Nacht
Schritte hallten durch die neblige Nacht, als sich langsam eine Gestalt auf die Brücke zu bewegte. Es war dunkel und die Gestalt bildete nur eine schwache Siluette vor den schummrigen Lichtern der Straße, doch man konnte erkennen, dass sie etwas in den Händen hielt. Etwas großes, schweres, dass sich in ihren Armen bewegte, zappelte und kämpfte, um sich zu befreien.
Doch die Gestalt war erbarmungslos, und sie umklammerte nur umso fester, was auch immer sie da bei sich hatte, sorgsam darauf bedacht, es nicht entkommen zu lassen.
Dann hatte sie die Brücke erreicht. Kein Verkehr zu diesen späten Stunden. Nur die seltsamen Geräusche der Nacht. Ein entferntes Bellen, ein leises Tropfen, Sirenen von irgendwo.
Die Gestalt erreichte schnaufend die Brüstung und setzte ab, was auch immer sie mit sich führte. Erschöpft lehnte sie sich einen Augenblick gegen das Geländer, um durchzuatmen und sich auf das vorzubereiten, was sie vorhatte.
Noch immer bewegte sich das Etwas in ihren Armen, ein schwerer Leinensack, wie es schien. Geräusche drangen durch die groben Fasern nach draußen. Schreie, in Panik verzerrt zu etwas, dass nicht menschlich sein konnte.
Dann hatte sich die Gestalt erholt, war bereit für ihre Tat. Langsam zog sie den Sack wieder zu sich heran, drückte ihn an sich, wie um sich von ihm zu verabschieden, um Leb wohl zu sagen, zu was auch immer in ihm stecken mochte.
Die Gestalt war ein Mann mittleren Alters, schmächtig, untersetzt und mit schütterem Haar. Seine Augen blickten forschend in alle Richtungen, sorgsam darauf bedacht jeden möglichen Zeugen zu erspähen, der ihn hätte beobachten können.
Da war niemand. Er war vollkommen allein. Die Stadt war wie ausgestorben. Als hätte sich jede Seele zurückgezogen, in ihre sicheren vier Wände, um nicht dabei sein zu müssen, wenn dieser Fremde seine schreckliche Tat vollbrachte.
Als er sich vollkommen sicher fühlte und als sich sein vor Furcht rasendes Herz wieder etwas beruhigt hatte, beugte er sich erneut vor, den Sack nun nur noch mit den beiden Händen haltend, weit fortgestreckt von seinem Körper.
Das zappelnde Etwas hing einen Moment hilflos zwanzig Meter über der bleiernen Oberfläche des Flusses, als wäre der Mann unentschlossen, bereit sich im letzten Moment zurückzuziehen.
Dann ließ er los.
Im Fallwind flatternd, fiel der Sack in die Tiefe, schien eine Ewigkeit zwischen der Brücke und dem Fluss zu schweben, bevor er mit einem lauten Platschen im dreckigen Wasser aufschlug und aus dem Sichtfeld des Mannes und aus dieser Welt verschwand.
Die Gestalt des Fremden, der wie gebannt zugesehen hatte, wie seine Fracht in der Strömung versank, drehte sich abrupt um, und wieder waren da nur seine Schritte, die sich jetzt entfernten und in schnellen, regelmäßigen Abständen auf das Pflaster hämmerten, während sich in der Ferne der Nebel um ihn schloss, als wolle er ihn schützen, vor möglichen Klägern, die ihn für seine Tat zur Verantwortung ziehen wollten.
Der Fluss zog weiter träge dahin, als wäre nichts geschehen, wie er es schon immer getan haben musste. Er hatte schon so viele Opfergaben erhalten, dass man sie gar nicht zählen könnte, doch dieses Mal sollte er eines seiner Opfer wieder freigeben, gerettet aus seinen Untiefen und dem tödlichen Sog seines Laufs.
Denn zehn Minuten später und dreißig Meter von der Brücke entfernt, an einer Stelle, an der sich das Ufer flach und sandig in das Wasser hineinsenkte, sollte sich plötzlich eine kleine Kreatur aus den Fluten erheben.
Langsam nur, denn sie war sehr schwach, kroch sie aus dem Wasser heraus und sah sich mit prüfendem Blick um. Sie war allein, denn ihre Geschwister waren tot, das verstand sie jedoch nicht. Und so schüttelte sie sich nur und leckte sich das Fell, um anschließend Ausschau nach Mäusen zu halten. Die Nacht war schließlich noch jung.
Wusste nicht so recht, ob die Geschichte in dieses Genre passt, aber in die anderen hätte es wohl noch weniger gehört...
Lerukesh