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Nachruf
Es war an der Zeit die Kleider zu wechseln. Schon längere Zeit trug er sie nun. Aber die einst leuchtenden Farben waren schon früh verblaßt. Nun trug er sein Sterbehemd. Einst als er noch nackt und ungeboren ward, trugen sich alle mit großen Erwartungen. Lange schon war er angekündigt worden. Alle sahen seine Ankunft nahen. Viele versuchten, die Zeichen zu deuten, welche vermeindlich im Vorfeld sichtbar schienen, und viel versprachen, zu viel. Andere nahmen deren Weissagungen ohne Argwohn an. Als die Zeit seiner Ankunft nahte, brachen viele auf, um sich für sein Kommen zu rüsten. Nur wenige sahen dem Treiben teilnahmslos zu. Aber die Menge hoffte damals, daß er eine Wendung bringen würde. Und sie setzten all ihre Hoffnung auf ihn, ohne zu verstehen, daß ein einzelner Umstand kein ganzes Volk verändern könnte. Viele gingen ein Risiko ein, indem sie unterstellten, daß sich nun alles nach ihren Erwartungen entwickeln würden. Niemand verschwendete damals auch nur einen Gedanken daran, enttäuscht werden zu können.
Nun aber hatte sich das Blatt gewendet. Viele hatten, entgegen ihren Erwartungen, nicht das geringste Glück. Einige die auf ihn bauten, wurden bitter enttäuscht, womöglich sogar ruiniert. Sie hatten mit seinem Kommen gerechnet. Viele versprachen sich, daß er lange seine Sonne über sie scheinen lassen würde. Nur einige wenige konnten sich ein Entkommen leisten. Doch auch diese mußten nach kurzer Zeit wieder zurückkehren. Wer sehr viel Geld hatte, konnte es sich leisten, eine Existenz an einem fernen, besseren Ort aufzubauen. Doch das blieben wenige. So verging die Zeit.
Aber vieles auf der Welt ist sterblich. Vielleicht nur, um neu geboren werden zu können. So wie Hoffnung auf das Neue jedesmal wiedergeboren wird.
Nun lag er im Sterben. Es gab niemanden mehr, der noch um ihn trauern würde. Und das welke Laub der Bäume fiel trotzig auf sein Sterbebett. Nur einmal kurz bäumte er sich noch auf und schenkte den Menschen für einige wenige Tage seiner Regentschaft ein wenig Sonne. Als er schließlich seinen letzten Atemzug tat, riß das böse Wortgeklingel der Menschen schon längst die einst so unschuldige Gestalt in ihrem Andenken auseinander. Schnell verscharrte man ihn. Nur wenig Erde bedeckte sein Antlitz. Nichts sollte mehr an ihn erinnern. Man wollte ihn schnell vergessen. Nein, schlimmer noch, die Menschen hatten in ihrer Hoffnung bereits einem Neuen all ihre Zuversicht auf bessere Zeiten geschenkt. Und obwohl dieser noch ungeboren ward, schien jedermann aufs neue dem gleichen Irrglauben zu verfallen. Es war unmöglich, dieses Fegefeuer eines neuen Enthusiasmus zu stoppen. Die wenigen Geister, welche es wagten, zur Vorsicht zu mahnen, wurden einfach niedergemacht. Keiner wollte ihren Worten Gewicht beimessen. Es war erstaunlich, wie schnell alles Vergangene nun wieder vergessen war und wie wenig man daraus schließlich gelernt hatte. Das, daß Warten auf etwas die Menschen zwar hoffen läßt, aber dennoch jeder Tag in seiner ganzen Schönheit, in all seinen Härten gelebt werden muß. Daß alle Lehren, welche ein Mensch in guten und in schlechten Tagen erfährt, es wert sind, diesen Tagen all seinen Optimismus zu schenken.
Aber der Sommer war gestorben.