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Nachwelt
Was passiert ist? Nun, ich war am Sonntag auf dem jährlichen Treffen der Eichborner. Ich weiß, dass bringt wenig, doch vielleicht, so dachte ich, ist es möglich, irgendwelche Kontakte zu knüpfen. Mit Autoren, mit Verlegern, vielleicht mit Lektoren. Ich habe wirklich die Nase gestrichen voll, das können Sie glauben! Warum? Nun, immerhin schreibe ich jetzt schon seit ungefähr zehn Jahren, schreibe so gut wie jeden Abend, einen Roman nach dem anderen, eine Novelle zwischendurch, dann wieder eine Erzählung, einen Erzählband! Ich habe mein Leben dafür hergegeben, habe keine Freunde mehr, habe keine ruhige Minute, denn selbst wenn ich nicht schreibe, denke ich an das Schreiben, verstehen Sie? Ich muss schreiben, es gibt keine Alternative. – Sicher! Es stimmt ja! Sicher bin ich froh, natürlich. Warum auch nicht! Immerhin leben die meisten Menschen für den Fernseher, leben ein Dasein in Stumpfsinn und Apathie – da quäle ich mich doch lieber.
Was das Problem ist? Nun, ich verdiene kein Geld damit ... in Wahrheit interessiert sich kein Mensch dafür. Keine Sau interessiert sich für meine Sachen! Wirklich nicht! – Ach, manchmal regt mich das schon auf! Entschuldigen Sie, aber da platzt mir tatsächlich der Kragen! Moment, mal einen Schluck Bier trinken ...
So. Wo war ich? Ah ja, bei meinem schlimmen Leben ... es ist schlimm ... Ich verzweifle, ja, und meine Frau, nun, verliert zusehends die Geduld. Kein Wunder! Jahrelang hat sie mich so halbwegs unterstützt! Halbwegs? Ja, natürlich, sie versteht mein Schreiben nicht, hätte viel lieber, ich würde mich um einen ordentlichen Job bemühen. – Versicherungen. Ich fahre umher, verkloppe Versicherungen. Frustrierend? Klar, zumeist ist es schrecklich, doch ich sehe es als Erfahrungsgewinn, denn man lernt viele Menschen kennen, kommt auch in die Wohnungen dieser Menschen hinein. Tatsächlich bekomme ich durch meinen Job die besten Ideen, wirklich wahr. – Aber man verdient eben nichts. Wir haben keine richtige Küche, meine Frau läuft in kaputter Unterwäsche umher, es ist furchtbar ...
Trinken wir noch einen? Sie müssen nach Hause? Jetzt schon? Es ist doch noch hell! Jetzt bleiben Sie mal sitzen, ich bezahle die nächste Runde, das Geld habe ich ja doch noch. Hoho. Und überhaupt: Ich wollte Ihnen doch vom Eichborn-Fest erzählen, von dem, was dort geschehen ist ... Doch, glauben Sie mir, das ist interessant, keine Sorge ...
Jedenfalls stehen wir beide, meine Frau und ich, am Sonntag ziemlich früh auf. Machen wir sonst nicht. Ja, ich trinke gern am Abend ein oder zwei Bier, schreibe trinkend, trinke niemals schreibend, nein, das Schreiben hat stets erste Priorität! – Ah, da kommt ja auch schon das Bier!
Prost!
Gut, meine Frau wollte nicht, klar. Sie hat keine Lust mehr auf meine Hobbys, wie sie das so nennt. Hobby, ja – als wäre dies ein Hobby! Pah! Aber meine Frau denkt so. – Ich liebe meine Frau, sicher. Aber manchmal ist es eben schwer, nicht wahr. Prost! – Wir setzen uns also in den Zug, das Auto haben wir ja schon längst verkauft (das Porto ist teuer!), sprechen kaum miteinander, denn wir sind noch müde, zudem werde ich nun immer aufgeregter. Heute ist mein Tag, denke ich, spüre ich, fühle ich mit jeder Faser. Meine Frau wiederum schläft oder macht ein Gesicht. Bitte? Sie schreibt nicht, nein. Sie liest auch nicht. Kafka jagt ihr einen Schrecken ein, stellen Sie sich das vor. Selbst den King mag sie nicht lesen, nein, sie möchte eigentlich gar nicht lesen. Und meine Sachen liest sie auch schon lange nicht mehr. Sie versteht es nicht, sagt sie ... Schlimm? Na ja, so schlimm ist das auch wieder nicht, keine Sorge, man gewöhnt sich daran ... Prost!
Jedenfalls kommen wir an, in Frankfurt, es ist höllisch warm. Und wir finden den Verlag nicht, nichts zu machen. Wir irren umher, stehen an der Schnellstraße, geraten in einen Streit. Wir streiten oft – so ist das Leben, nicht wahr?
Zeit für eine Zigarette.
Sie auch? Gut. Ich rauche noch, wie Sie ja auch sehen, weiß aber, wie schlimm es ist. Doch weiter. Meine Frau will schon aufgeben, da sehe ich dann doch das Gebäude. Die Reden hatten wir verpasst, aber egal, war sicherlich eh nur Gerede ... wie immer, man kennt das ja ... Die Party jedenfalls war dahinter, in so einem kleinen Garten. Es gab Würstchen, Bier und Nudelsalat. – Natürlich, man musste bezahlen, klar. Also erstand ich zwei Würstchen, Nudelsalat, zwei Wasser. Kein Bier, nein, denn ich hatte ja die Hoffnung, in irgendwelche Verhandlungen treten zu können. Ja ich hatte meine besten Sachen dabei, jeweils nur Auszüge, klar, hätte ich alles mitgenommen, ich hätte mit einem LKW anreisen müssen, haha. Haha! Aber weiter!
Wir sitzen also an diesem Tisch, mampfen unsere Würste, trinken Wasser ... Apropos, unsere Biere sind ja schon wieder alle! – Das ist sehr nett von Ihnen! Danach gehen Sie? Meine Geschichte dauert nicht mehr lang, der Höhepunkt ist gleich erreicht, wirklich. Wenn ich etwas kann, dann schnell auf den Höhepunkt zusteuern.
(Nur nicht im Bett, haha! – Ein kleiner Scherz, ja? Muss auch mal sein ...)
Auf jeden Fall, ich sitze da, neben mir meine Frau – Sie können es sich vorstellen. Beide haben wir die Würste in der Hand, mümmeln vor uns hin. Meine Frau mümmelt, ich dagegen tue ja nur mümmelnd, äuge in Wahrheit durch die Gegend, sondiere die Lage ... Und, Sie glauben es nicht, wen ich plötzlich sehe, umringt von drei Frauen und mit einem Bier in der Hand? – Christian Müller!
Den kennen Sie nicht? Aber vielleicht seinen berühmten Erstling Baumschule? – Auch nicht! Hm, aber das liegt wohl daran, dass Sie nicht vom Fach sind ... Ja ... Prost! Sie trinken aber schnell, nicht wahr? Sie haben wenig Zeit? Gut, dann beeile ich mich mal. Wo ... Ah, wir sitzen also da, ich sehe diesen Christian Müller ... Sie müssen wissen, dass ich da zum ersten Mal einen Schriftsteller gesehen habe, einen richtigen Schriftsteller mit Fans, Verträgen und Debütroman. – Weil ich immer nur im stillen Kämmerlein geschrieben habe, ja, ich habe mich nie für derartige Dinge interessiert: Man schreibt allein, basta! – Entschuldigung, doch wenn es um dieses Thema geht, werde ich immer ein wenig laut ... Aber es ist doch so: Das Schreiben gehört nicht ins Rampenlicht, das Schreiben ist eine heilige Angelegenheit!
Weshalb ich Ihnen auch sagen kann, dass mich das Gebaren von diesem Müller ein klein wenig anwiderte: Drei Frauen, Bier am helllichten Tag, der erfolgreiche Debütroman ... all dies entspricht irgendwie nicht meiner Natur, ganz und gar nicht. Aber an diesem Tag, tja, war ich verwirrt, war wohl auch geblendet von dieser Atmosphäre, eingeschüchtert: Ich, der kleine Autor inmitten der Profis! Ja, ich fühlte mich unsicher, verunsichert geradezu, in der Tat zitterten meine Hände so stark, ich war kaum fähig, die Wurst gescheit zu essen. Und dann also noch Müller ...
... Prost, ja ...
... ich beobachtete ihn, verfolgte jede seiner Bewegungen, sah also einem Schriftsteller beim Leben zu – und fragte mich irgendwann, ob dieser Autor wohl über diesen Empfang hier schreiben würde. Und was er schreiben würde. Und ob er also über mich schreiben würde. Und wenn, was ...
So saß ich, die Sonne brannte mir auf den Schädel, meine Frau zog eine Schnute, ja, und die Wurst schmeckte auch nicht so recht. – Ja, ich hatte mir mehr erhofft. Von der Wurst und auch von dem Fest. Doch Reich-Ranicki war nicht da, nein, auch nicht die Löffler, der Karasek, keiner. Nur der Müller mit dem Bier und den drei Frauen. Wie die den anstierten! Unglaublich! Und ich, mit der Wurst in der Hand und den Manuskripten unter dem Tisch.
Noch eine Zigarette rauchen.
Nun gut, ich fragte mich also, was der Müller wohl über mich schreiben würde. Dass dort einige Tische entfernt ein fünfzigjähriger Mann mit seiner Frau hockte, verkrampft ins Würstchen beißend? Das wollte ich dann doch nicht! Nein, das war unmöglich, ich wollte nicht zum Gespött aller Zeitungen werden! Zur lächerlichen Fußnote gewisser Doktorarbeiten! – Schlimme Vorstellung, ja.
Ich kam auch richtig ins Schwitzen, wurde nervös, sagte meiner Frau, sie solle sich gerade hinsetzen und glücklich gucken. – Was meine Frau gesagt hat? Die hat mich ausgelacht und sich den Mund abgewischt, der Senf, Sie verstehen ... Und in eben diesem Augenblick schaute der Müller zu uns her! Notierte sich diese Szene sicherlich im Geiste, würde sie bald schon verwenden! Aber da packte es mich! Da wollte ich nicht mehr! Wollte nicht derjenige sein, der in Müllers Roman auftaucht als Mann, über den die Frau lacht, während sie sich den Mund abwischt! Senf!, dachte ich nur: Senf! Und in diesem Augenblick handelte ich ...
Was ich getan habe? Nun, da werde ich still, bemerken Sie es? Da werde ich ganz still ... Weil es so peinlich ist, deshalb. Sie müssen verstehen, wirklich verstehen, in was für einer Situation ich war. Ich, der abgebrannte Schriftsteller mitsamt seiner Frau, beide fad, beide verlebt. Wie wir Würstchen aßen und misstrauisch herumäugten, fremd hier ...
Ja, ich erzähle es ja! Aber erst noch einen Schluck Bier ...
Gut, ich sah mich um, hektisch, fand aber nichts. Und nahm also meine halbgegessene Wurst, nahm die fest in die Hand, hob sie an, drehte mich zu meiner Frau ... und ... ich wage gar nicht, es zu sagen ... steckte diese halbgegessene Wurst meiner vollkommen überraschten Frau in den Mund ...
Ja, das habe ich getan. Ich steckte ihr die Wurst in den Mund ... In Wahrheit presste ich ihr diese Wurst in den Schlund hinab. – Nicht mit Gewalt, nein, aber mit Druck, einem gewissen Verlegenheitsdruck, Sie verstehen?
Haben Sie nun genug gelacht? Ja? Gut. Ich gehe mal auf Toilette ...
So, da bin ich wieder. Und Sie haben auch ausgelacht, wie ich sehe ... – Was meinen Sie! Der Teufel war los! Meine Frau wäre beinah erstickt, alle um uns lachten und schauten verärgert zugleich ... es war ein Chaos, sage ich ihnen. – Müller! Der Müller hat alles sehr genau gesehen, sehr genau. Wir? Wir verließen sofort das Gelände, ich mit meiner keifenden und immer noch nach Atem ringenden Frau ... der Senf klebte ihr noch im Haar ... Es war schrecklich, wirklich schrecklich ... das wünsche ich keinem, wirklich nicht ...
Prost.
Schlimme Geschichte? Und ob! Habe ich es nicht gesagt? Wir sprachen im Zug kein Wort ... und ich dachte die gesamte Zeit an diesen bevorstehenden Roman über den Mann, der seiner Frau eine halbgegessene Wurst in den Mund steckt ... So werde ich enden! So! Die Nachwelt wird mich so und nicht anders in Erinnerung behalten! Noch ein Bier, oder? – Sie müssen jetzt wirklich gehen? Och nein! Doch? Gut, dann begleite ich Sie noch ein Stück, ja?
Nein, das macht mir gar keine Umstände, wirklich nicht. Da ist Ihre Jacke, ja. Bezahlt haben wir ja schon.
Schönes Wetterchen. Regnen wird es wohl nicht. – Sie gehen aber schnell! Warum nur! Ich komme ja kaum mit! So warten Sie doch! – Hier?
Hier wohnen Sie? Aha, sehr schön, wirklich sehr schön ... Sie möchten nun die Tür schließen? Mein Fuß? Au! Sie tun mir weh! – Machen Sie doch auf! Ich habe doch noch gar nicht zu Ende erzählt! Was meine Frau gesagt hat, ja, das gehört auch dazu! – Nein, kommen Sie doch herunter, bis hinauf in den zweiten Stock schreie ich nicht so gern ... Die Polizei? Warum das denn? Kommen Sie doch herunter, da können wir uns besser unterhalten ... Über was? Darüber, dass meine Frau mich rausgeschmissen hat, zum Beispiel. Hallo? Hören Sie nicht? Da machen Sie doch wenigstens das Fenster auf! – Nein?