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Nierenproblem
Nierenproblem
Ihr Vater tauschte Nieren gegen Frauen. Den Eindruck konnte man tatsächlich haben!
Die Hand, mit der sie sich den Telefonhörer gegen die Wange hielt, wurde langsam heiß.
"Nein", sagte sie, "keine Schmerzen."
"Genau, die zweite Niere ist weg beziehungsweise kommt weg." Dass sie dieser Frau immer alles zweimal sagen musste.
"Natürlich. Natürlich kann man ihn besuchen. Das heißt ..." Ariadna stockte. Wenn diese Ingeborg ihren Vater besuchte, dann konnte sie Susanne begegnen, mit unabsehbaren Konsequenzen.
"Am besten ist es, Sie besuchen ihn am Nachmittag. Vormittags ist zuerst Visite, dann waschen und so." Ariadna wusste nicht genau, wie der Tagesablauf ihres Vaters wirklich war. Aber entscheidend war, dass diese Ingeborg nicht Susanne begegnete. Und Susanne hatte Dienst am Nachmittag.
Ariadna legte auf. Gut hatte sie das gemacht! Geschickt hatte sie die beiden Frauen voneinander ferngehalten, und ihrem Vater eine Menge Ärger erspart.
Seltsam war nur, dass es diese Ingeborg überhaupt gab. Ariadna hatte von ihrem Vater noch niemals etwas von einer Ingeborg gehört. Und nun hatte sie angerufen und sich nach Detlef Gernlebber erkundigt. Natürlich hatte Ariadna nachgefragt, wer sie war. Und da war diese Ingeborg ins Stottern gekommen.
"Wir sind ... wir sind ... Sie sind wahrscheinlich die Tochter, ja? Wir sind sozusagen ..."
Diese Stimme! Ingeborg klang ziemlich überkandidelt, fand Ariadna. Die Frau passte nicht zu Papa. Nun, das war nicht Ariadnas Sache.
Ariadna merkte, dass ihre Hand noch immer auf dem Hörer lag. Sie zog sie schließlich weg und stützte die heiße Wange darauf.
Ingeborg und Susanne, dachte sie, Susanne und Ingeborg. Das geht doch nicht zusammen. Das geht doch nicht gleichzeitig. Und was hatte sie getan? Sie hatte seltsame Lügen verbreitet gegen das Zusammentreffen der beiden Geliebten. Sie beschützte ihren Vater. Sie, mit sechzehn Jahren, beschützte ihren Vater. Sie, das Nesthäkchen, die letzte, die noch zu Hause wohnte. Wie kam sie dazu? Und noch dazu bei dem Scheiß, den er immer baute?
Ariadna stand auf und ging hinüber in die Küche, griff nach einem Apfel und biss hinein. Sauer. Sie zog eine Grimasse und überlegte kurz, ob sie den Bissen ausspucken und den Apfel einfach wegwerfen sollte. Aber nein, in ihrer Erziehung gab es arme Kinder in Afrika. Und ihr Vater? Der hatte genug Geld, sollte vielleicht auch mal denken, an die Leute da. Manchmal verkaufen die sogar ihre Nieren, um Geld zu kriegen.
Ihrem Vater ging es schon wieder etwas besser. Er erholte sich von der Operation. Nur hatte er nun gar keine Niere mehr. Wann war das mit der ersten Niere passiert? Jedenfalls nach dem Tod von Ariadnas Mutter. Und vor Susanne. Aber nur kurz vorher. Ja, von der ersten Niere hatte er sich verabschiedet, als Susanne gekommen war. Und jetzt, wo die zweite weg war, tauchte diese Ingeborg auf. Es wurde immer schlimmer.
Ariadna schlang den letzten Apfelbissen hinunter und warf den Stängel in den Biomüll. Sie aß Äpfel immer ganz auf, mitsamt Gehäuse. Die armen Kinder in Afrika, die reichen Gernlebber-Töchter.
Ihr Entschluss stand fest. Sie zog ihre Schuhe an, suchte eine Trambahnkarte und verließ das väterliche Reihenhaus. Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt kam sie im Krankenhaus rechts der Isar an und ging zu ihrem Vater.
"Das geht dich nichts an", sagte er, vom angewinkelten Kopfende des Bettes her.
"Wie bitte?" Ariadna schlug sich die flache Hand vor die Stirn. "Bin ich deine Tochter oder nicht?"
"Was hat denn das damit zu tun?"
Ariadna schüttelte den Kopf. Wie konnte er so ignorant sein?
"Sehr viel", antwortete sie. "Du hast so viel Frauen wie Finger. Ich weiß gar nicht mehr, ob Mama wirklich meine Mutter war."
"Natürlich war sie deine Mutter."
Ariadna schlug vor Aufregung mit der flachen Hand auf das rollbare Wägelchen, das als Nachtkästchen diente. "Und wer ist mein Vater?", fasste sie nach.
"Jetzt wirst du aber wirklich komisch. Was ist denn mit dir?"
"Mein Vater ist so toll, dass ihm eine einzige Frau nicht mehr reicht."
"Ariadna, jetzt gehst du zu weit."
"Eine Frau hat jeder, das ist ja langweilig. Du brauchst zwei. Oder sind es schon drei?"
"Jetzt hör damit auf und sag mir lieber, was du Ingeborg gesagt hast."
Ihr Vater stützte sich auf und sah sie gespannt an.
"Ich hab schön brav alles in Ordnung gebracht. Susanne arbeitet am Nachmittag, also hab ich Ingeborg gesagt, sie soll nicht vor eins kommen."
Sein Oberkörper fiel erleichtert auf das Bett zurück.
"Gut gemacht, Ariadna."
"Ja, alles ist im Lot. Du hast keine Niere mehr, aber dafür zwei Frauen. Ich bin allein zu Haus, aber langweilig wird mir nicht, ich kann ja Intrigen schmieden, damit die Flittchen von meinem Papa sich nicht begegnen."
Ariadnas Vater lachte.
"Da gibt es nichts zu lachen. Nächstens muss ich dir noch eine Nutte ans Bett bringen."
"Gute Idee", sagte Papa, "die Schwestern hier sind sowieso nicht das, was man sich so wünscht."
Ariadna reichte es und sie wusste auch nicht, was sie noch sagen sollte. Sie stand auf und knallte die Tür hinter sich zu. Ihr Vater hatte keine wirklichen Gefühle für seine Frauen, da war sich Ariadna sicher. Nur ganz dünne Gefühle, so dünn wie die Haut auf der Milch.