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Nachspann
Wenn das hier ein Film wäre, hätte ein Regisseur jetzt bestimmt „cut“ ins Bühnenbild gerufen und uns gesagt, wir sollen die Abschiedsszene wiederholen. Weil das Bild und die Atmosphäre nicht stimmen. Weil wir nicht authentisch sind und ohne Gefühl. Ein Autor hätte für uns Dialoge geschrieben, und wir hätten gar nichts falsches sagen können, weil es ja so im Drehbuch steht. Und zur Not hätte er den Text einfach umgeschrieben.
Aber wir haben kein Drehbuch, und darum müssen wir improvisieren.
Ich hatte ihn gestern abend mitgenommen. Mit zur mir. Einfach so, wie einen herrenlosen Hund. Nicht weil ich Hunde so mag, sondern weil ich nicht allein sein wollte. Er hatte allein an der Mauer beim Friedhof gesessen und sah hungrig aus. Nicht hungrig nach Nahrung, sondern hungrig nach Worten. Ein Regisseur hätte diese einsame Szene bestimmt mit einem traurigen Geigensolo untermalt. Ich bin zu ihm hingegangen und habe ihm gesagt, dass ich Geigenmusik nicht mag. Weil sie so traurig ist. Er hat mich angeschaut und gesagt, dass das dumm von mir sei. Dass es nur auf die Noten ankommen würde und nicht auf das Instrument, das sie spielt.
Dann hat er aus seinem Rucksack, der wie eine Requisite neben ihm stand, eine Flasche Wein geholt und sie mit einem Taschenmesser geöffnet. Ganz schnell, weil er diese Szene sicher schon oft geprobt hat. Seine gepflegten Hände passen nicht zu der Kleidung, die eine Kostümbildnerin für ihn ausgesucht hätte. Alles an ihm ist dreckig und grau. Farblos. So als könnte man ihn nur für Schwarz-Weiß-Filme besetzen.
Es fängt an zu regnen. Bestimmt der Dramaturgie wegen. Er hat keinen Schirm. Noch nicht ein mal einen Grauen. Ich sage ihm, dass wir heut Nacht bei mir weiter proben können. Proben für das wahre Leben.
Er rafft seine Requisiten zusammen und nickt mit den Augen. Als wenn das hier ein Stummfilm wäre.
Wir wechseln die Kulisse und spielen in meinem Wohnzimmer Vertrautheit. Und das nicht mal überzeugend. Wir sind nur Laiendarsteller. Er holt seine Weinflasche wieder hervor. Nimmt einen tiefen Schluck. Hält sie mir entgegen und preist ihn an, als würde er für diesen Werbespot bezahlt.
Er fragt mich, warum ich das Licht nicht an mache. Und ich sage ihm, wegen der Atmosphäre. In Wahrheit lasse ich es aus, weil man sonst bemerken würde, dass er eine Fehlbesetzung ist. Nur der Mond und die Sterne, die vor dem Fenster arrangiert wurden, erhellen den Raum. Als hätte man sie angeknipst, um dem Bild mehr Tiefe zu geben.
Ich erzähle ihm von meinem Leben. Von Komödien, Dramen und Parodien. Füttere ihn mit Worten in Stereo, bis er satt ist. Bis ich leer bin. Leerer noch als vorher. Der Spannungsbogen zwischen uns flacht ab. Das Schwarz-Weiß im Zimmer taucht langsam in Farbe. Weil jemand die Sterne gegen die Sonne ausgetauscht hat.
Ich sage ihm, dass er gehen muss. Weil er farblos ist. Und grau. Meine Welt ganz bestimmt aus Farbe besteht. Er steht wortlos auf und geht zur Tür. Die Klinke schon in der Hand fragt er mich, warum ich ihn mitgenommen hätte. Und ich sage ihm: Weil sonst niemand zum Casting erschienen ist.