Niemals Erster sein
Mit zügigen Schritten eilte Paul die Stufen die Treppen des Hotels hinauf. Seine Waffe hielt er dabei mit angewinkelten Armen schussbereit vor seinem Körper, ohne jedoch beim laufen bestimmte Objekte zu fixieren. Seine Augen hatten jetzt nur eine Aufgabe, bei der kleinsten wahrzunehmenden Bewegung in seiner Umgebung ein sofortiges Handeln zuzulassen. Genauer gesagt, präzise und ohne Verzögerung einen gezielten Schuss abzufeuern.
Paul nahm langsam die letzten Stufen bis zur 3 Etage. Hier wurde das Mistschwein zuletzt gesehen, ging es im durch den Kopf. Er erinnerte sich kurz an die Zurufe der in Panik versetzten Personen unten in der Empfangshalle. Die Halle hatte er im Prinzip in 3 Sekunden durchschritten, um keine Zeit zu verlieren. Jetzt, wo er so dicht an ihm dran war, musste er diesen Bastard erwischen. Dieser unglaublich brutale Killer hatte in den letzten beiden Tagen die Kontrolle über die städtische Leichenhalle übernommen. Es wurden stündlich neue, zum Teil sehr schlimm zugerichtete Opfer eingeliefert. Die Zeit war für die Ermittlungsbehörden zu kurz, um eine etwaige Vorgehensweise zu erkennen. Aber eines war absolut sicher, der Kerl war ein Profi der schlimmsten Art.
Paul stand ruhig auf den letzten beiden oberen Stufen der Treppe und versuchte, seine Atmung langsamer werden zu lassen. Sein Blick war unbestimmt auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, wobei er versuchte, ein verräterisches Geräusch in seiner Umgebung wahrzunehmen. Der Gang zu den Zimmern in der 3 Etage des Hotels ging rechts und links von der Treppe ab. Paul hörte das Stimmengewirr unten in der Empfangshalle, konnte jedoch keinerlei Geräusche aus der Etage vor ihm wahrnehmen. Er registrierte kurz die starke Anspannung in seinem Körper und zwang sich daraufhin, beim ausatmen die Muskeln etwas zu lockern. Bleib geschmeidig Junge, sagte er in Gedanken zu sich und nahm einen kleinen Spiegel aus seiner Jackentasche. Er hielt ihn vorsichtig am Boden um beide Ecken um sich einen ersten Überblick über die Situation zu machen. Er konnte zwei Personen am Boden liegen sehen. Vermutlich waren sie tot.
Nachdem was er sehen konnte, waren wohl 6 Zimmer auf jeder Seite des Ganges, welche jeweils mit Türen gegenüberliegend angeordnet waren. Die beiden am Boden liegenden Personen befanden sich auf der linken Seite des Ganges. Die Zimmer auf der linken Seite würden somit zuerst von ihm untersucht werden. Paul hielt seine Waffe wieder mit angewinkelten Armen in kurzer Distanz vor sein Gesicht und bewegte sich zügig den ersten beiden Zimmertüren entgegen. Beide waren zu. Die erste Person lag auf dem Bauch in der Mitte des Ganges vor ihm. Es war ein dunkelhaariger, etwas dicklicher Mann. Das weiße Hemd war auf dem Rücken mit Blut durchtränkt. Sein Gesicht lag ebenfalls in einer Blutlache. Paul schluckte schwer und jetzt konnte er sein wild pochendes Herz deutlich spüren. Ihm wurde leicht schwindlig und kurz füllte er sich wie von einer Luftblase umschlossen. Sein Herzschlag donnerte mit Dampfhammerstößen und drohte, seinen Brustkasten zu sprengen. Er wird dich hören und töten. Er wird dich hören und töten. Er wird dich ... . Paul schüttelte kurz den Kopf und damit das Gefühl und die innere Folterstimme ab.
Er erreichte jetzt die nächsten beiden Türen, auch diese waren verschlossen. Die zweite am Boden liegende Person war ebenfalls ein Mann. Schwarze Haare, schwarzer Mantel und schwarze Hose. Diese Person lag ebenfalls mit dem Rücken nach oben kurz vor der gegenüberliegenden Wand. Jetzt war zu sehen, dass eine der letzten beiden Türen offen stand. Wieder hielt Paul den Spiegel kurz am Boden um die Ecke, es war in dem Zimmer jedoch keine Bewegung auszumachen und auch nichts Genaueres zu erkennen. Jedoch lag ein etwas seltsamer Geruch in der Luft. Ähnlich dem eines durchgebrannten Kabels. Er betrat vorsichtig das Zimmer, wobei ihm der stärker werdende Geruch leichte Übelkeit bereitete. Das Zimmer war abgedunkelt, so das alles erst schemenhaft zu erkennen war. Ganz langsam fügten sich die vorherrschenden Schatten jetzt zu einem Bild zusammen. Der Anblick löste einen stechenden Schmerz in Pauls Magengegend aus. Er sah den Körper eines Mannes, der sich bis auf seine Boxershorts entkleidet im Zimmer befand. Der Hinterkopf des Mannes war zu erkennen. Das Gesicht und ein weiterer Teil des Schädels befanden sich im Fernsehgerät des Zimmers. Blut lief an seinem Körper herab und hatte schon einen Teil des Teppichs durchtränkt. Das Gesicht von Paul verzog sich zu einer angewiderten Grimasse. Offensichtlich wurde sein Kopf bei eingeschaltetem Gerät hineingeschleudert, weshalb es stark verbrannt in diesem Zimmer roch. Die Blutergüsse an weiteren Stellen seines Körpers ließen auf eine nicht weniger brutale Vorbehandlung schließen. Paul atmete zweimal tief durch und wandte sein Blick ab in Richtung des Badezimmers. Die Tür stand leicht offen und ein schmaler Lichtschein war zu erkennen. Seine Sinne waren inzwischen bis aufs äußerste gereizt, so dass er das leise Surren der Badezimmerbeleuchtung hören konnte. Was ist, wenn er jetzt noch im Badezimmer ist, schoss es ihm durch den Kopf. Er fühlte, wie er jetzt der Panik sehr nahe war. Unfähig, sich zu bewegen oder einen klaren Gedanken zu fassen. Er blickte starr auf die Badezimmertür.
Zwei Augen öffneten sich. Aus dem Dunkel wurde die Struktur eines grauen Teppichs, welcher sich entfernte, kippte und sich in das Bild eines Ganges einfügte. Von dem Gang gingen beidseitig Türen ab und auf dem Teppich zeichnete sich eine dunkelhaariger, dicklicher Mann ab, dessen Hemd auf der Rückseite blutig war.
Pauls aufsteigendes Panikgefühl formte sich zu einem bohrenden Schmerz in seinem Nacken. Diese Schmerz machte ihm klar, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Seinen letzten Fehler. In Bruchteilen von Sekunden erkannte er, dass er nicht mehr jagte, sondern jetzt zum Jagdopfer wurde. Er fühlte deutlich, dass jemand hinter ihm war und plötzlich wußte er auch, wer es war. Die zweite Person im Gang war nicht tot, sondern dieser teuflische Vollstrecker.
Eine kalte, kratzige Stimme, die laut zu flüstern schien, schlich in seine Ohren. „Merk dir was Bulle: Niemals Erster sein“. Blitzartig setze Paul zur Drehung an, doch sein Körper führte die Bewegung nicht zu Ende. Die fünf abgefeuerten Todesboten zerfetzten seine Eingeweide und rissen ihn nach hinten durch die Badezimmertür. Sein Körper schlug blutig auf den weißen Fließen auf.
Die schwarze Gestalt hinterließ einen leeren Raum und bewegte sich bereits zum Dach des Gebäudes.