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Neujahrsfahrt

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24.08.2006
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Neujahrsfahrt

Der Silvesterball des Single-Tanzkurses ist vorüber und ein Taxi fährt durch die fast schlafende Stadt. Ali, ein älterer Türke, sitzt am Steuer. Auf dem Beifahrersitz lümmelt sich Dolores, eine junge Theaterschauspielerin. Hinter den beiden befinden sich Hilde, fünfundvierzig und Hausfrau, Lothar, achtunddreißig und Lehrer, sowie Wolfgang, Stadtratsmitglied, zweiundfünfzig.
Die Atmosphäre ist gelöst, nur Ali konzentriert sich meist auf das Fahren und Wolfgang schaut in die an ihm vorbeigleitende Nacht.

"Ich hoffe, mein Engagement am Stadttheater wird nächstes Jahr verlängert", sagt Dolores und lockert ihre Haare.
"Ich drücke dir die Daumen, Dolores", sagt Hilde herzlich. "Ich weiß ja, wie sehr du das Stadttheater liebst!"
"Vielen Dank, Hilde! Die Stadtbühne, ja - ist schon ein geniales Team dort, und so viel Lebendigkeit! Manchen soll demnächst gekündigt werden! . . . vielleicht auch mir!"
"Weißt du schon genaues?", fragt Lothar. Während des Balles hat er erst Sekt und später Whisky getrunken. Seine Lederjacke riecht nach Zigarillos. Dolores mag auch das an ihm.
"Nein", sagt sie zu ihm, "unser Intendant hat bisher nichts verlauten lassen. Vier von uns haben schon an anderen Bühnen gefragt. In München!"
"München!", brummt Lothar. "Wenn du da hingehst, können wir aber nicht mehr zusammen tanzen!" Dolores lächelt, sucht seine Augen, doch von außen fällt kein Licht herein, um ihn ihr zu zeigen.
Aus dunkelbraunen Augen schaut Ali neugierig in den Rückspiegel. Geschichten verschaffen ihm "Würze" in seinem Leben. In seinem Taxi hat er schon viele gehört. Manche hat er aufgeschrieben und eines Tages hofft er, sie an einen Verlag zu verkaufen, für ein Haus in der Türkei. Er betrachtet sein weißes Haar, sein braunes Gesicht und fühlt sich attraktiv. Da fliegt ein Schwarm schwarzer kleiner Vögel blitzschnell über die Fahrbahn. "So was", denkt er, "das waren doch Fledermäuse, oder? Halten die nicht Winterschlaf?" Er ist sich nicht sicher, ob er nicht auch nadelspitze Zähne gesehen hat.

In diesem Augenblick schält sich der Wolfgang aus seiner Ecke. "Habt ihr heute abend die Neujahrsansprache der Kanzlerin gehört?" Sein Haar liegt wanderdünenwellig. Ein Lichtstreifen ertappt ihn und man erkennt einen hellblauen Sakko, einen roten Schlips und ein bleiches Gesicht.
"Nein mein Bester", sagt Dolores zu ihm, "da habe ich besseres zu tun, als mir den Abend mit deiner öden Politik zu verderben!"
Wolfgang lächelt: "Aber sie ist notwendig! Im nächsten Jahr müssen wir auf jeden Fall noch mehr sparen, sagte die Kanzlerin. Und mehr arbeiten! Genau das, was ich immer sage!"
Dolores schaut sich genau ihre Fingernägel an, um irgendetwas entfernen zu können, damit sie ihre Gedanken von Wolfgang ablenkt. Lothar schaut auf den Umriss ihrer Haarlocken. Hilde schaut dagegen auf Alis Nacken und Ali auf die Straße, um dort noch ein paar Fledermäuse zu entdecken.
"Sparen und arbeiten!" sagt Dolores jetzt doch schnippisch. "Ich werde wegen dem ewigen Sparen dieses Jahr wahrscheinlich arbeitslos werden. Dabei hängt mein Herz so an diesem Theater!"
"Aber der Wirtschaft geht es schlecht", sagt Wolfgang. "Wir alle müssen anpacken! Leben und Arbeit können nicht immer nur bunt und lustig sein!"
"Was soll denn das heißen?", ruft da Dolores angriffslustig. "Die Schauspielerei ist harte Arbeit, nicht nur "bunt und lustig" wie du das bezeichnest! Und - einmal abgesehen davon – jeder braucht mal "Buntes"! Besonders wenn die Zeiten schwer sind!"
"Ob Schauspielerei Arbeit ist, möchte ich nicht beurteilen", meint Wolfgang. "Aber man kann auch in Schönheit sterben, sagt man im Stadtrat."
Dolores ist von Wolfgangs Vortrag mehr als genervt, Hilde schaut an die Decke, Lothar ist von der neuen Spannung fasziniert und Ali lauscht dem sich anbahnenden Konflikt.
"Außerdem habt ihr von der Politik schon immer das Geld für euch selbst auf die Seite geschafft und verplempert", zischt Dolores. Ihre Stimme klingt scharf. "Deshalb haben wir heute alle so wenig! Und jetzt kommt ihr wieder und weint uns einen vor!" Dolores hebt ihre Stimme theatralisch an und singt fast: "Wir haben alles versucht, doch himmlische Mächte sind gegen uns! Ihr, das Volk, müsst deshalb härter arbeiten und sparsam sein!" Sie senkt ihre Stimme wieder und spricht anklagend weiter: "Und wo bleiben die Menschen? Denkt ihr wirklich an uns in Fleisch und Blut? Höchstens, wenn ihr unser Blut saugen wollt!"
Ali denkt sofort an die Fledermäuse, Hilde schaut auf ihre Beine, Lothar ist von Dolores’ Power begeistert.

Wolfgang lächelt: "Ich meine, das kann man aber auch sachlicher sagen ..." Er überlegt sich jetzt noch genauer jedes Wort. "Und ob das alles so stimmt ..."
Hilde springt etwas kantig, aber mit gutem Willen ins Gespräch: "Ich denke, es war ein schöner Abend für uns alle, und wir sollten Politik jetzt Politik sein lassen. Es gibt noch so viele andere schöne Dinge im Leben!"
"So eine tolle Frau! So natürlich!" denkt Ali, "aber leider gar nicht so sexy!" Dolores schaut erneut ihre Fingernägel an, lässt ihre Hand dann aber nach unten fallen. Lothar fährt den Gesichts- und Körperkonturen von Dolores hinterher. Dann sucht er seine Taschenuhr.

Wolfgang meldet sich wieder und möchte eine Art Harmonie herstellen: "Ja Hilde, du hast ja Recht, aber ich meinte ja nur, in manchen Zeiten ist es besser für uns alle, wenn etwas geschlossen wird und später, wenn es dann besser geht, kann es dann ja wieder geöffnet werden."
"Also doch!", ruft Dolores. "Alles schon beschlossen mit der Bühne und wie immer hinter unserm Rücken, nicht?" Ein Fauchen folgt, was in einem Taxi sehr merkwürdig klingt.
Wolfgang rückt seinen Schlips um drei Millimeter nach links.
"Ist das sicher mit dem Schließen der Bühne, Wolfgang?", fragt Lothar. Er will exakte Fakten. Er klappt seine Taschenuhr zu: Kurz nach halb vier. "Vielleicht geht noch was mit Dolores", denkt er, und es erregt ihn.
Wolfgang überlegt vorsichtig, was zu sagen ist. Dolores atmet intensiv, Hilde legt ihr die Hand auf die Schulter. Ali bremst stark vor einer roten Ampel.
"Es muss von allen noch endgültig beschlossen werden", sagt Wolfgang dann.
"Und für was stimmst du?", fragt Dolores zischend und dreht sich um.
"Also, ich glaube, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu erörtern", sagt Wolfgang so salbensanft als möglich, und möchte die Diskussion lieber vertagen.
"So, so", erwidert Dolores, "vertagen!! Du redest ja immer drumherum, wie alle von deiner Sorte!" In ihrer Stimme ist nun wirklich ein raubtierhafter Unterton.
Die Ampel wird Grün. Ali gibt Gas, Hilde fühlt, wie sich Dolores’ Schultern heben und senken und Lothar spürt Afrikanisches, Kochendes, Wildes.

"Ich will dir mal was sagen, du trüber Kleinkarierter. . . " setzt Dolores zum Sprung an, Lothar saugt ihren Duft ein, Hilde schaut atemlos zur Decke und Ali stellt schnell die Heizung aus.
"Mit dir, mein Kleiner, rede ich ab sofort kein einziges Wort mehr! So lange bis der "richtige Zeitpunkt" kommen wird! Schon damals, als du zu uns in den Tanzkurs kamst, ist mir das Lachen aus dem Gesicht gefallen, du gesalbter Heiliger du . . . Es ist besser du scherst dich zum Teufel, bevor ich mich vergesse! Vollidiot!! He Taxi! Halt an! Ich gehe lieber zu Fuß, sonst kratze ich einem Idioten noch die Augen aus!"
Ali fährt an die Seite. "Das ist aber noch ein Stück zur Benderstraße", sagt er.
"Kein Problem", erwidert Dolores. Sie versucht ihre Stimme normal klingen zu lassen, was ihr nicht leicht fällt.
"Darf ich dich nachhause begleiten?", wirft Lothar blitzschnell ein. Dolores schaut ihn an, nickt.
Sie wendet sich zu Hilde: "Ich ruf' dich morgen an!"
"Ja, gerne, mach das, Dolores", sagt Hilde und lächelt. Sie möchte ihr irgendwie Zuversicht geben.
Dolores und Lothar steigen aus, Ali ruft: "Ein gutes Jahr". Wolfgang schaut aus dem Fenster. Lothar hat ein Lächeln im Gesicht.

"Zur Brückenau 24", sagt Hilde als sie weiterfahren. Wolfgang schaut hinaus und denkt, er wolle sich diesen Schuh nicht anziehen. Er weiß gar nicht so recht, warum der ganze Streit eigentlich entstanden ist. Hilde denkt an Dolores, dann an ihre Tochter Jessica, die glücklicherweise einen sicheren Beruf als Kosmetikerin hat. Ali denkt an deutsche Frauen und dass sie eben anders sind als türkische. Zickiger! Dann fallen ihm die Fledermäuse wieder ein, das beruhigt. Nachher will er schauen, ob er etwas darüber in seinem "okkulten" Buch findet, das er gerade liest.

"Hier sind wir", sagt er als er vor Hilde’s Haus steht. "Danke", erwidert Hilde.
"Frohes Neues Jahr!", sagt er, "und übrigens ich bin der Ali."
"Ali" sagt Hilde. Sie leckt sich über ihre spröden Lippen. Etwas Vergessenes regt sich in ihr, sie fällt in einen Sekundentraum.
Da meldet sich brachial der Wolfgang: "Erfolgreiches neues Jahr, Frau Schmidt!", ruft er und streckt seine Hand in die Leere.
Hilde wacht wieder auf. "Morgen sieht alles anders aus", meint sie. "Wir sehen uns Mittwoch beim Tanzen". Wolfgang zieht seine feuchtweiß-ungeschüttelte Hand wieder ein. Hilde entdeckt eine Rose im Schnee. Sie bückt sich, hebt sie auf und lächelt. "Was für eine Geschichte gibt das, wenn ich schreibe", murmelt Ali. Dann fährt er los.

"An der Ochsenheide 12", sagt Wolfgang. Im Taxi ist es sprachlos still. Ali stellt einen Sender ein: Vier-Uhr-Nachrichten, Ausschnitte aus der Neujahrsansprache, Wettervorhersage. Wolfgangs Kopf fällt leer nun hin und wieder an die Fensterscheibe. Sein leises Schnarchen schwebt über den Rücksitzen.

"Schönes Jahr noch", sagt Ali als er das Fahrgeld vor Wolfgangs Reihenhäuschen einsteckt.
"Danke!" sagt Wolfgang zerknittert.
Ali fährt los. Er hat noch eine Fahrt.

Wolfgang tappt hinüber zu seinem Haus. Kurz vor der Haustür rutscht er aus. "Scheiße!", flucht er dabei, ganz ohne zu überlegen, doch es ist wahr: er ist in einen Hundehaufen getreten. Neben der Haustür stellt er seine Schuhe ab und steigt in seinen Socken die Treppe hinauf. Wenn es knarrt, bleibt er stehen, damit seine Frau nicht aufwacht. Sein Arbeitszimmer ist oben unter dem Dach. Seit einem Jahr steht dort auch sein Bett.
Er wirft einen Blick auf die vielen verschiedenen Zettel an den Wänden. "Meine zukünftigen Reden im Stadtrat", denkt Wolfgang und freut sich. Er legt sich mit den Socken ins Bett, weil das wärmer ist. Er schaut in den Himmel und es ist wie immer: Himmel und ein paar Sterne. Er schließt seine Augen. Bald erfüllt sein regelmäßiges Atmen den Raum und beschlägt die Scheiben.

Eine Sternschnuppe fällt vom Himmel als er einschläft. Die, die noch wach sind, weil sie sich vielleicht ihre Träume bewahrt haben oder es jedenfalls versuchen, haben sie gesehen. Und vielleicht kann von jenen, die sie sahen, ein Stückchen romantischen Sternenzaubers mit in das nächste Jahr genommen werden. . .

 

Hallo Covellin,

mir hat deine Geschichte nicht gefallen, was aber keinesfalls am Schreibstil lag. Der war auf jeden Fall gut. Ab und zu musste ich schmunzeln, weiß zwar nicht ob das von dir beabsichtigt war, aber die eine oder andere Szene mit Ali wirkte schon komisch.

Der Rest der Geschichte war für mich ziemlich langweilig. Eine nörgelt über die Politik nach dem Motto "Alles ist scheiße" und ein Politiker verteidigt sich. Der Konflikt plätschert so dahin und für entsteht nicht mal richtiges Streitpotenzial. Ansonsten schilderst du eine Taxifahrt. Mehr nicht. Konnte daran nichts interessantes finden. Sorry.

lg neukerchemer

 

Kein Problem, neukerchemer,
du bist der Kunde.

Die Szenen waren schon beabsichtigt komisch, bzw. sie haben sich im Verlauf ihrer Entstehung so komisch ergeben.

Es war der Versuch, einen Konflikt, Stück für Stück aufzubauen. Wahrscheinlich schwirren zu viele Leute darum herum, so dass
er sich nicht klar herauskristallisiert. Doch auch mit weniger Leuten
müsste es im Konflikt noch mehr "knallen". Insofern ist es gut, dass
es dir nicht gefallen hat, weil ich nun weiter weiß.

Danke für die Rückmeldung auf jeden Fall

Schönen Gruß
covellin

 

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