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Nothing

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18.01.2010
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Nothing

Sie liegt auf dem breiten Bett, in dem sie alleine verloren wirkt und versucht ihren Atem anzuhalten, um sich gar nicht mehr zu bewegen. Sie sieht an die Decke und betrachtet den grauen Fleck, wo der Putz abblättert.
Als ihr die Luft langsam ausgeht, presst sie die Fäuste in die Matratze und kneift die Augen zusammen.
Nicht mehr atmen. Leblos sein. Tot sein.
Sie spuckt die alte Luft aus, zieht frische ein und presst auch diese wieder hinaus. Als sich ihr Atem beruhigt hat, wiederholt sie alles.
Nicht mehr atmen. Keine Erinnerung mehr haben.
Und dann noch einmal.
Nichts mehr spüren.
Und noch mal.

Am Ende weint sie doch.

*

Zum Abschied hatte er ihr noch zugewinkt. Dann war er abgebogen, um die Ecke zum Bus.
Julia wollte ihm nachgehen, sie wollte ihm jeden Tag nachgehen, ihn noch einmal an sich heranziehen, ihre Hände unter seinen Pullover schieben und ihm einen Kuss auf die Stirn geben. Ihm sagen: „I love you, you know?“
Sie lief ihm nie nach. Sie blieb sitzen und sie trank ihren Kaffee und betrachtete die Laterne, die grau und hässlich und nahezu perfekt in der Mitte vor ihrem Küchenfenster emporragte.

*

Ganz leise nur laufen ihr Tränen übers Gesicht und sie rollt sich auf die Seite, um ihr Gesicht in ihre eigenen Arme zu nehmen und sich vor Blicken zu verbergen, die nicht da sind. Niemand ist da.
Es ist ganz still und nur ihr schmaler Körper bebt, als dürfte es niemand merken. Niemand.

*

Sie ging immer zuerst die Straße hinunter, bog nach links in die Seitenstraße ein, wo sie sich in der Bäckerei eine Packung Milch kaufte und eine helle Semmel, dann erst nahm sie den Weg zurück, die Straße hinauf, bis zur Straßenbahnhaltestelle, wo sie wartete und während sie wartete die vorbeifahrenden Fahrräder zählte.

*

Sie drückt ihr Hände zwischen die Beine, um die Kälte zu unterdrücken, die an ihr hochkriecht. Unbewusst presst sie ihre Backenzähne aufeinander, bis ihre Wangenknochen zu schmerzen beginnen.
Sie zittert, doch die Bewegung bis zur Bettdecke ist ihr zu viel. Sie will sich nicht rühren, sie will in der Wolke bleiben, in der sie sich befindet, nie wieder etwas anderes wahrnehmen.

*

Er bog immer in die Hauptstraße ein. Am Kippenautomat hielt er und ließ sich eine Packung Lucky Strike raus, egal, ob er noch welche hatte oder nicht. Er riss die Packung auf und zündete sich eine im Gehen an.
Er sog den Rauch ein, als hinge sein Leben davon ab, im hinteren Mundraum behielt er ihn für einen Moment im Mund und versuchte eine Substanz wahrzunehmen, als wollte er den Rauch essen. Er blies aus und spuckte. Er machte das tatsächlich jeden Morgen auf genau dieselbe Art und Weise.
Für eine Kippe reichte der Weg, für die Zweite musste er noch vor der Bürotür stehen bleiben.

*

Irgendwann schläft sie ein, in einen flachen Schlaf, der sie müder aufwachen lassen wird, als sie einschläft.
Der Tag verschwindet währenddessen langsam vor dem Fenster, dreht sich weg von ihr, als lasse auch er sie allein. Die Dämmerung drängt durch das Licht, zieht herauf, die dunkle, kalte, einsame bedrohliche Nacht hinter sich herziehend.
Unbewusst dreht sie sich und greift nach der Federdecke, hüllt sich ein darin und verschwindet.

*

Pünktlich um zehn Minuten vor acht stieg sie jeden Tag in die Bahn, Richtung Innenstadt, nur drei Stationen. Am Marktplatz stieg sie aus und schlenderte zur Uni. Sie hörte Vorlesungen zur angewandten Ethik, vergleichender Literaturwissenschaften und neuerer Geschichte. Siebtes Semester.
Er machte sich manchmal lustig über diese „schnöde Theorie“, die niemandem etwas bringt. Sie lächelte ihm zu.

*

Meistens war er schon da, wenn sie kam. Sie versuchte immer, die Zeit an der Uni zu nutzen. Wenn sie abends heimkam, war sie müde und oft gereizt. Meist konnte sie dafür keinen Grund nennen.
Er schwieg und kochte ihr Tee.
Manchmal, nach dem ersten Schluck, wenn sich ihre Züge entspannten und sie mit den Füßen ihre Schuhe abstreifte, strich er ihr übers Haar. Ganz selten küsste er sie.

*

Sie wacht auf. Ihr T-Shirt und ihre Haare kleben ihr am Körper. Sie schwitzt und in ihrem Kopf hämmert es.
Draußen ist es dunkel und still. Drei Uhr glaubt sie. Mühsam öffnet sie das Fenster, steht auf, nimmt sich ein Glas Wasser und tritt auf die kleine Terrasse.
Das Feuerzeug leuchtet kurz auf. Sie zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch in die blauschwarze Nacht hinein, versucht, ihre zitternden Hände zu ignorieren. Als sie die Kippe in einem Blumentopf ausdrückt, merkt sie, dass sie wieder weint.

*

Er rauchte immer diese beiden Kippen, dann begann er, zu arbeiten. Sein Chef sah es ungern, doch konnte er nichts dagegen machen. Niklas etwas ausreden zu wollen, war schon fast größenwahnsinnig und wenn sein zeichnerisches Talent nicht derart entwickelt gewesen wäre, hätte er ihm schon am dritten Tag gekündigt. Er ließ ihm die zwei Kippen, weil er wusste, dass seine Arbeit doppelt so gut war, wie die der beiden anderen.
Niklas war still, ruppig, selten witzig und dickköpfig. Er hatte halblanges, dunkles Haar, das er sich gedankenverloren hinters Ohr zu streichen pflegte, wenn er nachdachte.

*

Sie liegt im Bett, zieht die Decke heran und schiebt sie im nächsten Moment von sich. Sie dreht sich auf die Seite, bemüht die Augen geschlossen zu halten, dann dreht sie sich auf den Rücken, die geöffneten Augen auf nichts gerichtet.
Niklas lag immer auf der äußersten Kante des Bettes. Er hatte ¼ des Bettes und ihr blieb der Rest.
Er liebte es nicht, wenn sie ihn nachts umarmte oder mit den Zehen zu kitzeln versuchte. Aber manchmal, wenn die schlief, stützte er seinen Kopf auf der Hand auf und beobachtete sie.
Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht oder legte seine Hand an ihre Wange.
Wenn Julia davon aufwachte, lächelt er. Sie lächelte zurück. Dann fanden sie sich im Dunkeln und ihre Nähe war ihm nicht zu nah.

*

Julia fühlt ganz deutlich seine Hand an ihrer Wange. Sie zwingt sich, ihre Augen geschlossen zu halten, um ihn nicht zu verlieren. Sie weiß, er ist da, sie spürt ihn, sie sieht ihn schon lächeln.
Sie will seine Hand greifen, auch lächeln, ihn küssen, ihn spüren, ihn an sich ziehen
Sie presst die Augen zusammen. Sträubt sich, die zurückkehrende Erinnerung anzunemen. Hält sich an ihrem Traum fest. Als sie sich ergibt, ist die Leere so selbstverständlich wie erdrückend.

*

Samstags oder abends gingen sie manchmal am Fluss spazieren oder gemeinsam zum Einkaufen. Sie erzählte ihm, er hörte zu. Und sie sprach und plapperte und er, Niklas, schmunzelte gelegentlich in sich hinein, bei dieser Anhäufung von utopischer Lebensvorstellung, die Julia gerade vor ihnen beiden entfaltete. Dann sagte er nichts, um sie nicht zurückzuweisen, freute sich an ihr und wusste, ihre Träume konnten nicht wahr werden.

*

Einmal stritten sie heftig.
„Du nimmst mich nicht ernst“ rief sie erbost. „Ständig dieses erhabene Lächeln, wenn ich dir erkläre, was ich erreichen will. Immer nur nicken, aber nie etwas tun wollen dafür. Was erwartest du vom Leben? Immer in diesem mickrigen Büro versacken von Montag bis Freitag und samstags ins Kino? Ohne mich, nein danke!“
Am Ende weinte sie, weil sie das Schimpfen so ermüdet hatte.
Er strich ihr sanft über den Arm. Suchte tapsige Worte, um ihr nahe zu kommen.
In Wahrheit war er glücklich. Er wollte nicht mehr als sie, seinen Schreibtisch im Büro und diese zwei Kippen, morgens. Er war glücklich. Sie auch, aber sie vergaß es oft.

*

Als der Morgen graute, schlief sie ein. Traumlos.

*

Sie hatten sie angerufen, dass sie ins Krankenhaus kommen soll. Er hatte einen Unfall. Auf dem Weg zur Arbeit hatte ein Autofahrer ein Motorrad übersehen. Es flog aus der Fahrbahn. Niklas war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.
Sie solle schnell kommen.
Sie rannte, ohne zu denken, verstand nichts, hielt alles für leeres Gerede, Worthülsen ohne Inhalt, einen Scherz womöglich, eine Verwechslung bestimmt, nichts Ernstes, … bis sie ihn sah.

*

Als sie mittags aufwacht, erkennt sie die Welt nicht. Sie starrt Minuten aus dem Fenster, steht irgendwann auf, raucht Niklas letzte Kippe zu dem kalten Kaffee des Vortags. Sie sitzt da, denkt an die unnütze Theorie ihrer Ethikvorlesungen, überlegt, was sie einkaufen soll, tut nichts, verweilt, wartet auf Niklas, weint.
Wenn sie die Augen schließt, sieht sie ihn lächeln, sein unnahbares, verschlossenes, ehrliches Lächeln. Sie beißt sich auf die Unterlippe, bis sie blutet, um einen Schmerz zu erzeugen, der fassbar ist. Einen Schmerz, den sie kennt, nicht so wie dieser, wenn sie Niklas lächeln sieht.

 

Hi!

Also, diese komischen Pünktchen machen das Geschriebene unnötig hässlich, die kannst ruhigen Gewissens raus nehmen. Ehrlich, dass sieht wirklich nicht schön aus:D. Die Geschichte selber hat mich eher enttäuscht. Vielleicht klingt es jetzt makaber, aber ich bin fest von einer Vergewaltigungsstory ausgegangen, doch leider entpuppt es sich als etwas anderes. Na ja, Du hast auch ziemlich diffuse Perspektivsprünge eingebaut, die das Lesen nicht gerade einfacher machen. Sie ist immer gegenwärtig, er immer in der Vergangenheit. Das sollen eben die Erinnerungen an ihn sein, aber dieses ständige springen, dass zerstört die Wirkung.

Gruß,
Satyricon

 

Hallo Johanne!

Erzählen kannst du. Aber vom Aufbau her finde ich die hier nicht gelungen. Dafür, dass du ständig die Perspektive wechselst, ist der Text zu lang und die einzelnen Szenen zu kurz.
Der Effekt, den du dabei erzielst, nutzt sich ab, und irgendwann geht die Stimmung flöten und man fragt sich, wann es denn nun endlich zu Ende geht.

Außerdem ist ja recht klar, was mit dem Mann geschehen ist - dass er also am Ende tot sein wird. Denn sonst hätte sie ja keinen Grund, traurig zu sein.

Wenn die Spannung wegfällt, können nur noch die Sprache und die Stimmung den Leser bei der Stange halten. Wenn aber die Stimmung (aufgrund der Länge) auch wegfällt, wirds eng.

Ich würde dir raten, den Text zu kürzen und ihn spannender zu machen, indem du ihn anders aufbaust. Wenn du das Thema "Verlusterlebnis" thematisieren möchtest, könntest du sie in ihrem Erzählstrang noch nicht wissen lassen, dass er tot ist. Im anderen Erzählstrang wird aber klar, dass er das Ende nicht überlebt.

Dann kann man als Leser darauf gespannt sein, wie sie reagieren wird, wenn sie es am Ende erfährt.

Oder wie auch immer. :)

Bis bald!

yours

 

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