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Nuttenduft
Nuttenduft
Meistens steht die Sonne schon hoch, wenn ich sie wecke. Ich steige seitlich auf ihr Kopfkissen und stapfe darauf so lange mit meinen Vorderpfoten, bis sie sich bewegt. Ich stupse sie an. Erst ganz zärtlich, dann stürmischer. Ist sie wach, reibe ich mein Gesicht an ihrer Wange.
Ihr Atem riecht fast jeden Morgen gleich, eine Mischung aus Verdautem, Fuseligem vermischt mit Nikotin. Danach wird sich der Geruch des Kaffees darüber legen, aber nicht lange. Am Tage überbieten sich der Tabakgeruch und der billige säuerlich-weinige Geruch eines Sektes. Manchmal Pfefferminz, und, wenn sie in ihr Brötchen beißt, der sahnige Geruch von Butter.
Geduscht riecht sie wie eine Säule aus Seife, unerträglich.
Bevor einer ihrer Kunden kommt, streift sie einen sonderlichen Geruch über sich, betäubend und undurchdringlich. Nur ich kann ihren Körperschweiß darunter erschnuppern.
Sie läßt mich in dem Zimmer verweilen, in das sie ihre Kunden führt.
Selten passiert es, dass ich rausgeschickt werde.
Lautlos nehme ich die Witterung auf. Die meisten sind so wie sie in einen Duftnebel gehüllt.
Eine unharmonische Komposition aus einem Durcheinander von Stoffen dampft um sie herum. Nirgendwo in der Natur gibt es solche Mischungen.
Hätte ich nicht eine so feine Nase, würde die Verwirbelung der beiden Duftnebel dazu führen, dass ich sie nicht mehr erschnuppern könnte aus dem Bündel Mensch, das sie mit ihren Kunden bildet.
Aber ihr Körperschweiß ist untrüglich. Aus tausend schwitzenden Leibern würde ich sie herausfinden.
Ihr unwiderstehlicher Geruch hat viele Facetten.
Der Schweiß, wenn sie sich anstrengt, hart an ihren Kunden arbeitet, sich windet und biegt, bückt und dreht und heftig bewegt. Dann strömt eine Energiewolke zu mir herüber und bringt mir ihren Schweiß in die Nase. Ich mag ihn, er ist vermengt mit dem ihrer Kunden. Er riecht nach Ehrlichkeit.
Was sie ausströmt, wenn sie liebt, wenn ich in ihren Schoß geschmiegt bin und meine Hitze sie erwärmt, das ist der betörendste Geruch. Mein Fell ist mit ihrer Haut verbunden und nach einer Weile quellt ein leichter Körperduft empor. Der Geruch des Glücks. Vor Wonne kann ich meine Nase nicht tief genug in ihre Haut drücken und fange an zu schnurren.
Und dann gibt es den Geruch der Gefahr. Er haftet manchen ihrer Kunden an. Sie bringen ihn mit sich wie ein Netz, das sie über ihr auswerfen. Die Maschen ziehen sich immer enger, pressen sie zusammen.
Meine Nase wird unruhig und mein Körper spannt sich an. Ich kenne genau die Wellen, in denen ihr Angstschweiß herüber strömt.
Erst ist er gemischt mit dem Geruch des Zweifels, dann mit dem der gnadenlosen Erkenntnis.
Mischt er sich mit dem Geruch der Verzweiflung fahre ich meine Krallen aus, bin mit jedem Muskel zum Sprung bereit.
Ich habe nur diesen einen Sprung, nur diese einzige Möglichkeit, zu überraschen.
Ich warte. Ich warte auf das Signal ihres Schweißes, auf den Geruch ihrer Mutlosigkeit.
Dann springe ich, ein fauchendes Bündel, pfeilschnell mit messerscharfen Krallen, in diesen Dunst ihrer Todesangst, in das Gesicht des Mannes.