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Nicht so schnell!

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23.08.2005
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Nicht so schnell!

Ständig findet mein Sohn Hugo fadenscheinige Gründe, um mich anzurufen.
Mein Hab und Gut will er haben. Schon seit Generationen ist es im Besitz der Familie und ein kleines Vermögen wert. Sauna, Tennisplatz und ein kleines Waldstück gehören genauso zum Besitz wie die kostbare Innenausstattung. Von Generation zu Generation wurde alles weitervererbt.
Unglücklicherweise ist Hugo durch seine Spielsucht hoch verschuldet. Anstatt zu sparen landet jeder Cent dieses Spielers in einem Casino. Seitdem er nicht mehr weiter weiß, verlangt er von mir, dass ich ihm mein Haus zwecks Weiterverkauf übertrage. Aber nicht mit mir!

Vor einem Monat begann mich ein Anwalt, Herr Heine, regelmäßig zu besuchen. Heines Erscheinung passte nicht zum Berufsbild: unrasiert, ungepflegt, schlecht angezogen. Sein Honorar konnte nicht besonders hoch sein. Bei einer Tasse Tee erklärte der aufdringliche Anwalt mit gespieltem Wohlwollen, dass ich langsam meinen Lebensabend beschließen sollte.
"Schon allein wegen der Sicherheit!", meinte er. Man könne so leicht stürzen. Und wer soll mich finden, wenn ich verletzt und ganz allein herumliege? Tage könnten vergehen!
Seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen: "Wenn man nicht aufpasst, dann ... können Sie an den einfachsten Verletzungen zugrunde gehen!"
Trotz Heines Direktheit ließ mich das Thema kalt. Ich erklärte ihm, dass ich in meinem Alter ohnehin mit dem Tod rechnen müsse. Einen schweren Herzanfall habe ich bereits hinter mir. Wenn ich zu schwach bin, eine Treppe herunterzugehen, dann habe ich sowieso nichts mehr in der Welt der Lebenden zu suchen. So einfach ist das, machte ich ihm klar.

Gehen wollte er dennoch nicht. Heine schluckte kurz, verzog seinen Mund dann aber wieder zu einem gequälten Grinsen: "Wir haben da ein paar wunderbare Kataloge! Sie müssen sich ja nicht alles anschauen ... Aber sehen Sie, was Sie verpassen!" Obwohl ich Herrn Heine zu hassen begann, ließ ich mich darauf ein, weil ich hoffte, er würde mich dann endlich in Ruhe lassen.
Altersheimbroschüren.
Nein, nein, nein. Mein Magen fühlte sich beim Anblick der Bilder von spießigen, scheinfröhlichen Greisen ganz flau an. Nach einigem Nachhaken verriet mir der Anwalt, dass der nächste Friedhof meistens auch nicht weit weg sei.
Oh, nein. Kein Interesse. Erbost scheuchte ich den Anwalt auf die Straße - den wollte ich nie wieder sehen. Ein Glas Whisky half mir über den unangenehmen Besuch hinweg.
Offenbar hatte Heine begriffen. Stattdessen versuchte er es nun wie mein Sohn mit Telefonaten. Fast täglich kam ein Anruf. Bald ging ich dazu über, einfach aufzulegen, wenn er mich anrief. Ich hätte am liebsten den Telefonstecker gezogen, aber im Gegensatz zu vielen Altersgenossen bin ich aktiv und telefoniere gerne mit Freunden. Herr Heine hatte bald genug Ablehnung erfahren und belästigte mich fortan nicht mehr. Doch wie sich herausstellte, sollte die Ruhe nur kurz andauern.

Vor einer Stunde, kurz bevor ich zu Bett gehen wollte, stand mein Sohn vor der Tür. Es hatte den ganzen Abend geregnet, sodass er völlig durchnässt und bibbernd um Einlass bat.
"Na, du Nichtsnutz!", begann ich giftig das Gespräch, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. "Was willst du, Sohn?", fragte ich kaum freundlicher.
"Was werde ich wohl wollen? Ich habe 300 000 Euro Schulden", nuschelte Hugo, "Und die Anwaltskosten sind noch gar nicht mitgerechnet". Er schüttelte den nassen Kopf und schaute beschämt zu Boden.
"Ich verstehe ja, dass du Probleme hast. Ich würde dir helfen, wenn wir so das eigentliche Problem lösen würden. Aber du bist ein elender Spieler! Wenn ich dir Geld gebe, verspielst du es doch nur. Genau deshalb erbt deine Schwester - und nicht du - im Falle meines Ablebens alles!" Damit war Hugos Wille offenbar gebrochen. Er gab klein bei.
"Was soll ich denn dann machen?", fragte er verzweifelt.
"Wem schuldest du das Geld eigentlich, Junge?", wollte ich wissen.
"Ähm..." Weiter kam er nicht. Es klingelte an der Tür. Obwohl mir mein Sohn warnende Blicke zuwarf, öffnete ich die Tür.
Mit Gewalt zwängten sich sofort zwei Unbekannte durch die Tür, schubsten mich derart grob beiseite, dass ich fiel, und gingen auf meinen Sohn los. Sofort ergriff mich Panik. Fremde in meinem Haus! Die zwei sahen nach Geldeintreibern aus: groß, kahl und böse. Hilflos musste ich zuschauen, wie der Größere meinen Sohn am nassen Kragen hochzog, ihm mordlustig in die Augen schaute und mit feuchter Aussprache rief: "Wo is ditt Jeld, Hugo! Wo issit? Meine Jedult is am Ende!" Lieblos warf er meinen Sohn zu Boden, nur um ihn gleich wieder am Kragen hochzuziehen und zu schütteln. "Hättest jar nich weglofen brauchn. Und denn noch bei deinem Altn versteckn, wa? Ditt haste dir aba schlecht überleecht!" Erneut warf er Hugo, der mittlerweile aus der Nase blutete, zu Boden. "Ick glohb langsam, dass de ja kehn Jeld hast, Mann!" Das Verhalten der Geldeintreiber brachte mich fast um den Verstand. Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Aber nun ging es offensichtlich um Wichtigeres und es wurde Zeit, mich in die Unterhaltung einzumischen.
"Meine Her..", begann ich. Der Rest blieb mir im ausgetrockneten Hals stecken.
"Meine Herren!", begann ich erneut, diesmal hörbar, "So geht das aber nicht! Sie platzen hier einfach herein u..."
"Halt die Fresse, Mann! Mit dir beschäftijen wa uns späta!"
Das kränkte mich. Sowas hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Entrüstet griff ich in meine Hosentasche und beförderte eine alte Luger ans Tageslicht, die mir wegen meiner schweißgebadeten Hände fast entglitt. Letztlich gehorchte sie mir jedoch. Trotzdem wusste ich nicht, ob die Waffe geladen war oder überhaupt funktionierte.
"Meine Herren! Jetzt ist Schluss!", rief ich keuchend, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die beiden Schläger hielten inne. Ich winkte wild mit der Waffe und sie ließen von meinem Sohn ab. Was dann gesprochen wurde verstand ich nur zum Teil.
"So wah ditt aber nich jeplant", flüsterte der Kleine zu Hugo.
"Ja, ja. Ich weiß", raunte der zurück, "Aber macht nichts. Verschwindet besser!"
"Ok."

"Was redet ihr da?", krächzte ich. Was hat Hugo mit diesen Gaunern zu besprechen?
Bevor ich mir Gedanken dazu machen konnte, rannten die beiden Gauner plötzlich zur Tür.
"Datt nächste Mal biste fällig! Kannste wissn!", rief der Kleine zu Hugo bevor sie das Weite suchten. Hugo blieb vorerst blutend am Boden. Angstschweiß schien sein neuer Vorname geworden zu sein. Mir ging es auch nicht blendend. Zitternd legte ich die Waffe weg, ging zu meinem Sohn und setzte mich auf den Boden.
"Das war knapp an der Grenze, Hugo", sagte ich schnaufend.
"Ich weiß", gab er zu. "Tut mir leid"
"Jetzt siehst du hoffentlich endlich, wohin dich deine Glücksspielerei bringt! Willst du etwa früher unter die Erde kommen als dein Vater?" Hugo war klug genug, auf meine rhetorische Frage nicht zu antworten. Währenddessen hatte ich eine Entscheidung gefällt:
"Also gut, Sohn. Ich werde für dich das Haus verkaufen!"
"Das würdest du echt tun?", fragte Hugo überrascht.
"Nach dieser Show bleibt mir ja wohl keine andere Möglichkeit. Das Leben meines Sohnes ist wichtiger als das Haus."
"Wahnsinn!", rief Hugo, "Das ist genial! Dann verspreche ich dir auch, dass ich die Finger vom Spielen lasse! Ehrenwort."
"Gut. Ich muss nur noch das Testament ändern lassen. Denn im Moment geht das Haus an deine Schwester, mit der du dich ja so schlecht verstehst. Wir sollten uns also be..."
...

Weiter kam ich nicht. Mein Herz versagte zum zweiten Mal seinen Dienst. Ich ging wieder zu Boden, ganz ohne Fremdeinwirkung.
"Hugo ...", keuchte ich unter großer Anstrengung, "Hugo! Mein Herz! Ruf den Krankenwagen ..."
Hugo stand vor mir, schaute mich mit großen, glotzenden Augen an und machte erstmal nichts. Dann raufte er sich plötzlich die Haare. Offenbar realisierte er langsam, was passiert war. Mit einem kurzen Schrei rannte er los und suchte das Telefon. Wahrscheinlich würde er es nicht finden, der Trottel.
Egal, mein Leben war lang genug. Andererseits hatte Hugo nun keine Möglichkeit, das Erbe anzutreten, denn der Besitz ging nun endgültig an meine Tochter Elise.
"Wo ist dein verdammtes Telefon?", schrie Hugo vergebens. Ich konnte ihn nicht mehr sehen und auch nicht mehr antworten, weil mir schwarz vor Augen wurde.
"Wenn du das Testament nicht änderst", schrie er weiter, "... dann bekommt Elise alles und macht aus dem Haus so ein Drecks-Wellness-Center. Das kannst du nicht wollen! Also wach auf!"
Meine Sinne schwinden...
"Verdammt, nicht einschlafen!", ruft Hugo. Den Rest verstehe ich nicht mehr. Soll Hugo selbst sehen, wie er seine Probleme lösen kann. Ich bin fertig mit der Welt ...

 

Wenn ich Recht hab, musst du ne Geschichte meiner Wahl von mir kommentieren, ok?
Ihr habe recht, alle beide. Na denn, ihr habt jetzt also einen "Kommentarbonus" bei mir.

 

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