Was ist neu

Nachspann

Mitglied
Beitritt
30.03.2009
Beiträge
33
Zuletzt bearbeitet:

Nachspann

Wenn das hier ein Film wäre, hätte ein Regisseur jetzt bestimmt „cut“ ins Bühnenbild gerufen und uns gesagt, wir sollen die Abschiedsszene wiederholen. Weil das Bild und die Atmosphäre nicht stimmen. Weil wir nicht authentisch sind und ohne Gefühl. Ein Autor hätte für uns Dialoge geschrieben, und wir hätten gar nichts falsches sagen können, weil es ja so im Drehbuch steht. Und zur Not hätte er den Text einfach umgeschrieben.

Aber wir haben kein Drehbuch, und darum müssen wir improvisieren.

Ich hatte ihn gestern abend mitgenommen. Mit zur mir. Einfach so, wie einen herrenlosen Hund. Nicht weil ich Hunde so mag, sondern weil ich nicht allein sein wollte. Er hatte allein an der Mauer beim Friedhof gesessen und sah hungrig aus. Nicht hungrig nach Nahrung, sondern hungrig nach Worten. Ein Regisseur hätte diese einsame Szene bestimmt mit einem traurigen Geigensolo untermalt. Ich bin zu ihm hingegangen und habe ihm gesagt, dass ich Geigenmusik nicht mag. Weil sie so traurig ist. Er hat mich angeschaut und gesagt, dass das dumm von mir sei. Dass es nur auf die Noten ankommen würde und nicht auf das Instrument, das sie spielt.

Dann hat er aus seinem Rucksack, der wie eine Requisite neben ihm stand, eine Flasche Wein geholt und sie mit einem Taschenmesser geöffnet. Ganz schnell, weil er diese Szene sicher schon oft geprobt hat. Seine gepflegten Hände passen nicht zu der Kleidung, die eine Kostümbildnerin für ihn ausgesucht hätte. Alles an ihm ist dreckig und grau. Farblos. So als könnte man ihn nur für Schwarz-Weiß-Filme besetzen.

Es fängt an zu regnen. Bestimmt der Dramaturgie wegen. Er hat keinen Schirm. Noch nicht ein mal einen Grauen. Ich sage ihm, dass wir heut Nacht bei mir weiter proben können. Proben für das wahre Leben.
Er rafft seine Requisiten zusammen und nickt mit den Augen. Als wenn das hier ein Stummfilm wäre.

Wir wechseln die Kulisse und spielen in meinem Wohnzimmer Vertrautheit. Und das nicht mal überzeugend. Wir sind nur Laiendarsteller. Er holt seine Weinflasche wieder hervor. Nimmt einen tiefen Schluck. Hält sie mir entgegen und preist ihn an, als würde er für diesen Werbespot bezahlt.

Er fragt mich, warum ich das Licht nicht an mache. Und ich sage ihm, wegen der Atmosphäre. In Wahrheit lasse ich es aus, weil man sonst bemerken würde, dass er eine Fehlbesetzung ist. Nur der Mond und die Sterne, die vor dem Fenster arrangiert wurden, erhellen den Raum. Als hätte man sie angeknipst, um dem Bild mehr Tiefe zu geben.

Ich erzähle ihm von meinem Leben. Von Komödien, Dramen und Parodien. Füttere ihn mit Worten in Stereo, bis er satt ist. Bis ich leer bin. Leerer noch als vorher. Der Spannungsbogen zwischen uns flacht ab. Das Schwarz-Weiß im Zimmer taucht langsam in Farbe. Weil jemand die Sterne gegen die Sonne ausgetauscht hat.

Ich sage ihm, dass er gehen muss. Weil er farblos ist. Und grau. Meine Welt ganz bestimmt aus Farbe besteht. Er steht wortlos auf und geht zur Tür. Die Klinke schon in der Hand fragt er mich, warum ich ihn mitgenommen hätte. Und ich sage ihm: Weil sonst niemand zum Casting erschienen ist.

 

Nachher versaue ich den Text nur
Ja, das ist wirklich eine Gefahr.
Leg den Text am Besten erstmal zur Seite und lies ihn dir in einer Woche noch mal durch und schaue dann, was du von den Kritikpunkten übernehmen möchtest. Abstand ist immer ein gutes Mittel beim Überarbeiten.

Na dann, alter Bekannter ;)
viel Spaß weiterhin auf der aktiven Seite des Forums

grüßlichst
weltenfilmer

 

Hallo Gesamtrechnung (was für ein Nick :D),

mir hat Deine filmreife Geschichte sehr gut gefallen und ich kann mich, da ja schon vieles dazu gesagt wurde, nur meinen Vorrednern anschließen.

Du solltest an der Geschichte aber nichts Wesentliches mehr ändern.
Du würdest es nur "verschlimmbessern" und das wäre schade.
Ich finde, so wie sie jetzt ist, ist sie genau richtig.

Prima, gerne gelesen

LG
Giraffe :)

 

Hallo Gesamtrechnung,

dein erster Satz hat mich sofort in die Situation hineingezogen.
Und bei mir "funktioniert" die Geschichte hervorragend!
Ich mag die Stimmung, ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass alles in "moll" und ein bisschen verraucht ist. ^^
Den Figuren mehr Tiefe/Breite oder ähnliches zu geben, fände ich schade, weil sie meiner Meinung nach genau das richtige Maß haben. Ein bisschen, als würde man im Film sehen, dass sie sich unterhalten, die Stimmen aber hinter der Musik verschwinden würden. Mehr würde mMn bedeuten, sie auszuwalzen.

Und die Sammlung der Zitate, die Fliege als besonders schön herausgestellt hat, känn ich so unterschreiben.

Einen einzigen Satz würde ich ersatzlos streichen:

Als hätte ein Beleuchtungstechniker sie angeknipst, um dem Bild mehr Tiefe zu geben.
Allerdings habe ich dafür nicht einmal den Hauch einer anständigen Begründung. Ich hab nur den Eindruck, der ist über. :D
Ansonsten würde ich nichts mehr ändern.

Und ich hab deine Geschichte sehr gerne gelesen und freu mich auf mehr!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey ho!

Als hätte ein Beleuchtungstechniker sie angeknipst, um dem Bild mehr Tiefe zu geben.
Dazu hätte ich eine Idee.
Der Satz stört, weil das "als ob" mit Konjunktiv und die Wörter Beleuchtungstechniker und angeknipst die Stimmung kurz verwässern. Man könnte ihn aber ohne weiteres trockenlegen:
"Der Beleuchter hat sie eingeschaltet, ..."
Beleuchter ist ein legales, gebräuchliches Wort.
Oder Du nimmst den Beleuchter ganz raus: "... erhellen den Raum und geben dem Bild mehr Tiefe."
Lieben Gruß,
Makita.
warum ich das Licht nicht an mache
Zusammenschreiben. Bitte!

 

Ich will jetzt hier auch mal antworten.

Hey Gesamtrechnung!

Beim Lesen musste ich sofort an den ollen Rick denken, weil er so ein Filmfanatiker ist, da scheinen sich zwei gefunden zu haben. :)
Ich mag aber auch sehr gerne Filme schauen, deshalb war das für mich auch ein Genuss, und ich wollte mehr, aber auch ich dachte irgendwann, okay, es reicht jetzt langsam mit den Anspielungen, von daher hast du an der richtigen Stelle Schluss gemacht.

Ich finde die Bilder gut gezeichnet, ich kann mir alles gut vorstellen, nur bei dem Typen, da dachte ich immer an einen traurigen Clown, der Geige spielt und was wirklich gut ist, und für dich spricht, der Typ war wirklich grau sie/er war wirklich in Farbe.

Hat mir gut gefallen, weiter so!

JoBlack

 

Erst mal allen hier im Allgmeinen vielen Dank für soviel Feedback. Und jetzt das Ganze noch mal im Speziellen:

@ Giraffe

Ich glaube mit "Verschlimmbessern" triffst Du den Nagel auf den Kopf. Ich werde also die Finger still halten, und die Geschichte im Ergebnis und der Mithilfe von vielen hier so lassen. Mit dem von Dir zitierten Satz, bin ich übrigens ganz bei Dir. Er fällt so ein wenig aus dem Rahmen.

Dankeschön fürs Lesen.

@ Makita

Ich denke den Verbesserungvorschlag bezgl. des zitierten Satzes werde ich übernehmen. So ganz rund klingt der nicht. Ich wollte nur unbedingt, dass ich dem Stil treu bleibe und auch dort einen Bezug zum Filme mit hineinnehme. Aber man muss es ja auch nicht übertreiben. :D

@Wolfskind

Freu mich, dass Dich die Geschichte genauso angesprochen hat, wie sie hier steht. Hatte ein bisschen bedenken, dass das Ganze ein wenig zu konstruiert wirkt. Um so schöner, wenn die Angst unberechtigt war.

@ JoBlack

Da bin ich ja froh, dass ich - wenn auch eher unbewusst - den Text zur rechten Zeit beendet habe. Habe nach den vielen Kritiken hier überlegt, ihn noch ein wenig auszuarbeiten, nun aber beschlossen ihn so stehen zu lassen. Danke für Deine Meinung und fürs Lesen. Freut mich sehr.

So. Habe jetzt schon die Hose voll einen weiteren Text einzustellen. Nach so viel Lob kann das ja nur in die Hose gehen....:lol:

Liebe Grüsse an Alle.

GR

 

Hallo Gesamtrechnung,

(btw: Nick gefällt mir).

ich bin mit deinem Debüt nicht ganz rund und habe eine Weile drüber nachgedacht, weshalb eigentlich nicht.
Es liegt nicht daran, dass du alles über den roten Faden des Filmemachens ablaufen lässt, das ist sogar eine supergute Idee und hat Potential.

Nein, was mir misshagt, ist, dass es nicht stimmig auf mich wirkt. Der äussere Rahmen ist quasi durch das Filmdrehen gegeben, jetzt müsstest du eine homogene Geschichte da hineinbetten.
Soweit so gut, das tust du auch, denn dein Pärchen ist insich betrachtet stimmig: zwei verlorene Seelen, die einander begegnen und doch nichts an ihrem Dasein zu verändern wissen.
ABER was nicht hinhaut, ist die Einbettung dieses Plots in den Rahmen.

Beispiel gleich zu Anfang, um es zu verdeutlichen:

Weil das Bild und die Atmosphäre nicht stimmen. Weil wir nicht authentisch sind und ohne Gefühl.
Doch sie sind authentisch, die beiden Protagonisten sind wie sie sind: einsam. Mehr Authentizität geht doch nicht. Deswegen stimmt das Bild und es stimmt die Atmosphäre. Was du wahrscheinlich meinst, ist, dass ein HappyEnd kommen muss, dass sich am Ende des Films alles zum Guten gewendet haben muss, nicht wahr? Aber genau das wäre dann gegen die Authentizität der beiden Protagonisten gerichtet. Also müsstest du es eigentlich umgekehrt darstellen. Aber dann passen die Sätze wieder nicht von ihrer Aussage her.

Füttere ihn mit Worten in Stereo, bis er satt ist.
Hier hat mich das Wort "stereo" etwas irritiert. War es vorher nicht in Stereo?

Ich sage ihm, dass er gehen muss. Weil er farblos ist.
Hm...wieso ist er farblos? Ja, ich weiß, was du meinst, wenn es nur um die Begegnung der beiden geht, aber in dem Film ist er nicht farblos, kann es gar nicht sein. Mir liegt diese Aussage also irgendwie schief, sie ist nicht im Rahmen eingebettet.

Der letzte Satz deiner Geschichte gefällt mir, aber er passt wiederum nicht ins Gesamtbild eines Films. Anfänglich sind deine Protagonisten, so stellt sie es sich vor, Teilnehmer eines imaginären Films und handeln nach diesen Regeln, am Ende würde die Protagonistin die Funktion wechseln und zur Auswählenden gehören, also eher auf der Filmmacherseite stehen.

Die Idee Figuren in einem fiktiven Film wirken zu lassen, finde ich sehr gut, würde aber es anders umsetzen.
Ich hoffe, ich habe ein wenig verständlich machen können, was mir in dieser Geschichte quer liegt.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Gesamtrechnung,

als Filmfreund war deine Geschicht natürlich Pflicht für mich und ich habe es nicht bereut, sie gelesen zu haben. Im Gegenteil.

Ich habe sie sehr gerne gelesen. Mit dem von dir gewählten Stilmittel beugst du nebenbei auch noch geschickt Aufschreie nach einer Anhäufung von Klischees vor, was ich aber in seiner Konsequenz für äußerst gewitzt halte und so auch trotz der eigentlichen Melancholie eher amüsiert war, als traurig.

Dein Erstling hier hat mir wirklich gefallen und dein Nick erst recht.

besten Gruß
krilliam Bolderson

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Lakita,

lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren des Textes.

Ich denke ich weiß, worauf Du hinaus willst. Vielleicht kann ich Dir erklären, wie ich es gesehen habe beim Schreiben. Ich zäume Deinen Kommentar mal von hinten auf.

Der letzte Satz deiner Geschichte gefällt mir, aber er passt wiederum nicht ins Gesamtbild eines Films. Anfänglich sind deine Protagonisten, so stellt sie es sich vor, Teilnehmer eines imaginären Films und handeln nach diesen Regeln, am Ende würde die Protagonistin die Funktion wechseln und zur Auswählenden gehören, also eher auf der Filmmacherseite stehen. Die Idee Figuren in einem fiktiven Film wirken zu lassen, finde ich sehr gut, würde aber es anders umsetzen.
Die Protagonisten nimmt gedanklich nur Bezug zum Film und stellt sich vor, was an einem Filmsett jetzt so passieren würde, z.B. das eben eine bestimmte Szene klischeemäßig mit Musik untermalt würde. Aber es ist kein fiktiver Film, es passiert nur in IHREM Kopf. ER, der arme Tropf von der Friedhofsmauer weiß von gar nichts. Und er würde mit dem Abschlußsatz auch gar nichts anfangen können, nur das erfahren wir nicht mehr. Denn da endet ja die Geschichte schon.


Zitat:
Füttere ihn mit Worten in Stereo, bis er satt ist.

Hier hat mich das Wort "stereo" etwas irritiert. War es vorher nicht in Stereo?

Damit wollte ich noch mal deutlich machen, dass sie ihn voll- und sich selbst leer quatscht. Und natürlich den Bezug zum Film beibehalten.

Zitat:
Ich sage ihm, dass er gehen muss. Weil er farblos ist.

Hm...wieso ist er farblos?


Er ist farblos, weil er durch das Raster fällt. Außenseite ist. Auf der Straße lebt. Die Haut grau, der Mantel grau. Er hebt sich kaum vom Grau des Asphalts ab.

ABER was nicht hinhaut, ist die Einbettung dieses Plots in den Rahmen.

Beispiel gleich zu Anfang, um es zu verdeutlichen:


Zitat:
Weil das Bild und die Atmosphäre nicht stimmen. Weil wir nicht authentisch sind und ohne Gefühl.

Doch sie sind authentisch, die beiden Protagonisten sind wie sie sind: einsam. Mehr Authentizität geht doch nicht.


Da bin ich ganz bei Dir. Beide sind einsam. Mit nicht authentisch meinte ich, dass die Prot sich normalerweise nicht mit Menschen von der Straße umgibt. Sie ja bewusst auf eine Fehlbesetzung zurückgreift und deshalb ihr Verhalten nicht authentisch ist, da es eigentlich ihrer Natur wiederstrebt sich mit solch "einfachen Menschen" abzugeben.

Ich hoffe ich konnte ein wenig erläutern, was in meinem Kopf vorging. :)

Danke noch mal für Deine Zeit und Mühe.

Lieber Gruss
GR

Hallo krilliam Bolderson,

auch Dir lieben Dank fürs Lesen und kommentieren. Es freut mich, dass Dir die kleine Szenerie gefallen hat und es anscheinend nix zu meckern gibt. Und natürlich mein Nick. :D

Lieber Gruss
GR

 

Hallo Gesamtrechnung,

ein bisschen klarer ist es mir nun geworden. Hab also Dank für die Erläuterungen.

Lieben Gruß
lakita

 

Liebe Gesamtrechnung,
Hut ab, das ist ja eine ziemlich umwerfende Resonanz für Deinen Erstling. Bei mittlerweile 30 Kommentaren wird man automatisch neugierig, und so musste ich Deine Geschichte quasi lesen ;-)
Und ich hab's nicht bereut. Schön knapp und prägnant, melancholische Sätze, stimmige Bilder. Ich persönlich finde das Ende extrem hart, aber die Protagonistin scheint mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg zu halten, insofern ist es stimmig.
Schreib doch jetzt mal was Witziges, um uns wieder aus dem Loch zu holen, ich hab den Eindruck, das liegt Dir auch!
Herzlich
TeBeEm

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom