Narrengrab
"Nun, sie kommen langsam in ein Alter, in dem man sich Gedanken über das danach machen sollte" meinte der Grabverkäufer.
"Ach, wie unsinnig" erwiderte der Narr "Ich will doch nur Spaß haben. Über den Tod nachzudenken ist nicht spaßig, es ist überflüssig."
"Wieso überflüssig?" wollte der Verkäufer wissen.
"Nun, wer tot ist, ist tot, und das ist keinen Gedanken wert. Besser ist es, sich über das Sterben Gedanken zu machen. Aber egal, Herr Grabverkäufer, der Grund meines Kommens ist in der Tat das Verlangen, ein Grab kaufen zu wollen."
"Wenn ihnen der Tod oder der Gedanke daran überflüssig erscheint, wieso wollen sie dann ein Grab kaufen?"
"Ich will mir einen letzten Spaß erlauben und dem Tod seinen Ernst nehmen." antwortete der Narr grinsend.
"Aber der Tod ist ernst, mein Herr, man darf sich daraus keinen Spaß machen. Man darf doch den Tod nicht ausnutzen, nur um Spaß zu haben."
"Aber es ist doch mein Tod, und so steht er, wie mir scheint, auch zu meiner freien Verfügung."
"Sicher, sicher, aber bedenken sie, wie die Kirchenväter oder die Friedhofsbesucher reagieren würden. Man hat doch Angst vor dem Tod und da..."
"Das ist Unsinn" unterbrach ihn der Narr "Wenn du tot bist, bist du tot, egal was das bedeutet."
"Das beruhigt nicht"
"Wie das?"
"Ich habe Angst vor dem Ungewissen."
"Siehe," begann der Narr seine Predigt "ist nicht jede Sekunde ungewiß? Angst vor dem Tod bedeutet Angst vor der Ungewißheit bedeutet Angst vor jeder neuen Sekunde. Du lebst also immer in Angst!"
"Nein!" bemühte sich der Grabverkäufer um eine schnelle Antwort. "Es gibt auch Zeit ohne Angst!"
"Dann hast du auch keine Angst vor dem Tod."
Ob der Grabverkäufer diesen Gedankengang verstanden hatte, war nicht ersichtlich, aber zumindest brachte es ihn zum Nachdenken. Schweigend stand man sich also einige Minuten gegenüber, ehe der Narr das Schweigen brach.
"Herr Grabverkäufer?"
"Uhm...ja...äh...was gibt es?" lautete seine konfuse Reaktion.
"Ich wollte ein Grab kaufen, du erinnerst dich?"
"Ja."
"Was kostet so ein Grab?"
"Nun, ich würde sagen, mit allem drum und dran, ihren Wünschen entsprechend, knappe 10.000 Mark."
"10.000 Mark? Die habe ich nicht."
"Nun?"
"Da muß sich der arme Mann heutzutage ja zweimal überlegen, ob er stirbt."
"Tja, so sind die Preise."
"Sagtest du nicht, man dürfe den Tod nicht ausnutzen?"
"8.000 Mark?"
"Du machst Geld mit dem Tod."
"7.000 Mark?"
"Wie unsinnig, Geld für etwas auszugeben, daß man sowieso nie besitzen wird."
"Nun gut, es gibt ein Grab ganz nahe an der Kirche, in dem sich niemand begraben lassen will, weil es so teuer ist. Das können sie billiger haben, ich kriege es ja eh nicht los."
"Leuchtet ein."
"Aber etwas anderes, mein Herr, mir ist da ein Gedanke gekommen."
"Ja?"
"Vielleicht haben sie Recht, Herr Narr, und ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich denke, ich kenne die Wahrheit jetzt. Ich habe Angst vor dem Sterben!"
"Was heißt 'sterben' "?
"Hmm...auf den Tod zugehen."
"Und wann gehst du auf den Tod zu?"
"Nun, was soll ich antworten, Herr Narr?"
"Im Tod selbst?" lautete des Narren Vorschlag. "Nein, im Tod selbst ist das Sterben jenseitig, es ist vorbei." beantwortete er seine Frage gleich selbst.
"Also?" wollte der Grabverkäufer wissen.
"Also gehst du im Leben auf den Tod zu. Im Leben ist das Sterben diesseitig, es ist im Gange."
"Ja, in der Tat" pflichtete der Verkäufer bei.
"Ab wann ist es im Gange? Es fängt doch schon mit der Geburt an, denn jede Sekunde nach der Geburt ist eine Bewegung auf den Tod zu. Die Spanne zwischen Geburt und Tod ist also das Sterben."
"Aber die Spanne zwischen Leben und Tod ist doch das Leben!"
"Dann sind Leben und Sterben wohl ein und dasselbe."
"Uh...ja."
"Angst vor dem Sterben bedeutet also Angst vor dem Leben! Du hast also Angst vor dem Leben!"
"Äh...nein! Nein! Ich habe keine Angst vor dem Leben - ich liebe und genieße es!"
"Dann hast du auch keine Angst vor dem Sterben!"
"Sie können das Grab umsonst haben."
Als nun der Narr tot war, stand nur der Verkäufer an seinem Grab. Freunde und Verwandte waren noch zu beschäftigt damit, sich um das Erbe zu streiten. Es war ein herrlich verregneter Tag, kein Sonnenstrahl fiel auf die frisch zum Bedecken des Toten herangeschaffte Erde. Drei Gräber waren zu sehen, jedes markiert mit einem Grabstein. Auf dem ersten stand "Hier ruhe ich...", auf dem zweiten "...oder hier..." und auf dem dritten "...oder hier."
Der makabere Scherz freilich blieb nicht lange erhalten, denn die Kirche mahnte den Ernst des Todes und verlangte die beiden falschen Gräber verschwinden zu lassen. Bloß das niemand wußte, welches das Echte war. Der Grabverkäufer hingegen grinste fortan dem Tod entgegen.
Als der Grabverkäufer alt war, sprach ihn ein Freund auf das Sterben an.
"Wenn du stirbst," sagte der Freund, "dann werde ich trauern."
"Warum?"
"Weil ich nicht will, daß du stirbst!"
"Ich sterbe!"
Da weinte der Freund.
"Ich sterbe schon seit vielen Jahren. Wenn ich tot bin, ist das Sterben vorbei! LEBEN ist Sterben! So willst du also nicht, daß ich lebe und trauerst um mein Leben? Ist das Freundschaft?"
Aus einem der drei Gräber, wir können nicht sagen aus welchem, war ein freudig verstehendes Lachen zu hören.
Leben heißt Sterben
Leben heißt Lachen
Tod. Warum fürchten?
Spaß muß er machen!