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Nürburgring

MRG

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12.03.2020
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Nürburgring

Ein Rennwagen raste vorbei, das Echo klang nach und seine Armhaare stellten sich auf. Er stand auf der Naturtribüne an der Rechtskurve am Bergwerk; hier erreichten ihn keine Lautsprecherdurchsagen und seine Kamera hatte freie Sicht.
Ich werde ihm schon beweisen, dass er einen Fehler gemacht hat, dachte er. Und das schlimmste ist, dass der nicht mal an einer Kunsthochschule war. So ein aufgeblasener Pudel. Er atmete hörbar aus.
„Bitte?", fragte ein älterer Herr neben ihm. „Ich höre nicht mehr so gut, wissen Sie?"
„Nichts", antwortete er. „Ich habe nichts gesagt."
Der ältere Herr schwieg kurz, schaute ihn allerdings weiter an. „Ist das eine F3?"
„Ich bin Fotograf."
„Ich wollte auch immer eine F3 haben. Macht tolle Bilder."
Wieso glauben immer alle, dass die Qualität der Kamera entscheidend für die Bilder ist? Eine F3 in Händen dieses Amateurs wird niemals ein Kunstwerk erzeugen, dachte er. Entscheidend ist das Auge, der Blick für Details, die Liebe zur Fotografie.
„Muss mich konzentrieren", sagte er, doch der ältere Herr schien ihn nicht verstehen zu wollen.
„Fotografieren Sie was Bestimmtes?"
„Vor allem Rennfahrer und Autos." Er dachte an seinen letzten Auftrag zurück und musste an den aufgeblasenen Pudel denken. Es war eine Katastrophe gewesen. Das Seitenlicht, was sonst für Tiefe sorgte, ließ den Wagen zu dunkel wirken. Von wegen goldene Stunde. Es war einfach Pech.
Der ältere Herr schaute ihn erwartungsvoll an.
„Ich bin wegen Niki hier. Ich will ein Siegerfoto." Er schaute auf den Nürburgring: Vor ihm schien die Sonne auf den Asphalt, die Rennstrecke krümmte sich zu einer scharfen Linkskurve; hinter den etwa fünfzehn Zentimeter hohen Randsteinen und dem Zaun ragten grüne Sträucher und Bäume empor. Ihm gefiel der Kontrast. Weitere Wagen rasten vorbei. „Das ist er", sagte er und wandte sich seiner Kamera zu.

Der weiß-rote Ferrari bog in die Linkskurve ein, das Motorgeräusch dröhnte trotz der Schaumstöpsel in seinen Ohren und er bildete sich ein, Benzin zu riechen. Ihm war bewusst, dass das eine Täuschung war. Dafür musste man bei den Pit-Stops stehen, aber diese Plätze waren nur für Snobs reserviert. Er konzentrierte sich wieder auf den Rennwagen. Wie es wohl war, in dem Cockpit zu sitzen? Die Beschleunigung und die G-Kräfte müssten unvorstellbar sein. Als er in einem Magazin ein Interview mit Niki gelesen hatte, war er überrascht - untrainierte Fahrer konnten ihren Kopf in einer Kurve nicht gerade halten und ein Rennfahrer verlor bis zu fünf Kilogramm Wasser.
In dem Moment schlingerte der Wagen und alles ging unfassbar schnell: Der Ferrari krachte gegen die Randsteine, wurde von der Wucht des Aufpralls zurückgeworfen und kreiste um die eigene Achse. Flammen stiegen in die Luft. Sie umhüllten den rotierenden Wagen. Die Abgase und Rauchpartikel vermischten sich zu einem Geruch, der ihm in die Nase stach und er spürte die Hitze. Nikis Helm wurde ihm vom Kopf gerissen und seine weiße Haube hob sich gegen die Schwärze ab. Es waren Schreie zu hören. Der Ferrari kam in horizontaler Ausrichtung auf der Rennstrecke zum Stillstand. Ein anderer Rennwagen krachte in das Wrack.

Der ältere Herr neben ihm schrie auf. Er hingegen schaute durch das Objektiv auf die Unfallstelle. Das würde ein unvergessliches Bild geben. Die grüne Hölle war zu einem Inferno geworden: Nikis Ferrari war eingehüllt von Flammen, der hineingefahrene Rennwagen stand seitlich davor.
Die Perspektive ist perfekt, das Licht könnte nicht besser sein, dachte er. Ich wusste, dass ich das Zeug dazu habe.
Laut sagte er: „Schauen Sie sich das Motiv an. Wunderbar."
„Was ist falsch mit Ihnen?“
„Ich bin Künstler."
Weitere Rennwagen bremsten ab und vier Fahrer eilten zum brennenden Ferrari und versuchten, Niki aus dem Wagen zu zerren. Während sie den Körper aus dem Cockpit hievten, näherte sich ein Rettungswagen; die Sanitäter luden Niki ein und fuhren davon.
Der ältere Herr schüttelte den Kopf und verließ den Schauplatz.
Zum ersten Mal verkaufte er ein Bild für den Höchstpreis an ein Magazin.

 

Moin @zigga,

vielen Dank, dass du noch einmal reingeschaut hast, das schätze ich sehr!

o gefällt mir dein Text viel besser. Glückwunsch zur sehr guten Überarbeitung. Ich finde, dein Text hat so viel mehr Zug und Intensität. Auch dass der andere Fotograf von dir gekillt wurde, stört mich nicht. Ich vermisse ihn keine Sekunde. Der neue Mann ist besser. Er fungiert zwar noch als "moralische Instanz" für deinen Prot, aber ich nehme ihm das voll ab. Er ist ein Fan, der schockiert ist von den skrupellosen Tendenzen deines Prots. Die Explosion bzw. der Unfall sind jetzt auch viel bildhafter beschrieben. Ja, mir gefällt das Teil jetzt richtig gut. Chapeau.

Dein Kommentar war sehr motivierend und ich habe mich da richtig drüber gefreut. Musste ich erst einmal sacken lassen. Ist ein schönes Gefühl, wenn die eigenen Anstrengung zu einer Verbesserung führt. Danke für deine sehr guten Kommentare, die mich hier inspiert haben und es immer noch tun. Muss allerdings vorweg dazu sagen, dass ich die Geschichte erst einmal etwas ruhen lassen werde, bevor ich da noch einmal dran gehe. Ich merke, dass die Luft für diese Geschichte raus ist und ich momentan nicht so Lust auf eine Überarbeitung habe.

Finde deine beiden Vorschläge interessant. Über die Idee mit der Goldkette habe ich nachgedacht, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass mir das nicht so gut gefällt. Ich sehe da ein wenig Klischeegefahr, weil ein Anhänger oder generell ein Gegenstand, der mit einer Emotion verknüpft wird ja doch ein sehr häufig verwendetes Detail ist. Was ich wiederum sehr gut fand und in der nächsten Überarbeitung auch reinbauen will, ist die körperliche Reaktion des Protas. Deine Gedanken zum Dialog kaufe ich sofort und das ist wirklich noch etwas plump. Reagiert er dagegen körperlich, kann man sich das als Leser selbst veranschaulichen und eine eigene Schlussfolgerung ziehen. Das steht bei mir auf der Liste für die nächste Überarbeitung.

Abschließend möchte ich mich noch einmal bedanken, weil mir gerade diese intensive Arbeit in den Kommentaren zum Text gut gefällt und wenn es dann auch Schritt für Schritt besser wird, dann merke ich, wie viel Spaß mir das Wortkriegern macht. Danke!

Beste Grüße
MRG

Hallo @kiroly,

vielen Dank für deinen Kommentar, ich lese die immer sehr gerne und ich konnte bislang aus jedem deiner Kommentare etwas Neues lernen, wenn ich das gerade richtig in Erinnerung habe. Auch hier finde ich den Gedanken zu dem Prota, der zu eindimensional sehr, sehr spannend. Da juckt es mir wieder in den Fingern und es steht definitiv noch eine weitere Überarbeitung an. Ich werde den Text allerdings jetzt erst einmal ein wenig ruhen lassen, um dann noch einmal mit frischer Energie und Motivation daran zu gehen. Momentan ist da etwas die Luft raus und ich bin mit der Challenge beschäftigt.

Dein Text scheint fertig zu sein, also ist er fertig; du hast viel Arbeit in diese kleine, schöne Flash Fiction gesteckt und für mich funktioniert der Text problemlos. Was mir so ein bisschen auffällt ... so ganz vage ... ich finde nicht, dass es hier um den Unfall am Nürburgring geht. Im Zentrum steht der Fotograph, sein Charakter, seine Reaktion, aber vor allem sein Arbeitsethos und seine Sicht auf seine Arbeit.
Das habe ich sehr gerne gelesen, bedeutet mir auch etwas. Ich mag auch sehr, wie du das Thema für dich definiert hast, da kann ich gut mitgehen. Die Geschichte ist aus der Idee entstanden, dass ich das Bild gesehen habe und mich gefragt habe, wie das wohl entstanden ist und das hat mich dann irgendwie nicht mehr losgelassen.

Warum bannt ihr im Namen der eigenen Karriere das Grauen auf Schrift, Ton, Bild, warum helft ihr nicht? Schwierige ethische Frage, klar, vielleicht auch eher eine sozialpsychologische, ich weiß es nicht.
Ja, auf jeden Fall schwierig. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in die sozialpsychologische Richtung geht. Musste an die Verantwortungsdiffusion denken, als ich deine Punkt zur Sozialpsychologie gelesen habe.

Vielleicht schafft das - sympathischer Fotograph, der im Moment des Unfalls nicht hilft - ein Verhalten, das ethisch verwerflich, aber verständlich wirkt. Ich glaube, dass das eine Dimension öffnet, die deinem Text jene berühmt-berüchtigte Tiefe verleihen könnte, aus der sich der Leser mit Mühe in den Alltag zurückkämpfen muss.
Das meinte ich weiter oben und das ist für mich ein sehr interessanter Gedanke. Möchte ich ausprobieren, auch wenn ich momentan noch nicht genau weiß, wie ich das umsetzen werde. Jedenfalls mag ich den Gedanken, meinen Prota komplexer zu machen und ihn nicht nur an den Pranger zu stellen. Sehr guter Impuls, danke.

Bisschen Grammatik:
Ist angepasst.

Vielen Dank für deinen sehr guten Kommentar, der mich doch wieder an eine Überarbeitung hat denken lassen, obwohl ich vom Gefühl schon abgeschlossen hatte. Es juckt in den Fingern. Da setze ich mich nach der Challenge noch einmal dran.

Beste Grüße
MRG

 

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