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Nur ein Hut
Er schritt voran. Seine Füsse drehten die Welt in Richtung Ziel. Schwarzes Leder umhüllte die rechte Hand. Die Linke war Vergangenheit, lediglich ein verblasstes Relikt seiner Erinnerung.
Sein Hut war ebenfalls schwarz und tief ins Gesicht gezogen. Er verdeckte den grössten Teil seines Antlitzes.
Nur ein vernarbtes Kinn konnte sich im fahlen Licht des Neumonds gegen das Verstecken wehren.
Hätte sich ein Beobachter getraut länger als einen Moment die Gestalt zu betrachten, wäre ihm unweigerlich die natürliche Imposanz des Mannes aufgefallen. Die ausladenden Schritte schienen jedesmal präzise ein imaginäres Ziel am Boden zu treffen. Seine Arme schwangen trotz des Ungleichgewichts locker neben seiner schlanken Statur. Der schwere schwarze Mantel hatte Mühe schrittzuhalten.
Er schritt voran und ihm folgten unsichtbar unzählige seiner Greueltaten.
Er war bereit.
Sein Name war Henk.
***
Die schwarze Limousine hatte Rot. Bevor die Ampel umsprang war ein herrscherisches „Was ist? Warum geht’s nicht weiter? Habe ich nicht erwähnt, dass die Zeit knapp ist?“ von der Rückbank zu hören.
‚Ja, ja, Arschloch’ dachte Max, der Fahrer der Mietwagenfirma.
“Sorry, aber die Ampel ist rot. Etwas Geduld, gleich geht’s weiter.“ verlies stattdessen seinen Mund.
Solche Fahrgäste mochte Max besonders: Geschäftsmann, übers Wochenende in Prag, kräftig einen draufmachen und währenddessen ständig unhöflich und darauf bedacht den Standesunterschied zu betonen.
‚Was solls, Job ist Job’ beruhigte er sich. Das war immer noch besser, als als arbeitsloser Lehrer auf die Unterstützung des maroden Staates zu hoffen.
Aber am liebsten wäre er ausgestiegen, um das Auto gelaufen, hätte die Tür im Fond geöffnet, den kleinen Scheisser auf die Strasse gezogen und ihn in den Arsch getreten, um ohne ihn weiterzufahren. Aber das war nicht die Wirklichkeit, also wartete er geduldig bis die Ampel die Farbe wechselte.
***
Die letzten Minuten ihrer Qual waren beinahe schon wie eine Erlösung. Die Schmerzen waren so groß, das ihr zarter Körper immer wieder drohte die lebensnotwendigen Funktionen zu versagen. Diese kurzen Momente der Ohnmacht erlösten sie von dem was sie sah, als sie wach war: Die Gestalt hinter der Kamera.
Ihr Hund Dodi lief quer durch die Einfahrt auf sie zu und begrüßte sie überschwenglich. Sie umarmte ihn, drückte ihn, als wolle sie ihm bedeuten:“Du bist ein toller Hund, mein bester Freund.“
Das Gewicht des Golden Retrievers warf sie rücklings auf den Boden und gemeinsam rollten sie das kleine Stück Wiese in Richtung des Hauseingangs herunter. Sie lachte ausgelassen und wenn man Dodi kannte, konnte man erkennen: auch er lachte mit ihr.
Sie schaute hinauf in den strahlend blauen Himmel. Die gleissende Sonne brachte ihre Augen zum blinzeln. Was für ein herrlicher Nachmittag das werden sollte.
Doch als sie wieder ihren Hund anschaute, stellte sie fest, dass sich sein Aussehen verändert hatte. Aus dem tobenden, glücklichen Hund war pures Elend geworden. Seine Augen blickten traurig in ihre Richtung, während sie sich, ohne sich zu bewegen, immer weiter von ihm entfernte. Dodi legte sich flach auf den Boden und begann zu jaulen.
Angela breitete ihre Arme aus, so als wollte sie sagen:“Komm, Dodi, komm zu mir. Brauchst keine Angst zu haben, ich beschütze Dich, ok?“ Der Hund reagierte nicht auf diese Geste, stattdessen verblasste sein Umriss zusehenst, bis er sich in einer grellen Explosion auflöste.
Aus dem grellen Weiß entstand nach und nach ein neuer Umriss. Mit jeder Kleinigkeit die Angela erkennen konnte, kam auch ihre Erinnerung zurück.
„....ich hab Angst!“ formte ihr Mund, so gut er noch in der Lage war.
„So soll es sein!“ antworte der weisse Umriss vor ihren Augen.
Dann war es vorbei, endlich.
***
Die Übergabe war ihm eigentlich nicht mehr erinnerlich, aber das war auch zweitrangig. Er machte seinen Job, so wie ein Gehorsamer es eben tat. Perfekt, ohne Fragen.
Auge um Auge, Zahn um Zahn, so konnte man seine Mission umschreiben.
Natürlich hatte er weder Alle gefunden, noch hatte er die Zeit sich seinen Zielen so ausgiebig zu widmen, wie es erforderlich gewesen wäre, aber immerhin, er tat es so gut er konnte. Und er konnte es richtig gut. Er war der Beste. Er war aber auch der Einzige.
Henk trat auf die Strasse. Er drehte sich nach links und schaute in den wartenden Mercedes. Die getönten Scheiben verrieten nichts über seine Insassen, aber Henk wußte Bescheid.
Eine elegante Geste brachte seine Waffe ans bläuliche Licht des jungen Mondes.
***
‚Was ist das denn für ein Freak’,innerlich hatte Max reichlich Respekt vor der hageren Gestalt, die plötzlich vor seinem Auto aufgetaucht war.
‚Hoffentlich macht der keinen Stress’, hoffte er.
Max warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, das sein Fahrgast die Augen geschlossen hatte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Im nächsten Augenblick wurde die Fahrertür aufgerissen und er spürte einen heftigen Schlag gegen die Schläfe. Was folgte war augenblickliche Ruhe und totale Finsternis.
***
Das war der Durchbruch. Dieses Video würde ihn entgültig in die Gilde aufnehmen. Er war dann einer von ihnen, nicht mehr nur Mitläufer und Entleiher, sondern Produzent.
Sein erstes Video war fertig, ein Käufer längst gefunden. Eigentlich war der Käufer schon vor dem Video da, denn der Kreis der Snuff-Fans war zwar konspirativ, aber riesig. Das Potential der Käufer schien beinahe grenzenlos und so war es nur noch eine logische Konsequenz, eines Tages selber ein Video zu produzieren.
Und heute war der Tag der Übergabe. Mitten in Prag, im besten Hotel der Stadt wartete seine Klientel auf sein Erstlingswerk, seine Eintrittskarte in die gelobte Welt.
Sein Wachtraum wurde jäh unterbrochen, als sich die Tür der Mietlimousine öffnete und der Mann in Schwarz sagte:
“Raus!“
Noch bevor er etwas erwiedern konnte, packte ihn eine kräftige Hand am Arm und zog ihn auf die Strasse. Unsanft landete er auf dem geflickten Asphalt. Die Situation schien klar: ein Strassenräuber versucht sein Glück.
Instinktiv fuhr seine Hand in den Hosenbund und unklammerte die kleine Pistole, die er eigentlich immer bei sich trug.
Als er zu dem schwarzen Mann aufblickte, sah er die Waffe, die auf ihn gerichtet war und er mußte unwillkürlich schmunzeln.
‚Ist der bescheuert? Womit greift der mich denn an? Mit einem Löffel?’
***
Henks Gabe hatte ihn wieder einmal zum richtigen Ziel geführt. Unzählige Zeitungen hatte er gewälzt, tausende Kilometer war er gereist. Nun war es soweit. Zeit für Vergeltung.
Sein Ziel lag bauchlinks auf dem Boden, hatte aber den Kopf in seine Richtung gedreht. Sah er ein Lachen in dem Gesicht?
Henk war es egal, ob sein Opfer lachte! Er nahm seinen Löffel und machte sich ans Werk. Die Zeit war knapp, deswegen fing er mit der Bestrafung an:
Der Löffel fand zunächst seinen Weg durch das weiche Gelee des rechten Auges. Die Aushöhlung war rein technisch gesehen nichts Kompliziertes, mußte aber dennoch mit Präzision ausgeführt werden, denn eine unbedachte Bewegung konnte das Opfer allzu schnell töten. Das wollte er verhindern. Auge um Auge...
***
Max öffnete langsam seine Augen. Sein Schädel hatte die Ausmasse des Prager Rathauses. Ein Rinnsaal Blut bahnte sich seinen Weg von oberhalb der Schläfe hinab über die Wange zu seinem Mund und weiter zum Hals.
Stöhnend verließ er seinen Mietmercedes, auf den er eigentlich immer ein bisschen stolz gewesen war.
Stück für Stück kehrte seine Erinnerung zurück.
Er drehte sich in Richtung Heck und was er dort erblickte, ließ seinen Atem stocken:
Sein Fahrgast lag dort in einer riesigen Lache seines eigenen Blutes. Um genau zu sein, wußte Max nicht einmal, ob es sein Fahrgast war, das Arschloch aus Berlin. Aber an der Kleidung, einem ehemals weissen Anzug, war er einigermassen zu identifizieren.
Neben der Fleischmasse, die den weissen Anzug übergestreift hatte, lag der hagere Typ, der ihm Eins übergezogen hatte. In seinem Gesicht war ein kleines Loch oberhalb der Oberlippe, gerade groß genug, dass eine Fliege durchschlüpfen könnte. Anders sah es am Hinterkopf aus: Eine abstruse Mischung von Schwarz, Rot und Weiss.
Max war beim Militär gewesen und konnte Wunden von Explosivgeschossen erkennen.
Den Beiden war jedenfalls nicht mehr zu helfen, soviel stand fest!
In dem Moment als er sich entschloss die Polizei zu rufen, fiel ihm der ungewöhnliche Hut auf, den der Fremde getragen hatte. Er lag auf dem Dach des Mercedes.
Max nahm den Hut in die Hand, drehte ihn in alle Richtungen. Im Innern war eine Art Namensschild befestigt, ähnlich denen, die seine Mutter in seinen jungen Jahren in die Hemden zu nähen pflegte.
Auf dem Namensschild waren nur drei Buchstaben zu lesen: MAX
Er drehte sich um und verließ den Platz des Grauens. Sein Gang war ausladend und präzise.
Er schritt voran. Vor ihm unsichtbar die Greueltaten, die er im Namen der Gerechtigkeit begehen würde.
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BrOdiN-04