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Nervenwasser
Schatten einer vergangenen Zeit, Narben tragende Erdkruste, verblasste Erinnerungen in schwarzem Gold.
Ich höre den Alarm, die Sirenen, leise verstummend in dem Gefieder der Nacht, den Winkeln dieser Stadt, die so vieles zu bieten hat und doch so wenig gibt.
Und dann: Stille.
Einzig das Echo meiner Gedanken hallt in dieser sterblichen Kathedrale, wie ein untröstliches Versprechen. Lässt mich erschaudern, reißt mich hinab in meine Einsamkeit, diesen Kosmos, den nur ich bewohne.
Erneut ertönen sie, der Ruf der Gefahr, da braucht jemand Hilfe und sie ist unterwegs.
Ein Wasserhahn wird betätigt, das Knarren von aufeinanderschabendem Metall, das Rauschen des Wassers, ich vernehme Geklapper und Geklimper, eine Tür fällt in ihr Schloss und ich betrachte die Rauchwolken meiner Zigarette, die Silhouette eines Schattens flackert in meinen Augenwinkeln auf. Dabei lebe ich allein.
Das Brummen meines Computers mischt sich mit meinem Herzschlag und ich horche, höre genau hin, ob es nicht doch von woanders stammen könnte, dieses Pochen…
Ich weiß, die Sirenen gelten nicht mir, sie entfernten sich. Aber was, wenn sie irren, einen Fehler begehen und ich der bin, den sie zu retten haben?
Du denkst zu viel und du hast zu wenig zu tun.
„Wer hat hier zu wenig zu tun? Ich? Du meinst mich? Ich denke du irrst. Wie kannst du behaupten, ich hätte nichts zu tun. Hör doch, lausche dieser Stille, die angeschlängelt kommt wie ein Neunauge, alles wissend und dennoch das Siegel der Schweigsamkeit und Stille in sich tragend. Höre genau hin, oh mein Bruder, und sagen mir, ob du nicht fähig bist zu hören oder es nicht hören willst?“
„Was meinen Sie?“
„Ich sehe es doch, du hörst es auch, nicht wahr? Tief in dir, verborgen unter dieser Furcht in deinem Herzen, einer anderen Welt anzugehören als der, in der du dich selbst gerne sehen würdest.“
„Hören Sie auf damit!“
„Aufhören? Du sagst mir ich soll aufhören? Aber womit, frage ich dich. Womit denn bloß? Hören etwa die Sirenen auf zu kreischen, schrill und grell, dass es einem direkt durchs Rückenmark fahren könnte? Hören die Vögel auf zu singen, die Menschen sich zu lieben und zu besteigen um dann einzig und allein dumpf zu sterben und in der Namenlosigkeit einer in Beton gegossenen Existenz zu versickern? Hast du auch nur einmal gesehen, dass sich die Zeit ein... Ruhepäuschen gegönnt hätte? Höre du doch auf?“
„Ich sagte, sie sollen still sein!“
„Und ich sage dir, dass du nicht mehr als ein Gast bist, also benimm dich auch entsprechend. Komm her, ja gut so. Hier nimm auch du einen Zug, es wird dich schon nicht umbringen. Fein, gib wieder her.“
„Hier.“
„Tust du mir ein Gefallen?“
„Und der wäre?“
„Ohhh, es ist ganz simpel, schaue einfach nur in den Spiegel und sage mir, was du siehst.“
„Was soll ich schon sehen? Ich sehe mich, sehe eine Lampe, die Reflexion des Mondes ...“
„Du irrst mein Freund, du irrst. Denn du siehst nicht etwa dich, nein, du siehst mich. Ich sagte dir doch, dass du nicht mehr als ein Gast bist.“
„Sie scherzen.“
„Du denkst wirklich, ich wäre zu Scherzen aufgelegt? Dafür bin ich viel zu beschäftigt, für Scherze, mein Freund, ist mir die Zeit einfach zu kostbar. Also schaue erneut, du wirst es schon noch begreifen. Ich bin hier um zu helfen, dir einen kleinen Schubser zu geben. Du lebst unter deinen Fähigkeiten, also verstehe mich nicht falsch. Du kennst doch das Sprichwort: Ein Gast ist immer König?“
„Natürlich.“
„Nun, und ich bin das Land, das ihn beherbergt.“
„Sie meinen also ...?“
„Ganz genau.“
Es war richtig, diesen Abend galten nicht ihm die Sirenen der Rettungs- und Polizeiwagen aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis dies der Fall war. Der Spiegel hatte es ihm gerade bestätigt.
Doch es kümmerte ihn nicht, er fühlte sich großartig.
„Nun, was tun wir jetzt? Schwebt dir irgendetwas vor, verehrter Kollege?“
„Ich wüsste da schon etwas: was halten sie davon, diese Stadt um ein paar Klänge reicher zu machen?“
„Ich liebe deinen Vorschlag und genehmige ihn. Rapacuronium oder Succinylcholin?
Axt oder Messer?“
„Wie wäre es mit Fentanyl?“
„Dein Wort in Gottes Ohr …“