Nur eine Seite Tagebuch
Es gibt Tage, an denen wünscht man sich, man würde ein Tagebuch führen. Ich habe, soweit ich mich erinnere, niemals ein Tagebuch geführt. Vielleicht als Kind einmal. Ich weiß nicht mehr. Damals führte ich jedenfalls keines. Wenn man kein Tagebuch führt, macht man sich darüber ja nicht viele Gedanken. Es sind nur diese besonderen Tage, die so besonders sind, dass man schon am nächsten Morgen fürchtet, man könne sie vergessen. Wissen Sie, dann denkt man darüber nach, ob man sie vielleicht aufschreiben sollte. Man denkt, ach was, einen solchen Tag kann man gar nicht vergessen. Der ist in die Erinnerung eingebrannt wie ein Brandmal. Eine kleine Narbe, die vielleicht verblasst, die man aber immer wieder findet, wenn man weiß, wo man suchen muss. Und dann überlegt man, an welche dieser Tage man sich erinnert, wo doch das Leben schon eine Weile andauert und keinesfalls ereignislos war. Und man bemerkt, dass die Tage, die man diesem gleich erachten würde, sich an einer Hand abzählen lassen. Man stutzt, und meint, etwas Wichtiges übersehen zu haben. Wie war das, damals, oder an diesem oder an jenem ... aber es werden nicht mehr. Können Sie ermessen, was ich meine? Sie leben, sagen wir, fünf Jahrzehnte eines Lebens mit vielen Kurven und Abenteuern und dürfen zehn ganz besondere Tage aufheben, vielleicht in einem kleinen Kästchen mit Schildpattintarsien und einem kleinen aber schweren Holzdeckel, und es fallen ihnen nur fünf ein? Dann denken sie, dass es vielleicht noch andere Tage gegeben hat, die sie aufbewahren sollten, die ihnen aber entglitten sind und die sie in dem Tagebuch bestimmt wieder gefunden hätten. Und dann verwerfen sie den Gedanken, weil die Erinnerung an diesen Tag so klar ist, dass sie ihn noch heute aufschreiben könnten. Verstehen sie?
Sie müssen mir sagen, wenn ich ihn auf die Nerven falle. Nein? Nun, ehrlich gesagt, ich dachte es auch nicht, denn sie haben zugehört. Nicht höflich zugehört wie ein Sohn, der seine Mutter nach langer Zeit besucht und die Mutter erzählt von einem Gemeindeflohmarkt in der Kirche, zu dem sie Kerzenhalter beigesteuert hat. Da hört man höflich zu und wartet, bis der Bericht sein Ende findet. Aber ich habe ihnen angesehen, dass sie mir mit Neugierde zugehört haben. Ja, lächeln sie nur; manchmal lässt man sich gerne durchschauen. Nicht wahr? Wie ich dazu komme, gerade ihnen das zu erzählen? Sicher, ich kenne sie nicht. Und vermutlich werde ich Sie nie wieder sehen, aber mir ist eben bewusst geworden, dass dieser Tag gerade zehn Jahre her ist. Zehn Jahre und drei Tage, um genau zu sein. Und wie es der Zufall will, sitze ich heute wieder im gleichen Zug wie damals. Sie sitzen in meinem Abteil. Et voilá. Ich fürchte, das ist schon der Grund. So gesehen, hat es eigentlich nichts mit Ihnen zu tun, aber das sollte Sie nicht befremden. Hätte ich nicht den Eindruck, dass Sie der richtige Zuhörer - nein, winken Sie nicht ab, ich meine das so - dass Sie der richtige Zuhörer wären, dann hätte ich sicher nichts gesagt.
Aber vielleicht sollte ich einfach erzählen, von diesem Tag, an dem ich ihr begegnet bin. Was meinen Sie? Nein, ach was, das ist nicht indiskret. Das ist ja schon lange her und sie hätte sicher nichts dagegen. Nein, sicher nicht, keine Sorge. Wissen Sie, ich habe den Beginn dieses Tages wie eine Bombenexplosion auf einem belebten Marktplatz in Erinnerung. Nein, warten Sie, ich muss Ihnen das mit dem Beginn erklären, weil der Beginn, von dem ich rede, am Mittag war. Vorher war es eben ein Tag wie ein normaler belebter Marktplatz, wenn Sie sich darunter etwas vorstellen können. Ja, das freut mich. Manchmal können die Menschen nichts damit anfangen, wenn ich so etwas sage. An so einem Tag also herrscht geschäftiges Treiben und es geschehen die verschiedensten Dinge. Sie treffen Menschen, telefonieren, ärgern sich über Kleinigkeiten, einen verstellten Weg vielleicht oder eine unfreundliche Marktfrau. Alles ist in Bewegung und Sie sind mittendrin und doch ist alles eigentlich wie immer. Es wird ein bisschen geschrieen, ein bisschen gedrängelt, aber sie können sich auch nett unterhalten und frisches Obst kaufen. Und an diesem Tag explodierte einfach eine Bombe. Das hört man ja vorher nicht. Das erwischt Sie völlig unerwartet. Plötzlich gibt es einen Knall und alles fliegt durcheinander. Überall ist Rauch und Dinge fliegen umher. Und wenn sich der Rauch verzogen hat, stehen Sie immer noch da und wundern sich, dass Ihnen nichts Schlimmes passiert ist. Ich bin ein paar Mal in der Nähe gewesen, wenn irgendwo Bomben explodiert sind. Doch, wirklich! Nie so nah, dass es mir ernstlich Schaden hätte zufügen können, aber einmal habe ich es doch sehr deutlich gehört. Aber so stelle ich es mit vor, wenn man ganz nah dabei ist und es überlebt. Ich stelle mir vor, dass man dann zu ganz eigenartigen Dingen fähig ist. Ich habe von Menschen gehört, die nach der Explosion angefangen haben, sich die Schuhe zu putzen. Im Grunde habe ich mich auch so verhalten, als sie das Lokal betrat. Sie war mit ein paar Schritten an unserem Tisch, ließ den Mantel von den Schultern gleiten und setzte mich neben mich. Da flog für mich schon alles durch die Luft. Ich wusste, dass sie kommen würde und natürlich hatte ich auch eine Vorstellung davon, wie sie sein würde. Aber dann traf mich ihre Gegenwart mit einer so ungeheuren Wucht. Ich kann, wenn ich einmal in diesem Bild bleiben darf, die umher fliegenden Dinge noch heute vor mir sehen, als hätte es eben erst geknallt. Dieser unnahbare Katzenblick, ihr Gang, die Stimme, die ganz anders war, als ich erwartet hätte, fragen Sie mich nicht warum. Ihr wundervoller Bauch, und die Beckenknochen, die man sehen konnte, weil es damals so Mode war, oder vielleicht auch ihre Absicht. Ach, lachen Sie nicht, das weiß ich bis heute nicht! Ich weiß noch genau, wie ich anfing zu schwitzen und dachte, ob sie es wohl riechen würde. Sie müssen wissen, dass es schon damals für meinen Beruf völlig unabdingbar war, dass ich Souveränität und, nennen wir es: natürliche Autorität ausstrahle. Und gewöhnlich gelang mir das auch recht gut. Aber damals fühlte ich mich plötzlich wie ein Schuljunge, der seiner Klassenkameradin einen Zettel zuschieben will und es dann lässt, weil sein Ansinnen, gemeinsam ins Kino zu gehen, ihm plötzlich maßlos und unerreichbar erscheint. Ich hatte nachher den Eindruck, dass ich lauter unsinniges Zeug geredet habe. Wirklich. Ich meine, nicht dass ich mich noch daran erinnere, was ich eigentlich gesagt habe. Ich erinnere mich nur, dass ich dann irgendwann wieder gehen musste, weil Klienten auf mich warteten und mir einfiel, dass ich nicht wusste, wie und ob überhaupt wir uns wieder sehen würden. Wissen Sie, ich hatte plötzlich wirklich Angst, sie könnte sagen, dass sie bedauerlicherweise früher wieder abreisen müsse und völlig vergessen hatte, mir das zu sagen. Und dann war ich draußen und die kalte Luft tat gut und ich war ein paar Schritte gegangen, als mir einfiel, dass ich nicht einmal ihren Nachnamen kannte, um im Hotel nach ihr zu fragen. Lachen Sie nicht, das lief mir wirklich kalt den Rücken herunter. Ach was. Zurückgehen und fragen? Undenkbar!
Entschuldigen Sie, da kommt ein Zugbegleiter. Möchten Sie auch etwas trinken? Ich werde einen Wein bestellen. Ich möchte jetzt ein Glas Rotwein trinken. Er wird nicht so schmecken wie der Wein, den wir getrunken haben, in der Tapasbar hinter der S-Bahn, aber es wird genügen, um mir wieder dieses angenehm pelzige Gefühl auf der Zunge zu geben, das für den Abend steht bis zu dem Moment, als ich ihr die Hand anbot und sie ihre hineinlegte.
Wissen Sie, sie hat nur einen winzigen Bruchteil einer Sekunde gezögert. Aber der war lang genug, um mein Blut zum Gefrieren zu bringen. Was, wenn sie den Kopf auf die Seite legen würde, mich mit dieser unerträglichen Mischung aus Bedauern und Freundlichkeit anlächeln, kurz über die Hand streichen und sagen, dass das keine gute Idee wäre. Oder wenn sie beide Hände um meine Hand geschlossen und mit leiser aber fester Stimme und ernstem Blick gesagt hätte, dass sie noch nicht so weit sei, mehr Zeit brauche. Wenn sie dann bestimmt genickt hätte, meine Hand wieder losgelassen und einen Schluck Wein getrunken? Ich hätte dann erwidern müssen, dass das schon in Ordnung sei und wir alle Zeit der Welt hätten. Was man dann so sagen müsste. Sie kennen das sicher. Ich dachte in diesem winzigen Bruchteil einer Sekunde, dass ich sterben müsste, wenn das geschähe. Aber sie hat ihre Hand in meine gelegt, nach diesem zögernden Bruchteil einer Sekunde. Ihre Hand war ganz warm und ich durfte ihre feinen, langen Finger streicheln, festhalten, sie zwischen meinen Fingern reiben. Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, aber in dem Moment, als sie ihre Hand in meine Hand gelegt hatte, wusste ich, wie alles andere werden würde. Die Küsse und alles andere. Ja, vielleicht haben Sie Recht, vielleicht war es darin auch schon vorweggenommen. Jetzt wo Sie es sagen, scheint es mir, als wäre es wirklich so. Wenn ich in dem Moment ihren Blick hätte deuten können. Wissen Sie, so ein nachdenklich Blick, mit dem sie unsere verschränkten Hände betrachtet hat. Als ob sie überlegen würde, was diese Hände noch tun würden. Es ist ganz seltsam. Je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird es. In diesem Spiel unserer Hände war alles weitere schon enthalten. Nein, natürlich, das können Sie auch gar nicht verstehen. Sie waren ... ja nicht ... dabei und überhaupt, Sie wissen ja auch gar nicht, was später ... Entschuldigen Sie, aber ich wäre Ihnen wirklich verbunden, wenn Sie jetzt nicht so ein Gesicht machen würden. Das, was ich Ihnen hier erzähle, ist eine wirklich wichtige Begebenheit in meinem Leben und nicht viele Menschen kennen sie. Es ist in einer Weise ein Privileg, dass ich diese Erfahrung mit Ihnen teile. Ich würde wirklich bevorzugen, wenn Sie nicht dreinschauen würden, als hätte ich eine zotige Anekdote erzählt. Ich ... Bitte? Ach, wegen dem Wein? Ich dachte, es wäre wegen der späteren Ereignisse. Ja, da haben Sie natürlich recht. Der Wein ist wirklich unsäglich. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin. Ich dachte, sie würden sich lustig machen, weil ... Nein, ich habe mich zu entschuldigen, Sie haben ja gar nichts Falsches getan, ich habe Sie einfach missverstanden. Entschuldigung. Sie nehmen mir das bitte nicht übel, nein?
Wenn Sie möchten, kann ich gerne fortfahren. Möchten Sie? Ja? Danke. Es ist nämlich erstaunlich angenehm, Ihnen das alles zu erzählen. Beim Erzählen werden einem ja manche Zusammenhänge überhaupt erst richtig klar. Kennen Sie das? Nicht wahr? Eben zum Beispiel, das mit den Händen. Ich habe mich sicher tausendmal daran erinnert, wie das war, an diesem Abend, als sich unsere Hände zum ersten Mal berührt haben. Erst die Handflächen, dann die Fingerspitzen und wie sich diese beiden Hände dann eine Ewigkeit nicht losgelassen haben. Wie sie sich erkundet haben, neue Winkel gesucht. Aber bevor ich das gerade erzählt habe, ist mir nie klar gewesen, wie sehr in dieser Berührung die ganze Nacht vorweggenommen war.
Nein. Ich weiß nicht, ob ich das näher erläutern kann. Also, ja, natürlich kann ich das. Aber ich weiß nicht, ob es sollte. Nein bitte, insistieren Sie nicht. Wirklich. Sicher, ich verstehe schon, dass ich Sie neugierig gemacht habe. Aber es fällt mir schon schwer, wie soll ich sagen, also, gewissermaßen konkreter zu werden. Bitte? Entschuldigen Sie, ich war gerade abgelenkt, finden Sie nicht auch, dass es furchtbar warm ist in diesem Abteil? Nein? Vielleicht bilde ich mir das bloß ein. Würde es Ihnen trotzdem etwas ausmachen, wenn ich die Heizung ... sicher, so wird es sicher viel besser. Es stört Sie doch nicht, oder? Nein, nein, ich bin keinesfalls verärgert. Ich bin nur unsicher. Nein, das hat nichts mit Ihnen zu tun. Sie sind wirklich ein guter Zuhörer. Hatte ich Ihnen das schon gesagt? Also, gut, ja, ich kann ja versuchen, es zu erklären. Ja? Aber ich muss ein bisschen weiter ausholen, wenn Ihnen das recht ist. Es hat damit zu tun, und ich glaube nicht, dass es mir allein so geht, daher will ich es verallgemeinern, dass uns Frauen umso mehr faszinieren, je undurchschaubarer, geheimnisvoller sie uns erscheinen. Wenn wir jemandem begegnen, der uns wie eine Faltbroschüre erscheint, die man mit wenigen flüchtigen Blicken erfasst und sich dann, wenn sie gelungen sind, noch ein wenig die Bilder darin betrachtet, dann lässt uns das letztlich kalt. So ist das, wenn wir ehrlich sind, doch mit den Frauen auch. Sie treffen jemanden, reden mit ihm, Sie erkennen körperliche Vorzüge. Ja vielleicht spüren Sie sogar eine gewisse gegenseitige Attraktion. Je nach Ihrer Disposition und Ihren moralischen Maßstäben machen Sie dann Gebrauch von Gelegenheit oder nicht. Aber Sie haben doch schnell das Gefühl, dass Sie alles gesehen, gehört, gefühlt haben. Sie haben den Eindruck, dass Sie die Ansichten erkannt haben, die Wünsche und Träume durchschaut. Hinter dem Gemälde das Sie gesehen haben, ist nichts mehr, dass sie interessiert. Eine weiße Leinwand und ein Holzrahmen. Oder, ein Gemälde ist vielleicht das falsche Bild. Eher eine Skulptur. Sie betrachten sie, wenn Sie dürfen, betasten Sie sie vielleicht und dann ist es gut. Wie die Skulptur innen aussieht, ist für Sie ohne Belang. Genau! Vermutlich ist sie ohnehin hohl. Nein, warten Sie, das meine ich eigentlich nicht. Lassen Sie uns nicht überheblich sein. Vielleicht meinen wir nur, sie sei hohl. Wir verspüren nur einfach nach dem Betrachten, und vielleicht Betasten, keinerlei Drang, zu erfahren, wie es in der Skulptur aussieht. Vielleicht ist das ganz ungerecht. Ich bin sogar überzeugt, dass uns viele Menschen begegnen, deren Inneres wir mit vorschnellem Urteil als uninteressant abgetan haben. Doch, bestimmt. Ich möchte gar nicht wissen, wie oft wir Menschen Unrecht tun, indem wir sie für uninteressant halten. Stellen Sie sich einmal vor, alle diese Menschen wären jetzt in diesem Zug und wüssten das. Stellen Sie sich das einmal vor!
Aber lassen wir das. Ich spreche ja von dieser Einen von tausend, oder was weiß ich, von wie vielen, bei der das gerade nicht so ist. Mit der Sie reden und reden und sie finden Höhlen, Schrunden, Widersprüche, Schönheiten, die Ihnen eine wilde, spannende und schöne Landschaft unter der Oberfläche versprechen. Und Sie halten sich die Hände und erkunden sich. Sie suchen, einen Blick zu erhaschen, vielleicht in die Höhlen zu sehen, nur ein Stückchen, so weit das Licht reicht, das die Konversation Ihnen gewährt und Sie spüren, dass dahinter noch viele weitere Höhlen sind. Ja, sicher, das alles spüren Sie beim Betasten und Streicheln der Hände. Ich versichere es Ihnen. Aber leider sind die Hände doch höchst unvollkommene Instrumente. Sie müssen erkennen, dass Ihnen vieles verborgen bleibt. Sehen Sie, wenn Sie etwa mit dem kleinen Finger die zarte Haut am Ansatz ihrer Finger streicheln, dann ist das eine unendlich intime Berührung. Es gehört so viel Vertrauen dazu, das zuzulassen. Wissen Sie, ich habe das getan. Ich hatte das Bedürfnis es zu tun, zu spüren, ob ich das darf. Vergessen Sie nicht, wir hatten uns an diesem Tag zum ersten Mal gesehen und ich durfte mit meinem kleinen Finger, mit der Außenseite meines kleinen Fingers, die verletzliche, weiche Haut zwischen ihren Fingern streicheln und sie hat es erwidert mit einer sanften Bewegung aus dem Handgelenk. Das haben Sie noch nie so gesehen? Nein? Sie haben keine Vorstellung davon, wie viel Vertrauen und Hingabe im Spiel zweier Hände liegen kann? Wenn Sie dieses Spiel aufmerksam lesen, wissen sie wie alles andere ist. Ich habe das nie so deutlich gespürt, wie an diesem Abend und in dieser Nacht. Auch die Grenzen. Manche Grenzen verstehen Sie. Nehmen wir zum Beispiel an, sie hat eine kleine Narbe. Sie mögen diese Narbe, sie fühlt sich gut an und gibt der Hand etwas Besonderes, etwas Einmaliges. Aber sie spüren, dass sie die Hand wegdreht, sie Ihnen entzieht oder vielleicht auch nur ihre Zärtlichkeit eine Nuance kühler wird. Dann wissen Sie, dass dort eine Grenze ist, die es zu respektieren gilt. Eine Höhle, in die Sie noch nicht sehen können. Sie merken, sie traut Ihrem Streicheln noch nicht, was diese Narbe betrifft. Sie möchten ihr sagen "Aber ich finde Deine Narbe wirklich schön!" Möglicherweise sagen sie das sogar. Aber es ist ganz sinnlos, denn sie wird Ihnen nicht glauben. Sie vermögen das nicht zu verstehen, Sie möchten ausrufen "Vertrau mir! Ich liebe Deine Narbe. Ich will sie vergöttern und einrahmen und zum Glühen bringen!" aber Sie müssen einsehen, dass Ihnen diese Vertrautheit noch nicht gewährt wird. Wenn Sie nicht blind und taub sind, sagt Ihnen das Spiel der Hände wie Sie küssen dürfen, ohne sie zu verletzen oder auch nur ohne das zarte Gespinst aus Vertrautheit und Leidenschaft zu zerstören. Sie dürfen zwei Fingerspitzen fassen und sie lachend wie einen kleinen Soldaten über den Tisch marschieren lassen, sie dürfen die Hand drücken, dass es fast schmerzen müsste. Sie lächeln, also verstehen Sie. Gut. Und wenn sie mit Ihren Händen Dinge tut, die noch keine anderen Hände mit den Ihren getan haben ... aber ich sehe schon, ich brauche Ihnen das nicht erklären. Aber ... manche Grenzen verstehen wir einfach nicht. Das ist das Schmerzlichste und doch zugleich das Schönste. Ja, das Schönste.
Wie Lange werden wir noch fahren? Wir müssen bald da sein, nicht? Sie haben auch keinen Zugplan? Bitte? Welche Grenze ich nicht verstanden habe? Sie lassen mich wirklich nicht vom Haken, nicht wahr? Nun gut: Ich habe ihr beide Hände hingehalten. Wie ein Nest. Ruhig, weich und warm. Und natürlich hat sie gefühlt was das heißt. "Leg Deine Hand nur hinein wie einen Vogel, der den Kopf einzieht und sich ein wenig aufplustert, lass sich Deine Hand in meinen Händen geborgen fühlen." Das konnte sie nicht.
Ach, sehen Sie mich doch nicht so mitleidig an. Sie wissen doch gar nicht, wie es alles weiterging. Nein, ich bedaure, das, mein Guter, werde ich nicht erzählen.