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Nach einem halben Jahr
Ein halbes Jahr lang hatten wir uns nicht gesehen und jetzt saßen wir an diesem wunderschönen See in den kleinen Stühlen mit unserer Rute in der Hand. Mein Vater und ich wollten nach dieser langen Zeit, die er im Ausland gearbeitet hatte, endlich mal wieder etwas zusammen unternehmen. Wir hatten uns entschieden angeln zu gehen, da wir das früher, als ich noch klein gewesen war, ab und zu gemacht hatten. Also badeten wir in der Wärme der heißen Sonne und die Fische badeten vor uns im See. Sie warteten nur darauf etwas zu essen zu bekommen.
"Denkst du, wir werden etwas fangen ?", fragte mich mein Vater und ich hörte die Erregung in seiner Stimme.
"Ich weiß es nicht.", sagte ich unmotiviert und blickte in die Ferne.
"Die Fische haben bestimmt einen riesen Hunger", sagte er lächelnd, und er schien gut gelaunt zu sein.
"Ich weiß nicht.", antwortete ich und schenkte ihm ein müdes Lächeln.
"Wir müssen ein paar von denen rausholen!", er klopfte mir auf die Schulter, "auch wenn wir dafür bis spät in die Nacht hier sitzen müssen." Er lächelte fröhlich vor sich hin.
Dann war es still.
Eigentlich hätten wir uns soviel zu sagen haben müssen. Wir hätten uns erzählen müssen, was wir in dem halben Jahr erlebt hatten und uns über wichtige Dinge unterhalten können, aber dazu kam es schon lange nicht mehr.
Früher hatten wir oft etwas unternommen, aber je älter ich wurde, desto weniger machten wir zusammen. In der Pubertät kam ich von meinen Freunden in die Einsamkeit und ging von der Einsamkeit wieder zu den Freunden. Man wurde sich oft fremd und sah sich seltener. Vielleicht war ich immer Schuld gewesen, aber auf diese Intrigen hatte ich keine keine Lust mehr gehabt. Jeder zog sein Ding durch, und zwar immer zum eigenen Vorteil. Wer dabei auf der Strecke blieb, interessierte nicht.
Seitdem mein Vater weggefahren war, war ich nur noch einsam. Anfangs kam ich damit nicht zurecht und betrank mich oft, aber nach einer Weile hatte ich mich daran gewöhnt und empfand es nur noch als eine lästige Kleinigkeit. Ich hatte sogar angefangen Gefallen daran zu finden. Aber jetzt war er wieder da.
Ich schaute mich um und bemerkte, wie gern ich die Natur doch hatte. Ab und zu sprangen ein paar Fische aus dem Wasser und tauchten dann rasch wieder ein, Vögelschwärme flogen über Köpfen hinweg und ich fragte mich immer, wo sie wohl hinwollten.
Er sah mich an, aber als ich seinen Blick erwiderte, blickte er schnell wieder nach vorn. Als ich gerade den Köder wechselte, starrte er mich wieder an. Direkt ins Gesicht. Ich sah es aus dem Augenwinkel. Es war mir unangenhem.
"Was ist los? Wieso schaust du mich die ganze Zeit an?"
"Ach, nichts weiter.", er guckte nach oben, "Weißt du, es war komisch seinen Sohn so lange nicht zu sehen. Ich will dich nur ein bisschen mustern. Eins muss ich dir sagen: Dein neues Ziegenbärtchen steht dir außerordentlich gut.", und er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, aber ich sah ihm an, dass er sich nicht wohl fühlte.
"Mmh. Kann schon sein."
Es wurde wieder still und nichts geschah. Er räusperte sich ab und zu und ich konnte mich einfach nicht an der schönen Umgebung sattsehen.
"Wie läuft es bei dir mit der Schule?", wollte er wissen und fummelte nervös an seiner Angel.
"Sehr gut. Die Themen sind leicht und ich kriege das alles hin."
"Das freut mich. Ich bin stolz auf dich, wirklich, denn ich weiß noch, wie schwer du dich früher mit der Schule getan hast. Weißt du noch?"
Ich glaube, er erwartete jetzt eine Antwort von mir, aber ich schloss den Mund und sperrte sie ein.
Wir wurden beide wieder leise, starrten auf den See und auf unsere Posen. Bei denen herrschte auch Stillstand.
Ich wusste noch, wie sehr ich mich damals über meinen Angelschein gefreut hatte. Ich war noch sehr klein gewesen, vielleicht zehn höchstens elf. Bei dem Gedanken, dass mein Vater und ich an jedem Wochende die größten Fische angeln würden, hatte ich immer Gänsehaut bekommen. Dazu war es nie gekommen.
Ich blickte in die Ferne und überlegte mir, was wir hier überhaupt taten. Es war sinnlos und lächerlich. Wir waren uns auch fremd geworden. Genau das Gleiche wie damals mit den Freunden.
Ich machte mir Gedanken, ob es wegen seiner Auslandsarbeit war, aber nein, ich glaubte das Fremdwerden hatte schon viel früher begonnen. Es hatte sich lautlos angeschlichen und jetzt kam es zum Vorschein. Es fühlte sich so an, als ob ich ihn nicht mehr brauchte. "Ich und mein Vater" war lange her. Es fühlte sich an, als ob es nur noch mich allein gäbe und seine Anwesenheit unnötig, ja sogar lästig sei. Vielleicht hatte ich mich an die Einsamkeit gewöhnt.
Als meine Pose plötzlich eintauchte und sich schnell durch das Wasser hin und her bewegte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. In der Rute fühlte ich wie ein Fisch meiner Schnurr zog. Er schien groß zu sein.
"Ich hab einen dran.", schrie ich auf und fing an, wild an der Angel zu zerren.
Es war mühevoll ihn an Land zu ziehen und ich lachte dabei sehr laut und es tat sehr gut.
Auf dem Rasen zappelte er dann wie verrückt und wie dick und hässlich er doch war.
Ich musste eine volle Ladung Glückshormone abbekommen haben, denn ich grinste und kicherte sehr viel. Ich fühlte bestätigt.
Den Rest des Tages genoss ich. Wir redeten zwar nicht mehr viel, aber es machte mir nichts aus.
Ich grinste vor mich hin und er sah aus, als habe er seine gute Laune verlorenm aber ich kümmerte mich nicht daraum, denn ich hatte ja meinen Fisch.
Seit dem Tag machten wir immer seltener etwas gemeinsam, bis wir uns gar nicht mehr trafen.
Wenn ich heute manchmal an ihn denke, habe ich oft nur diesen dicken, hässlichen Fisch vor meinen Augen und ich kann mich noch dran erinnern, wie gut er geschmeckt hatte.