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Narrengrab

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12.12.2001
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Narrengrab

"Nun, sie kommen langsam in ein Alter, in dem man sich Gedanken über das danach machen sollte" meinte der Grabverkäufer.
"Ach, wie unsinnig" erwiderte der Narr "Ich will doch nur Spaß haben. Über den Tod nachzudenken ist nicht spaßig, es ist überflüssig."
"Wieso überflüssig?" wollte der Verkäufer wissen.
"Nun, wer tot ist, ist tot, und das ist keinen Gedanken wert. Besser ist es, sich über das Sterben Gedanken zu machen. Aber egal, Herr Grabverkäufer, der Grund meines Kommens ist in der Tat das Verlangen, ein Grab kaufen zu wollen."
"Wenn ihnen der Tod oder der Gedanke daran überflüssig erscheint, wieso wollen sie dann ein Grab kaufen?"
"Ich will mir einen letzten Spaß erlauben und dem Tod seinen Ernst nehmen." antwortete der Narr grinsend.
"Aber der Tod ist ernst, mein Herr, man darf sich daraus keinen Spaß machen. Man darf doch den Tod nicht ausnutzen, nur um Spaß zu haben."
"Aber es ist doch mein Tod, und so steht er, wie mir scheint, auch zu meiner freien Verfügung."
"Sicher, sicher, aber bedenken sie, wie die Kirchenväter oder die Friedhofsbesucher reagieren würden. Man hat doch Angst vor dem Tod und da..."
"Das ist Unsinn" unterbrach ihn der Narr "Wenn du tot bist, bist du tot, egal was das bedeutet."
"Das beruhigt nicht"
"Wie das?"
"Ich habe Angst vor dem Ungewissen."
"Siehe," begann der Narr seine Predigt "ist nicht jede Sekunde ungewiß? Angst vor dem Tod bedeutet Angst vor der Ungewißheit bedeutet Angst vor jeder neuen Sekunde. Du lebst also immer in Angst!"
"Nein!" bemühte sich der Grabverkäufer um eine schnelle Antwort. "Es gibt auch Zeit ohne Angst!"
"Dann hast du auch keine Angst vor dem Tod."
Ob der Grabverkäufer diesen Gedankengang verstanden hatte, war nicht ersichtlich, aber zumindest brachte es ihn zum Nachdenken. Schweigend stand man sich also einige Minuten gegenüber, ehe der Narr das Schweigen brach.
"Herr Grabverkäufer?"
"Uhm...ja...äh...was gibt es?" lautete seine konfuse Reaktion.
"Ich wollte ein Grab kaufen, du erinnerst dich?"
"Ja."
"Was kostet so ein Grab?"
"Nun, ich würde sagen, mit allem drum und dran, ihren Wünschen entsprechend, knappe 10.000 Mark."
"10.000 Mark? Die habe ich nicht."
"Nun?"
"Da muß sich der arme Mann heutzutage ja zweimal überlegen, ob er stirbt."
"Tja, so sind die Preise."
"Sagtest du nicht, man dürfe den Tod nicht ausnutzen?"
"8.000 Mark?"
"Du machst Geld mit dem Tod."
"7.000 Mark?"
"Wie unsinnig, Geld für etwas auszugeben, daß man sowieso nie besitzen wird."
"Nun gut, es gibt ein Grab ganz nahe an der Kirche, in dem sich niemand begraben lassen will, weil es so teuer ist. Das können sie billiger haben, ich kriege es ja eh nicht los."
"Leuchtet ein."
"Aber etwas anderes, mein Herr, mir ist da ein Gedanke gekommen."
"Ja?"
"Vielleicht haben sie Recht, Herr Narr, und ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich denke, ich kenne die Wahrheit jetzt. Ich habe Angst vor dem Sterben!"
"Was heißt 'sterben' "?
"Hmm...auf den Tod zugehen."
"Und wann gehst du auf den Tod zu?"
"Nun, was soll ich antworten, Herr Narr?"
"Im Tod selbst?" lautete des Narren Vorschlag. "Nein, im Tod selbst ist das Sterben jenseitig, es ist vorbei." beantwortete er seine Frage gleich selbst.
"Also?" wollte der Grabverkäufer wissen.
"Also gehst du im Leben auf den Tod zu. Im Leben ist das Sterben diesseitig, es ist im Gange."
"Ja, in der Tat" pflichtete der Verkäufer bei.
"Ab wann ist es im Gange? Es fängt doch schon mit der Geburt an, denn jede Sekunde nach der Geburt ist eine Bewegung auf den Tod zu. Die Spanne zwischen Geburt und Tod ist also das Sterben."
"Aber die Spanne zwischen Leben und Tod ist doch das Leben!"
"Dann sind Leben und Sterben wohl ein und dasselbe."
"Uh...ja."
"Angst vor dem Sterben bedeutet also Angst vor dem Leben! Du hast also Angst vor dem Leben!"
"Äh...nein! Nein! Ich habe keine Angst vor dem Leben - ich liebe und genieße es!"
"Dann hast du auch keine Angst vor dem Sterben!"
"Sie können das Grab umsonst haben."

Als nun der Narr tot war, stand nur der Verkäufer an seinem Grab. Freunde und Verwandte waren noch zu beschäftigt damit, sich um das Erbe zu streiten. Es war ein herrlich verregneter Tag, kein Sonnenstrahl fiel auf die frisch zum Bedecken des Toten herangeschaffte Erde. Drei Gräber waren zu sehen, jedes markiert mit einem Grabstein. Auf dem ersten stand "Hier ruhe ich...", auf dem zweiten "...oder hier..." und auf dem dritten "...oder hier."
Der makabere Scherz freilich blieb nicht lange erhalten, denn die Kirche mahnte den Ernst des Todes und verlangte die beiden falschen Gräber verschwinden zu lassen. Bloß das niemand wußte, welches das Echte war. Der Grabverkäufer hingegen grinste fortan dem Tod entgegen.

Als der Grabverkäufer alt war, sprach ihn ein Freund auf das Sterben an.
"Wenn du stirbst," sagte der Freund, "dann werde ich trauern."
"Warum?"
"Weil ich nicht will, daß du stirbst!"
"Ich sterbe!"
Da weinte der Freund.
"Ich sterbe schon seit vielen Jahren. Wenn ich tot bin, ist das Sterben vorbei! LEBEN ist Sterben! So willst du also nicht, daß ich lebe und trauerst um mein Leben? Ist das Freundschaft?"

Aus einem der drei Gräber, wir können nicht sagen aus welchem, war ein freudig verstehendes Lachen zu hören.

Leben heißt Sterben
Leben heißt Lachen
Tod. Warum fürchten?
Spaß muß er machen!

 

Sie regt zum nachdenken an. Das ist gut!
Gut geschrieben, gute Idee. Besonders das:

Es fängt doch schon mit der Geburt an, denn jede Sekunde nach der Geburt ist eine Bewegung auf den Tod zu. Die Spanne zwischen Geburt und Tod ist also das Sterben."
"Aber die Spanne zwischen Leben und Tod ist doch das Leben!"

Fazit: Gut. :thumbsup:

[Beitrag editiert von: Uffmucker am 22.12.2001 um 11:30]

 

"Das Leben ist nur ein Moment, der Tod ist auch nur einer." (F.Schiller)

Ihr Geschichte hat mir tatsächlich sehr gut gefallen!! Die Idee, dass der Narr dem Tod ein Schnippchen schlagen will ist sehr, sehr gelungen.
Ich frage mich nur welche theoretische/philosophische Schrift sie gelesen haben, die sie zu dieser Geschichte animiert hat.

Dickes Lob. Marcus Septimus

 

Erstmal danke für die beiden Kritiken! Und dann: Der Narr mitsamt seiner Philosophie entspringt meinem kranken Hirn ;-) es ist einfach die Figur, die ich immer das machen lasse, was ich selbst machen würde - nur ist dies für eine fiktive Person leichter als für eine reale...:-)

Auf die Idee zu dieser KG kam ich beim Lesen von Michel de Montaignes "Essais", genauer das Kapitel "Philosophieren heißt sterben lernen". Überhaupt kann ich dieses Genie nur weiter empfehlen! Sehr inspirierend!

 

Mir gefällt die Idee, einen Narren mit dem Tod :engel: zu verbinden. Erinnert mich spontan an den Todesnarren aus Seiken Densetsu 3 (Secret of Mana 2). Die Diskussion der beiden ist wirklich interessant, der Leser wird auch angeregt, selber über die "richtige" Definition von Sterben :messer: nachzudenken.
Tolle Geschichte! :)

 

Falk,
Wie gesagt: Ich wünsche Dir viel Erfolg.
Das könnte was werden. Super Geschichte.
Was mich etwas gestört hat war die Sache mit den Drei Gräbern.
Wer den Witz über den Hütchenspieler kennt, der hat es schwer wieder in den Zauber der Geschichte einzutauchen.
Trotzdem
Gruß Manfred

PS
Schreibst Du am Fließband?

 

Fließband? Warum das?

Den Witz mit dem Hütchenspieler kenn' ich zwar nich', aber laß mich raten, es geht da um einen Hütchenspieler, der in einem von drei Gräbern verbuddelt ist, oder sowas!? Wußte gar nich', daß es sowas schon gibt ;-(

 

@Falk:

es geht da um einen Hütchenspieler, der in einem von drei Gräbern verbuddelt ist, oder sowas!?

Hehe, nee nich ganz.
Beispiel:
Eine Kugel wir unter einen von drei Hütchen gelegt. Nun versucht der Hütchenspieler die Hütchen so zu verschieben, dass man selber nicht mehr weiß, wo sich die Kugel befindet.

Das wird gerne als Geldabzockmethode auf dem Jahrmarkt verwendet.

[Beitrag editiert von: Uffmucker am 23.12.2001 um 19:10]

 

jaja, schon klar, aber er sprach ja von einem Hütchenspielerwitz! Und das was du sagst is ja noch kein Witz...

 

Ein Witz damit kenn ich leider auch nicht. <img src="confused.gif" border="0">

 

Ist eigentlich ein Bilderwitz:
Da sind drei Grabsteine. Hier liegt Franko der Hütchenspieler. Oder hier? Oder hier?

 

@Dreimeier:

Er muss sie ja nicht alle im gleichen Monat geschrieben haben. Es gibt viele, die ihre Geschichten manchmal schon Monate ( Jahre auch schon!) vorher geschrieben haben.

 

Ich bin Ihm deshalb doch nicht böse.
Ist doch auch eine Bereicherung.
War doch nur so, man do ey.
:D :D :D

 

Ich krieg noch ne siebte hin! Morgen denk' ich ;-)

Bin ja erst seit 2 Wochen hier, von daher hatte ich einiges schon vor ewig und drei Tagen geschrieben...und kg.de gibt dann noch die nötige Motivation, meine Ideen auch auszuarbeiten, so is der output dann latürnich hoch :-)

 

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