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Nächtlicher Augenblick

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28.11.2017
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Nächtlicher Augenblick

Die kalten Knospen des kahlen Baumes winden sich leicht in der Melodie des eisigen Windes. Vergessen und einsam. Das Autofenster des parkenden Autos auf der Straße spiegelt in der Dunkelheit die gerade erleuchteten blauen Schriftzüge des Kiosks im Erdgeschoss wider. Ein Radfahrer kämpft auf der anderen Straßenseite gegen die feuchte Böe an. Nur langsam kommt er voran, müht sich ab in der nächtlichen Ruhe. Ein Auto kriecht heran, überholt ihn. Es schweißt sie ein unsichtbares Band aneinander, all die Menschen, die sich morgens in aller Frühe dem Leben entgegenstellen. Begegnen sie sich auch nur flüchtig, teilen sie dennoch den intimen Moment des routinierten Tagesbeginns miteinander. Das macht sie zum Teil einer unsichtbaren Gruppe, auch wenn es niemand in Worte zu fassen weiß. Der Fremde fühlt sich dem anderen zugehörig, wenn er ihn in den stillen, grauen Morgenstunden stumm nickend begrüßt. So nah und doch so fern, nur ein Sekundenbruchteil der Begegnung und doch ein ausschlaggebender Moment.
Genau wie der Aufenthalt in einem schaukelnden Bus auf dem Rückweg nach einer durchgetanzten Nacht, in dem ich so oft saß, dass ich es schon gar nicht mehr aufzuzählen weiß. Saß alkohol- und schlaftrunken in dem bleichen Licht, beobachtete die verausgabten Gesichtern in den spiegelnden, vergilbten Fensterscheiben und fühlte mich den Menschen so nah wie auch fern. Man nahm einander kaum wahr und doch hätte man sich ohne den anderen noch einsamer gefühlt.
Ich lächle und ziehe an dem letzten Rest der Zigarette in meinen kühlen Fingern, fühle, wie der Qualm meine Lungen füllt. Fröstelnd, die Kälte hatte sich schon bis unter meine Haut gefressen. Nicht verwunderlich. Ich sitze auf dem Fensterrahmen, lehne mich an das geöffnete Glas und versuche, den kalten und grauen Moment der Ruhe einzufangen, der für einen Augenblick stillzustehen scheint. Ziehe die Decke über meinen Schultern enger an mich heran und beobachte, wie die Glut langsam erstirbt, sich der Dunkelheit hingibt, als hätte sie niemals Leben geschenkt. Und trotzdem fühle ich mich in Nächten wie diesen seltsam lebendig. In Pausen, die das Leben mir schenkt, in Versuchen, dem Alltag allein in meinen Gedanken zu entfliehen.
Das hallende Klopfen an der Holztür zu meinem Raum reißt mich wieder zurück in die Realität.
Ich höre meinen Namen, nicht mehr als ein Flüstern hinter der verschlossenen Tür. Einen schnellen Blick ins Zimmer, ist alles da, was ich brauche? Das Bett scheint frisch gemacht und kaum berührt, fast, als würde es auf die nächsten Gäste warten. Mit einem schnellen Handgriff schließe ich das Fenster. Ein routinierter Blick in den Spiegel, der Lippenstift überdeckt meine von der Kälte bläulich angelaufenen Lippen. Wie gerne wäre ich noch weiter im Augenblick verweilt. Es hilft trotzdem nichts. Ich rücke mein Dessous zurecht. Nur noch zwei Männer in dieser Nacht, dann kann ich in einen traumlosen Schlaf versinken. Ich hole tief Luft, bevor ich meine Lippen zu einem Lächeln spanne und mit einem Schwung die Tür öffne.

 

Hola @Wortpianist,

bin noch unentschlossen, ob ich Deinen Text kommentieren soll, weil Du ja ebenfalls sehr sparsam mit Kommentaren bist. Doch Dein erster Satz lockte mich aus der Reserve:

Die kalten Knospen des kahlen Baumes winden sich leicht in der Melodie des eisigen Windes.

Also dann: ‚kalt’, ‚kahl’ und ‚eisig’ in einem einzigen Satz ist nicht gut.
Ein Winterbild, schon klar. Dass Knospen im eisigen Wind kalt sein müssen, braucht nicht erwähnt zu werden – und dass sich die dicken, prallen Dinger ‚leicht winden`, geht überhaupt nicht. Und gefühlsmäßig passen ‚eisiger Wind’ und ‚Melodie’ auch nicht so recht zusammen.
Ein eisiger Wind zerrt, fetzt, aber melodiös?

Das Autofenster des parkenden Autos ...
Fünf Worte, zweimal Auto. Besser: Die Scheiben ...

des parkenden Autos auf der Straße

Das Kursive streichen.
... spiegelt in der Dunkelheit die gerade erleuchteten blauen Schriftzüge des Kiosks im Erdgeschoß wider.
dito
Erdgeschoss

beobachtete die verausgabten Gesichtern

Ein Gesicht kann sich nicht ‚verausgaben’.

Die Prota hat teils merkwürdige Gedanken, doch das muss der Leser wohl hinnehmen, schließlich kann sie denken, was sie will.

Aber dann schaltet sich die Autorin ein, als ein Auto einen Radler überholt:

Ein Auto kriecht heran, überholt ihn. Es schweißt sie ein unsichtbares Band aneinander, all die Menschen, die sich morgens in aller Frühe dem Leben entgegenstellen. Begegnen sie sich auch nur flüchtig, teilen sie dennoch den intimen Moment ...

Das nehme ich nicht hin. Es wirkt phrasenhaft, wie Sprechblasen in Schönsprech.

Anderes Beispiel:

... beobachte, wie die Glut langsam erstirbt, sich der Dunkelheit hingibt, als hätte sie niemals Licht und Leben geschenkt.

Die Zigarettenglut schenkt Licht – und sogar Leben? Also weißte ...

Wenn Du den Leser an Gedanken und Gefühle der Prota heranführen willst, wird es auf diese Weise nicht funktionieren.
Es sollte auch alles logisch sein, nicht wie hier:

... überdeckt meine von der Kälte bläulich angelaufenen Lippen.

... die Kälte hatte sich schon bis unter meine Haut gefressen.

Eine Profi setzt sich ins offene Fenster, bis sie fast erfriert – und empfängt dann den nächsten Kunden? Der kriegt sofort Gänsehaut :sconf: Das ist ziemlich daneben!

Liebe Wortpianistin, Du wärest sicherlich gut beraten, hier im Forum aktiv mitzumachen. Ich habe keinen Grund, hier ausführlicher auf Deinen Text einzugehen, wenn Du vornehme Zurückhaltung übst.

Winterliche Grüße!
José

PS:

Ich rücke mein Dessou zurecht.
Dessous

 

Hallo Wortpianist,

Ich fange gleich mal an.

Genau wie der Aufenthalt in einem schaukelnden Bus auf dem Rückweg nach einer durchgetanzten Nacht, in dem ich so oft saß, dass ich es schon gar nicht mehr aufzuzählen weiß.

der schaukelnde Bus nach der durchtanzten Nacht gefällt mir, ein starkes Bild.

Dichter wäre der Satz, wenn Überflüssiges gestrichen würde, nur als Beispiel:

Genau wie in einem schaukelnden Bus nach einer durchtanzten Nacht, in dem ich so oft saß, dass ich es nicht mehr aufzuzählen weiß.
Ziehe die Decke über meinen Schultern enger an mich heran und beobachte, wie die Glut langsam erstirbt, sich der Dunkelheit hingibt, als hätte sie niemals Licht und Leben geschenkt.
vom Klang schön, inhaltlich zu pathetisch
Ein routinierter Blick in den Spiegel, der Lippenstift überdeckt meine von der Kälte bläulich angelaufenen Lippen.
gefällt mir!
Ein routinierter Blick in den Spiegel, der Lippenstift überdeckt meine von der Kälte bläulich angelaufenen Lippen. Wie gerne wäre ich noch weiter im Augenblick verweilt. Es hilft trotzdem nichts. Ich rücke mein Dessou zurecht. Nur noch zwei Männer in dieser Nacht, dann kann ich in einen traumlosen Schlaf versinken. Ich hole tief Luft, bevor ich meine Lippen zu einem Lächeln spanne und mit einem Schwung die Tür öffne.

auch hier würde ich kürzen:

Ein routinierter Blick in den Spiegel, der Lippenstift überdeckt meine von der Kälte bläulich angelaufenen Lippen. Wie gerne wäre ich noch verweilt. Ich rücke meine Dessous zurecht. Nur noch zwei Männer in dieser Nacht, dann kann ich in einen traumlosen Schlaf versinken. Ich hole tief Luft, bevor ich meine Lippen zu einem Lächeln spanne und mit einem Schwung die Tür öffne.

Lippen zum Lächeln spannen > da fällt dir vielleicht noch etwas Spannenderes ein
traumloser Schlaf > diese Adjektiv-Substantiv-Kombination klingt für mich zu verbraucht.

Gesamtfazit: durchaus stimmungsvolle Studie, mit dem Winter als passende Hintergrundfolie zu der emotionalen Kälte, in der sich die Protagonistin routiniert, aber innerlich traurig bewegt.

Grüße, petdays

 

Hi @Wortpianist

Ich habe Deine Geschichte zur "Flash Fiction" verschoben. Dort erscheint sie mir wegen der Kürze (und Würze) besser aufgehoben.

Cheers,
Maria

 

Hallo @Wortpianist,
der Text will eine gewisse Stimmung vermitteln. Aus meiner Sicht gelingt dir das teilweise recht gut.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt verwendest du viele Adjektive. Das fängt schon mit dem ersten Satz an:

Die kalten Knospen des kahlen Baumes winden sich leicht in der Melodie des eisigen Windes. Vergessen und einsam.
Was soll uns "vergessen" und "einsam" in diesem Zusammenhang sagen?

Ein Radfahrer kämpft auf der anderen Straßenseite gegen die feuchte Böe an. Nur langsam kommt er voran, müht sich ab in der nächtlichen Ruhe.

Den ersten Satz finde ich gelungen. Beim zweiten könnte man "nur langsam kommt er voran" streichen: "Er müht sich ab in der nächtlichen Ruhe" ist kürzer und sagt das auch aus.

Begegnen sie sich auch nur flüchtig, teilen sie dennoch den intimen Moment des routinierten Tagesbeginns miteinander. Das macht sie zum Teil einer unsichtbaren Gruppe, auch wenn es niemand in Worte zu fassen weiß.
"Niemand" klingt irgendwie komisch in diesem Zusammenhang: Du fasst es ja in Worte, oder? Vielleicht meinst du da die beschriebenen Menschen, dann müsstest du es klarer formulieren: "Das macht sie zum Teil einer unsichtbaren Gruppe, auch wenn sie es nicht in Worte zu fassen wissen/ fassen können."

So nah und doch so fern, nur ein Sekundenbruchteil der Begegnung und doch ein ausschlaggebender Moment.
Sekundenbruchteil finde ich persönlich nicht schön. Wie wäre "Moment" oder "Augenblick"?

Saß alkohol- und schlaftrunken in dem bleichen Licht,
Existiert das Wort "alkoholtrunken"?

Kaum nahm man einander war und doch war die Präsenz des Anderen elementar gegen die eigene Einsamkeit.
Das klingt irgendwie sehr "technisch" mit Präsenz und elementar. Gefällt mir nicht. Wie wäre in etwa: "Man nahm einander kaum wahr und doch hätte man sich ohne den anderen noch einsamer gefühlt ..."

Phasenweise ein recht stimmungsvoller Text. Mir gefällt auch, wie du ihn zu Ende bringst. Mit den Beschreibungen/Adjektiven musst du aufpassen: Die sind aus meiner Sicht nicht immer ganz treffsicher.

Servus,
Walterbalter

 

Hallo, @josefelipe , @petdays , @TeddyMaria und @Walterbalter !

Zunächst einmal vielen Dank für euren Input, den ich sehr gerne entgegennehme.
Zu welcher Kategorie man meinen Text ordnet, soll mir nicht wichtig sein.

Um auf dich, @josefelipe , näher einzugehen: das prägnante Winterbild sollte mit Absicht übertrieben dargestellt werden. Die wenige Handlung in den ersten Sätzen nimmt die Protagonistin trotzdem sehr intensiv wahr, sie achtet auf jedes Detail. Deinen Punkt über die Melodik verstehe ich nicht so ganz, weshalb sollte das Rascheln eines Baume im Wind nicht melodisch klingen können?

Auch verstehe ich es, wenn dich der Gedankengang nicht so richtig mitnimmt. Sie denkt sehr speziell und besonders.

Ich glaube zudem, dass sie den Effekt der Kälte auf ihren Körper in diesem Moment des Geschehens gar nicht so wahrnahm, sondern eher ausblendete oder ignorierte. Anders gesagt: sie war ein wenig gefangen in ihren seltsamen Gedanken und bemerkte erst hinterher, dass sie doch wohl ziemlich viel Kälte abkriegte.

Gib gern deinen Senf dazu, ich versuche, darauf einzugehen :)
Was meine Aktivität in diesem Forum betrifft: du hast Recht, ich bin hier noch sehr still unterwegs.
Soll allerdings nicht heißen, dass ich die interessanten Beiträge der User hier nicht aufmerksam (und ab und zu sehr fasziniert) verfolge.


Winterliche Grüße zurück!!

 

Hola @Wortpianist,

danke für Deine Antwort, und eigentlich ist es damit gut. Ich will kein Ping-Pong veranstalten, doch dass die anderen zwei Kommentatoren ‚übersehen’ werden, ist schade.

Wir wollen Austausch, und das geht nur, wenn Autor und Kommentator miteinander reden.
Schließlich hat der Autor seinen Text veröffentlicht, um dessen Wirkung auf den Leser zu erfahren – andernfalls sollte er ihn der Schublade lassen.

Inwieweit der Autor auf einen Kommentar eingeht, ist seine Sache, und kein Kommentator wird erwarten, dass seine Anmerkungen/Vorschläge umgesetzt werden.

Dass aber der Autor ein bisschen auf die Leseeindrücke eingeht, für die Zeit aufgewendet wurde, wird schon erwartet – außerdem siehst Du ja, wie der Rest des Forums das handhabt.

Um auf dich, @josefelipe , näher einzugehen:
Danke für die Bevorzugung :D .

Deinen Punkt über die Melodik verstehe ich nicht so ganz, weshalb sollte das Rascheln eines Baume im Wind nicht melodisch klingen können?
Weil zum Rascheln Blätter gehören. Dein Baum aber ist kahl, da klappern höchstens die Äste.

Gib gern deinen Senf dazu, ich versuche, darauf einzugehen
Ach, das werde ich fürderhin wohl sein lassen. Da musst Du Dich nicht bemühen.
José

 

Deine Auffassung finde ich ein wenig schade, @josefelipe , denn hättest du den Text nochmals gelesen, wäre dir wohlmöglich aufgefallen, dass ich die Kommentare der anderen User schon eingearbeitet und die Geschichte somit überarbeitet habe.
Habe also niemanden vergessen oder nicht beachtet :)
Wie ich schon geschrieben habe (wahrscheinlich wollen weder ich noch du uns wiederholen), bedanke ich mich sehr für den Input.


Schlussendlich noch ein Einwurf: Können denn Äste nicht rascheln?

Bis dann (anscheinend wohl nicht mehr unter einem meiner Beiträge) :)

 

@josefelipe Ja, ich verstehe, was Du meinst, man gibt sich als Kommentator schon sehr viel Mühe, die man auch in seine eigenen Texte stecken könnte .... und ich finde auch, das Gespräch zwischen Autoren und Kommentatoren wäre im Idealfall ausführlicher. So wundere ich mich schon, dass Wortpianist in keinster Weise auf meine Anmerkungen eingegangen ist, weder argumentativ noch im überarbeiteten Text. Das ist auch in Ordnung, da bin ich nicht beleidigt. Aber die Formulierung

denn hättest du den Text nochmals gelesen, wäre dir wohlmöglich aufgefallen, dass ich die Kommentare der anderen User schon eingearbeitet und die Geschichte somit überarbeitet habe.
wundert mich dann schon.


@Wortpianist

Etwas mehr Transparenz wäre schon sinnvoll.

LG petdays

 

Hallo @Wortpianist

Du beschreibst eine Szene und damit die Stimmung des Augenblicks. Für meinen Geschmack übertreibst Du es aber deutlich mit den Adjektiven.

Die kalten Knospen des kahlen Baumes winden sich leicht in der Melodie des eisigen Windes. Vergessen und einsam.
Wenn innerhalb eines Satzes zweier Sätze gleich sechs Adjektive/Adverbien auf mich einprasseln, erzeugt das kein Bild, sondern eher Verwirrung. Zum Teil verwendest Du die Adjektive auch redundant, wie kalt und eisig. Sprachlich würde der Text davon profitieren, wenn Du die, Deinem Gefühl nach, treffendsten Attribute auswählst und wirken lässt.

Inhaltlich werde ich enttäuscht. Hier wird keine Geschichte erzählt, sondern eben nur eine Szene. Was dem Text fehlt, zitiere ich aus Wikipedia: "Trotz dieser relativen Kürze enthalten Flash-Fiction-Stories die Elemente der klassischen Kurzgeschichte: Protagonist, Konflikt, Hindernis und Komplikation sowie die Lösung." Den Protagonisten verleihst Du am Ende des Textes Gestalt, die anderen Punkte ignorierst Du. Die Szene würde bei einer längeren Story ganz gut als Einleitung funktionieren, aber danach müsste etwas geschehen.

Grüße!
Kellerkind

 

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