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- Anmerkungen zum Text
Der zweite Teil um den Henker Rosenfeld, der vielleicht dereinst den legendären Störtebeker auf dem Grasbrook enthauptete und danach sein Schicksal teilte. Ich denke, dass es sehr zum Verständnis beiträgt, den ersten Teil der Serie ebenfalls zu lesen.
Nicht länger lebendig
's geht nicht mit rechten Dingen zu, nein. Der Deibel. Er muss seine elend'gen Klauen im Spiel haben, Hölle! Eben noch der Miles, den ich zetern hör. Seinen Lakaien, den ich's Schwert erheben seh. Hatte den Tod zu empfangen, nichts and'res. Aber mein Rücken zieht wie eh und je. Ich kenn's Gefühl. 's ist immer so, wenn die Kälte kommt, unter die Haut kriecht und dort bleibt. Und die Knochen schmerzen, so wie se's tun, wenn die Pflanzen 's sterben beginnen und der Regen eisig übers Land peitscht. Ich spür 'en gut, mein' alten Leib. Kann auch meine Hände heben, seh sogar 's Blut noch dran. Die Spuren meines Schaffens. Wo also? Wo hat's mich hinverschlagen? Kein Höllenfeuer ist zu erblicken, kein Geschrei der Verdammten zu hör'n.
Da! 'en Schatten löst sich in der Ferne und naht heran. Ich bin kein feiger Mann, wahrlich nicht. Aber nun ist's die reine Angst, die mich im Nacken packt.
„Wer da?“, wag ich's zu frag'n. Atemlos, greid's dem Schemen mehr entgegen, als dass ich's ruf und stolper zurück. „Bist … bist du der Tod?“
En raues, hohles Gelächter ist's, das mir entgegenschlägt. 's klingt nach Meer, nach dunklen Wellen, die die Luft raub'n, 's klingt kalt und unbarmherzig, wie en Sturm klingt's. Hab's schon mal hör'n können, 's Lachen. Auf'm Grasbrook. Dämonen, Geister aller Höllen, er ist's! Den Kopf hat er auf sein' Schultern, doch 's Blut am Hals verrät's. 's ist der Störtebeker, der, den ich erschlagen hab, der mir die Vergebung verweigerte, dessen Augen nicht brachen. Aus dem Richtenden wird der zu Richtende, 's muss so sein. Furchtbare Rache wird er fordern. Meine Hand schnellt zum Hals. Ist's etwa mein Blut, das ich fühle? So klebrig und kalt? Was für n' grausam's Spiel wird hier gespielt?
„Ei, kommt heran meine mut'gen Brüder, schaut wer zu uns g'stoßen ist, ausgerechnet ha! Rosenfeld, ist's recht? Der gute Freimann Rosenfeld, der's Schwert schwingt, wenn die Herren 's befehlen? Der 'en Takt vorgibt, der die Leiber zucken und die Toten tanzen lässt, fürwahr Ihr seid's.“
„Fort von mir, Elend'ger, Verfluchter!“, ruf ich. Gelächter aus vielen, vielen Kehlen stürzt heran, wie kraftvolle Wellen die's Deck überspülen. Nach Hieben fühlt's sich an und ich stürz nieder. Einzig en schnelles Ende ist's, um das ich noch fleh'n möcht. Oh, lass es en schnell's Ende sein. Doch wag ich's nicht zu hoffen.
„Herauf Freimann! En harter Hund, en aufrechter Schlächter seid'er, und derlei Menschen kriechen nicht vor anderer Stiefeln. Also auf mit euch!“
„Steht ihr mit 'em Deibel im Bunde, Seeräuber?“
„Mit 'em Deibel? Nein, Freimann, mit dem ham wir nichts zu schaffen, dienen weder ihm noch Gott. Der Tod allein ist's, dem wir uns unterwerfen. Schon lang ist's besiegelt. So wie bei euch, nicht? Silber und Tod? 's waren eure Worte, nicht wahr? Na, 's muss so sein. Wärt nicht hier, wär's anders. Ja, der Rosenfeld ist einer von uns, Brüder! Ha, wer hätt's g'dacht?“
Wir gleiten durch's dunkle Nass. Finst're Mächte sind's, die's Schiff führen und die roten Segel weh'n lassen. Nicht en einz'ger Luftzug ist im Spiel und die Vitalienbrüder rühren keinen Finger. Ham mich gepackt und auf's Deck geschleift, seitdem lassen se mich in Ruhe. Nur der Störtebeker streift in einem fort um mich rum. Jetzt steht er anner Reling. Bindet seinen Krug anne Kordel und lässt ihn hinab in die Schwärze.
„Wahnsinniger, 's is giftig, das Wasser der Unterwelt, 's weiß jeder“, sag ich.
„Ja, so wird's einem erzählt, nicht wahr? Dass 's giftig sei, 's dunkle Wasser des Styx. Allerlei Flüche tät's nach sich ziehen, jaja. 's pfeifen alle Spatzen von den Dächern. Wasse nich erzähl'n, is, dasses ganz ord'ntlich schmeckt, 's Wasser.“
Der oberste der Vitalier leert sein' Becher in nem einz'gen Zug als ob's nichts wär. Durch seine Wunden am Hals tropft's dunkel auf die Planken. Über die Jahre, durchs ganze Blut und Gekröse und all das, hab ich ne dicke Haut bekommen, aber dieser Anblick treibt mir die Gänsehaut über'n Nacken.
„'s ist wohl nicht mehr zu vermeiden, dass was daneben geht, wie? Dennoch, probiert's ei'mal, 's stärkt, 's wärmt.“
„Den Deibel werd ich.“
„Sei's drum, ihr tut gut d'ran, mir nicht über'n Weg zu trauen, klug wie'rer nu' mal seid. Meint wohl, ich hätt böse Pläne mit euch, wie? Dass ich euch ins Tal Josaphat bestellen tät? Ei Rosenfeld, nein, ich heg kein Groll gegen euch. Wärt Ihr's nich gewesen, der's Schwert hätt g'schwungen, dann hätten's eben wen and'ren rangeholt. 's gibt ja noch mehr von euch Leut' drüben in Buchholz oder Lübeck. Aber Pläne hab ich, 's stimmt. Guter Freimann, ihr habt wahrlich Mumm in eur'n Knochen, 's ist wahr. Was'er da oben abgezog'n habt! Vom selben Schrot und Korn sag ich. Nur 's Zögerliche, … warum habt'er denn nich einfach zugehau'n, wo der Miles schon neben euch stand?“
„Elend'ger, ihr wart's der mich verhext hat! Mich überhaupt 'zu gebracht hat, derart daher zu red'n. Hab's Lachen gehört, als se mich auf'n Block gelegt ham. Ihr und eure Brüder wart's die über mich gelacht habt!“
„'s wahr, und wie, ha! Aber tut eure Rolle nicht kleinreden. 's brauchte gar keine Hexerei. Ihr selbst habt eure Worte gewählt und gesprochen, da hatten wir nichts mit zu schaffen. Aber zur Sache, Schlächter. 's gibt da etwas, das uns eint. Betrogen sind wir gleichermaßen worden. Für eure letzte Arbeit habt'er kein Silber erhalten, und auch unser Lohn steht aus. En Ende mit all der Schinderei, dem Leid und alledem. So war's abgemacht mit uns'rem Herr'n.“
Mit einem Mal ist en Grollen zu hör'n, wie ichs kaum beschreiben kann. Nicht kalt wie 's Gelächter der Vitalienbrüder, sondern heiß, ner Esse gleich. 's glüht g'radezu, 's verbrennt die Haut, versengt uns're Haare und erhellt die Dunkelheit. Sogar der Störtebeker verstummt. Still segeln wir vorbei. En prächt'ges Wesen ist's, was größ'res hab ich nie gesehen. Mit seinen Augen hat's unser Schiff im Blick, zieht die Lefzen zurück und aus drei Mäulern zeigt's uns seine schrecklichen Zähne.
„Nur en Köter, en Diener wie wir auch“, flüstert der Störtebeker.
„Still, Elender!“ Will er uns denn alle in den tiefsten Abgrund reißen?
„'s ist recht Freimann, 's wird uns nichts geschehen. Es weiß, dass wir nicht hierher gehören. Dass wir noch was zu erledigen haben in der Welt der Lebenden. Nichts wird geschehen.“
Noch lange können wir's Knurren hören. Mir scheint, als ob der Wind der uns're Segel führt, stärker wird.
„'s ist eben das Problem, Rosenfeld. Sind nicht länger lebendig, aber auch nicht tot. Zu Verfluchten, zu Wiedergängern hat man uns gemacht, noch immer dazu verdammt über diese elend'ge Erde mit all ihren Gebückten wandern zu müssen. 's ist nicht recht, sag ich! Uns wurde was and'res versprochen! Nach nem ganzen Leben für den Herr'n der Knochen, wo wir so viele zu ihm geschickt ham. Die ewige Ruhe ist's, die uns zusteh'n tät, verflucht!“
Seine Miene verfinstert sich und mit einem Mal isser mir ganz nah, der Störtebeker. Beugt sich zu meinem Gesicht, so, dass sich fast uns're Nasen berühren. Nach Algen riecht er. Nach Salz und kupfernem Blut. Seine Augen bohr'n sich in die meinen. 's ist nichts Menschliches mehr drin zu erkennen.
„Wir fragen uns Freimann, wo er ist, der Herr der Knochen? Wo versteckt'er sich? Nun, ich weiß's nicht. Nur, dass er nicht hier ist, in sein'm Reich. Wird sich wohl rumtreiben, auf der Erde umgehen und all die kleinen Menschlein mit seiner Sense mäh'n. Wir werden ihn suchen, wir werden ihn finden und wir werden unser gut's Recht einfordern, nicht wahr, meine Brüder? Und ihr, Schlächter, ihr werdet uns begleiten. Denn eure Rechnung ist ebenso wenig beglichen wie die uns'rige. Wie ein Sturm werden wir gemeinsam über's Land und die Meere ziehen. Jeden Menschen, der's wagt, sich uns in den Weg zu stellen, hinwegfegen, jedes Schiff versenken, jede Feste schleifen. Werden dort sein, wo die Stadtbrenner am Werk sind. Dahin gehen, wo se sich gegenseitig auf den Feldern für hohe Herr'n dahinmachen, ha! Wir werden's Zeichen uns'res Meisters in die Welt tragen. So lange, bis er sich uns offenbart und uns gibt, was wir verlangen. Schärft euer Schwert, Freimann. Ihr werdet's brauchen.“
Er lässt mich steh'n, der Störtebeker. 's wird heller um uns, en frischer Wind kommt auf und bläst uns die Gischt in uns're bleichen Gesichter. Noch lang schau ich auf's Wasser, nicht länger lebendig und auch nicht tot.