 83,421 Kilogramm.
ETWAS war zurückgekehrt.