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Nimm mir eines meiner Augen
Es war einmal ein Bauer. Er war nicht besonders reich und auch nicht besonders schlau, aber das waren die anderen Bauern im Dorf auch nicht. Das Leben war ein ruhiger Fluß, einzig das Wetter brachte etwas Abwechslung hinein. Je nach Wetter fiel die Ernte mal üppig mal weniger üppig aus, doch das war nicht wirklich von Bedeutung, die dann fallenden oder steigenden Marktpreise für ihre Produkte trafen alle Bauern gleichermaßen, und beim Dorfwirt, nach dem Kirchgang, konnten sie sich immer wieder gegenseitig bescheinigen, wie ungerecht die Welt sei, ihnen die harte Arbeit und die ewige Ungewißheit, wie es mit dem Wetter sein würde, nicht entsprechend zu lohnen.
Eines Tages jedoch, es war Montag und tiefster Winter, traf unser Bauer im Wald eine Frau, die sich im hohen Schnee offenbar verlaufen hatte oder nur nicht schnell genug weg konnte, als der Bauer mit seinem Traktor angerast kam – sie hatte wohl den technischen Fortschritt unterschätzt. Trotz Kälte war sie nur in eine Art Schal gewickelt, an mehr als einer Stelle schimmerte ihre weiße Haut durch den dünn gewebten, durchsichtigen Stoff, von ihren nackten Schultern und Armen ganz zu schweigen. Barfuß stand sie im Schnee, den Bauern verschmitzt anlächelnd.
Dem war seine Überraschung anzusehen, kein Wort konnte er herausbringen, starrte sie nur an und war gerade noch fähig, den laut tuckernden Motor abzustellen. Als ob sie sich der Wirkung ihrer Blöße eben erst bewußt geworden wäre, zog sie sich züchtig den Schal etwas enger um die Brust, setze ein bezauberndes Lächeln auf und sprach ihn mit engelsgleicher Stimme an:
„Ach, lieber Mensch, könntest du mir bitte aus diesem tiefen Schnee helfen und nach Hause bringen?“
Der Bauer sagte trotz seines offenen Mundes nichts. Er war für seine Verhältnisse schon viel herumgekommen in der Welt, aber einer so wundervollen Frau war er weder in der Kreisstadt, noch im fernen München begegnet, wo er einmal zum Oktoberfest weilte und mit seinen Kumpels ein Bordell besuchte.
„Aber … aber natürlich!“, brachte er schließlich hervor und wollte vom seinem Traktor steigen, als sie plötzlich schon neben ihm auf dem Kotflügel saß.
„Danke, lieber Mensch, für deine Hilfe.“
„Aber … aber ich habe doch gar nichts … ich meine, ich …“
Er verstummte. Sie war dabei, ihre, offenbar während des Sprungs auf den Traktor in Unordnung geratene Kleidung so zu drapieren, daß die strategisch wichtigsten Stellen ihres Körpers wieder bedeckt waren. Als sie das zu ihrer Zufriedenheit geschafft hatte, blickte sie ihn wieder an. Schmunzelnd.
Und er fühlte sich ertappt, fast wäre er rot geworden.
„Wo soll’s hingehen?“, fragte er schnell, damit seiner Scham Einhalt gebietend.
„Nirgendwohin. Das ist nicht mehr nötig, dein guter Wille genügt mir“, sagte sie mit einem Lächeln, das ernster war als vorhin, „Du hast dir eine Belohnung verdient und hast einen Wunsch frei.“
Dem Bauer verschlug es erneut die Sprache. Eine Fee! Eine Fee wie aus dem Märchen und doch echt. Er sah ihren roten Mund, er sah ihren Busen, wie er sich bei jedem Atemzug hob und senkte, er sah ihre Hände auf dem Schoß liegen, wie zu einem Gebet gefaltet.
„Einen Wunsch? Egal welchen?“, sagte er schließlich, ohne seinen Blick zu heben.
„Ja, ich mache alles, was du willst. Aber ich muß dich warnen: Bei deinem Nachbarn werde ich es zweimal machen.“
Mir egal, dachte der Bauer, was geht mich mein Nachbar an!
Sein erster Gedanke war, sie zu ficken. Auf der Stelle. Fee oder nicht, wann bekommt man schon so ein Weib vor die Flinte! Mit seinem Blick versuchte er den sie umschwebenden Schleier zu durchdringen, doch mehr als eine steife Brustwarze, die sich durch den dünnen Stoff deutlich abzeichnete, konnte er nicht erspähen. Schon wollte er ihr den Fetzen herunterreißen, als er plötzlich innehielt. Was für ein Unsinn! Er kann sich doch hundert, nein tausend solche Frauen wünschen! Auf der Stelle! Nein, das ginge nicht, wo sollte er sie alle hintun? Er mußte doch zurück zur Frau und Kindern, die sollten auch was davon haben, nicht?! Am besten wäre es wohl, sich Geld zu wünschen. Dann könnte er wöchentlich nach München fahren und sich jedes Mal die beste Hure der Stadt kaufen. Und das wäre ja nur ein Nebeneffekt, er könnte sich mit dem Geld endlich einen neuen Stall bauen, in dem natürlich nicht mehr zwanzig Kühe wie jetzt, sondern hundert stünden. Oder …
Scheiße! Er hatte den Nachbarn vergessen. Gäbe die Fee ihm hundert Kühe, dann müßte sie dem Nachbarn zweihundert geben. Nein, nein, das ginge dann doch zu weit! Und mit dem Geld wäre genau das Gleiche – der Nachbar bekäme immer das Doppelte. Scheiße, scheiße, scheiße! Und das für nichts und wieder nichts! Was hatte dieser Nachbar schon geleistet, hm? Also doch die Gute hier flachlegen? Es konnte ihm doch egal sein, ob der Nachbarn sie auch bekam, er wäre der Erste, sie war sicher noch Jungfrau, so jung wie sie aussah? Wann hatte er zuletzt eine Jungfrau gehabt? In der Hochzeitnacht, genau, seine Frau, die Züchtige, hatte ihn vorher nicht rangelassen. War ohnehin nur ein kurzes Vergnügen damals, und das würde auch heute nicht anders sein. Mist, ein Fick von einer Viertelstunde, was war das schon! Auf einmal reute es den Bauern, eine solche Gelegenheit fast ungenützt vorbeigehen zu lassen. Verdammt noch mal, konnte er sich nicht etwas wünschen, das von Dauer wäre und gleichzeitig nicht dem Nachbarn zugute käme?! Etwas, das nur ihm Vorteil brächte? Wenn er schon verzichten mußte, dann sollte der Nachbar auch verzichten müssen. Jawohl!
Verzicht? Wie wäre es, wenn er auf irgend etwas verzichtete? Dann müßte der Nachbar das auch, und zwar auf die doppelte Menge! Der Bauer ging im Geiste durch all seinen Besitz und den seines Nachbarn, was gar nicht schwer war, sie wußten ja alles voneinander, den Stammtischgesprächen sei Dank. Und wie nicht anders zu erwarten, er fand gleich das Passende: Die Kühe. Beide hatten zwanzig Kühe. Und wenn ihm die Fee zehn Stück davon wegnähme, dann müßte sie dem Nachbarn alle wegnehmen! Mann! Daß er nicht gleich daran gedacht hatte! So wird dieser glückliche Zufall nur ihm und seiner Familie etwas bringen.
„Ich möchte, daß du mir zehn Kühe wegnimmst. Geht das?“
„Sicher geht das“, sagte die gute Fee, „Wenn du nach Hause kommst, sind die nicht mehr da.“
Sie lächelte dabei wie schon die ganze Zeit und schien nicht bestürzt zu sein ob seines verschlagenen Wunsches. Er konnte nicht wissen, daß sie Schlimmeres gewohnt war – beim letzten Mal, vor tausend Jahren, hatte ein Mensch noch zu ihr gesagt: „Nimm mir eines meiner Augen.“